Von oben herab: 300

Nr. 48 –

Stefan Gärtner beglückwünscht die Reichsten

Es ist die jährliche Liste der Listen, denn wer drauf ist, gehört zu den 300 Reichsten der Schweiz! Und die sind im vergangenen Jahr noch einmal um zehn Prozent reicher geworden, besitzen nunmehr 674 Milliarden Franken. Die WOZ hat angerufen, um zu gratulieren:

«Ein schöner Beweis für die Funktionstüchtigkeit unserer Leistungsgesellschaft», so Jonas Kamprad, einer der drei Söhne von Ingvar Kamprad («Ikea») und, wie seine Brüder auch, waschechter Schweizer. «Jeder von uns steht jeden Tag um elf Uhr auf und denkt sich einen hübschen Namen für ein Ikea-Produkt aus, etwa ‹Höcko› für einen Hocker oder ‹Blödkvatsch› für einen Spiegel. Ich sage immer: ‹Gutvik›, und dann lachen wir erst mal eine Runde, denn lachen ist gesund, und 49 Milliarden Stutz wollen erst einmal von anderen verdient sein!»

«Dies belegt meine Überzeugung, dass man auch mit nachhaltigen Methoden erfolgreich wirtschaften kann», freut sich auch Ivan Glasenberg, der als Chef des sympathischen Rohstoffkonzerns Glencore über ein Vermögen von sieben Milliarden Franken verfügt. «Was die Menschen wissen sollten, ist, dass ich Tag für Tag bis zu zwanzig Stunden arbeite. Weshalb ich leider auch keine Zeit habe, unseren Wikipedia-Eintrag zu überarbeiten: ‹Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen›, ‹Vorwurf der Steuermanipulation›, ‹Korruption›, ‹Umweltverschmutzung› – das ist genau diese Neidgesellschaft, unter der wir alle so leiden! Ich persönlich lasse für meine Familie nur Biosachen einkaufen und habe meinem alten Hausmädchen verboten, den Bentley wie früher in der Einfahrt zu waschen. Wegen der Umwelt. Act local, Sie verstehen!»

Etwas gequält klingt dagegen Andreas Jacobs, dessen Familie laut «Bilanz» dabei ist, europäische Marktführerin im Dentalgeschäft zu werden: «Ihre Familienholding hat seit Anfang Jahr gleich drei Übernahmen im Markt für Zahnarztketten getätigt.» – «Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht viel von Schmuck», so Jacobs, «aber Ketten für Männer, für Zahnärzte zumal, finde ich provinziell. Bei Zahnärztinnen ist das natürlich etwas anderes.» Sein Reichtum stammt aber gottlob von den Anteilen am Schokoladenkonzern Barry Callebaut: «Ich kriege sämtliche Schokolade umsonst, das hat mir bislang elf Milliarden Franken gespart. Mehr ging leider nicht, die Figur!»

Auch nicht uneingeschränkt zufrieden tönt Thomas Flohr, dem die Businessairline Vista Jet gehört: «Kommen Sie doch mal vorbei und schauen mich an: Dreitagebart, Minipli, Halbweltlächeln – ich muss performen, denn ohne Cash ist jemand wie ich doch eine lächerliche Figur, die höchstens im Privatfernsehen unterkommt. Zwei Milliarden Franken, okay, aber bedenken Sie mal, welchem Druck ich Tag für Tag ausgesetzt bin! Eine alleinerziehende Kassenkraft bei der Migros würde mit mir nicht tauschen wollen – ich mit ihr aber auch nicht, sorry, Lady!»

Die Schweizer Familie mit dem grössten Plus ist zugleich die bekannteste: Um vier auf jetzt zwölf Milliarden Franken ist das Vermögen der Familie Blocher angewachsen: «In ganz Europa steigen beim Rechtspopulismus eben die Aktien!», applaudiert sich der volksnahe Patriarch, der darauf besteht, dass seine Kinder «im Leben nichts geschenkt» bekommen hätten: «Ausser natürlich zu Weihnachten, zum Geburtstag, am 1. August, zu Ostern, Ramadan und Samichlaus. Sie glauben gar nicht, wie schwer es ist, so grosse Aktienpakete einzupacken!» Deshalb erst recht: Glückwunsch!

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.