Alles Gute fürs 2018: Auf gehts in andere Sphären!

Nr. 51 –

Nach diesem Jahr kanns eigentlich nur besser werden. Die Kulturredaktion pfadet schon mal vor: Wir schüren die Vorfreude auf ein Fabelwesen im Wassertank und auf Gospel in der Fabrik, wir verlieren den Kopf mit einem Punkdichter und heben das Glas zum Wohl der «Republik».

Illustration: Luca Schenardi

Roadburn: Hart, aber erwachsen

Das Roadburn ist das Festival der harten Musik für Erwachsene. Die Bands spielen auf einer Reihe von Indoorbühnen im beschaulichen holländischen Kleinstädtchen Tilburg, es gibt einen Gastkurator und Artists in Residence. Eine Alkoholleiche wird man hier kaum sehen, dafür unzählige Prominente aus der internationalen Metal-Szene, die an hippen Foodtrucks herumhängen. Musikalisch tendiert das Festival zu den psychedelisch temperierten oder avantgardistischen Formen von Rock und Metal.

Dieses Jahr gibts etwa japanischen Krautrock: vom ehemaligen Can-Sänger Damo Suzuki bis zu Kikagaku Moyo. Bell Witch aus Seattle spielen ein Set aus einem einzigen 84-minütigen Doom-Metal-Song, in dem ein verstorbenes Bandmitglied betrauert wird. Panopticon, benannt nach Jeremy Benthams Modell für die moderne Überwachung, spielen erst seit kurzem überhaupt live und in Tilburg gleich zwei Sets. Die Band besteht nur aus Austin Lunn, einem überzeugten Linken, der zu Bluegrass und Black Metal die Proteste von Minenarbeitern im US-Bundesstaat Kentucky besungen hat. Yellow Eyes sind zwar aus New York, nehmen ihre Alben aber in einer kleinen Hütte im Wald auf, zuletzt auch «Immersion Trench Reverie», das vielleicht interessanteste Metal-Album von 2017.

David Hunziker

Roadburn Festival in: Tilburg, Niederlande, 19.–22. April 2018. www.roadburn.com

«68–88–18»: Freiräume!

Im Jubiläumsjahr droht 1968 endgültig als historische Chiffre musealisiert zu werden. Umso erfreulicher, wenn eine Ausstellung dies gleich im Titel untergräbt: «68–88–18» signalisiert Kontinuitäten bis in die Gegenwart. Dass diese so kreativ wie kämpferisch-lustvoll sind, steigert die Vorfreude umso mehr. Im Fokus stehen Freiräume in Basel seit 1968 – autonome Freiräume wie jene Villa, die sich ab Mitte der sechziger Jahre zum KünstlerInnentreff entwickelte, das Kulturareal der Alten Stadtgärtnerei in den Achtzigern oder der im Sommer 2014 gewaltsam geräumte Wagenplatz.

Aus diesen Räumen entstanden in den letzten fünfzig Jahren immer wieder Bewegungen, deren politischer Aktivismus und künstlerische Ausdrucksformen untrennbar miteinander verbunden waren. Nur folgerichtig, wenn die Ausstellung ihr Augenmerk auf Film- und Videomaterial richtet, das diesen Freiräumen entsprang. Gegen Ende der siebziger Jahre etwa formierte sich in ihrem Umfeld eine Schmalfilmgruppe, die sogar eine eigene Zeitschrift, die «Filmfront», gründete. Parallel dazu entstand die Videogenossenschaft Basel, die bis heute als «point de vue» filmisch aktiv ist. Diese visuelle Gegenöffentlichkeit wird in der Ausstellung kontrastiert mit der offiziellen Bildberichterstattung im Fernsehen. Gewagt wird auch ein Blick in die Zukunft, in die Pläne zur totalen Umgestaltung des Klybeckquartiers. Der Kampf um Freiräume geht weiter.

Franziska Meister

«68–88–18. Freiraum in Basel seit 1968»: Basel, Rebgasse 34, 7. April bis 27. Mai 2018, Vernissage: 6. April 2018.

«Republik»: Mit vereinten Kräften

Dieser Tage wird in der Schweiz wieder gegen das Imperium rebelliert – mit Lichtschwertern und Laserpistolen im Kino, bald aber auch mit einem digitalen Magazin. Zu verteidigen gilt es in beiden Fällen: die Republik. Im Januar geht das gleichnamige Magazin online. Wie im Krieg der Sterne sind die Kräfte gegen das Imperium auch hierzulande geschrumpft. Die Machtkonzentration in der Schweizer Medienlandschaft steigt unaufhaltsam, nicht nur der Herr vom Herrliberg ist weiter auf Never-Ending-Einkaufstour.

Letzten Frühling dann eine grosse Ankündigung: Das Magazin «Republik» trete an, um Journalismus und Demokratie zu retten. Das Projekt startete mit einem fulminanten Crowdfunding, über drei Millionen Franken wurden gesammelt. Unzählige Newsletter und Podien später sind die ersten Texte in Arbeit und die Spannung hoch. «Wir haben hektoliterweise Hoffnung verkauft, die wir nun über Jahre in kleinen Fläschchen zurückstottern müssen», sagte Mitinitiant Constantin Seibt in einem Interview. So viel Zeit bleibt gar nicht, denn der nächste und bislang schwerste Angriff des Imperiums steht bevor: Die No-Billag-Initiative, über die am 4. März abgestimmt wird und gegen die mit vereinten Kräften angeschrieben werden muss. In diesem Sinne, liebe «Republik»: Möge die Macht (auch) mit dir sein.

Donat Kaufmann

Die «Republik» startet am 15. Januar 2018. www.republik.ch

Serhij Zhadan: Neues von der Urgewalt

Es gibt nicht viele Bücher, die einem das Hirn aus dem Kopf pusten. Die einen in eine andere Sphäre katapultieren und das Hier und Jetzt vollkommen vergessen lassen. «Mesopotamien» (2015) von Serhij Zhadan ist so eins. Der ukrainische Autor verwebt darin verschiedene Geschichten miteinander, die alle dort spielen, wo er selber auch lebt: in der ostukrainischen Stadt Charkiw. Sie handeln vom verhinderten Boxer, von der schönen Krankenschwester oder vom ausgebrannten Journalisten, es wird viel gesoffen, gevögelt, geprügelt, gestorben und geweint. Und im Hintergrund tobt der Krieg. Zhadans Buch klingt wie ein zu Punksound hinausgeschrienes Gedicht. Was nicht erstaunlich ist: Der Autor wurde als Lyriker zum Star, er hat schon zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke veröffentlicht und ist Sänger in einer Punkband.

Im März erscheint nun ein neuer Roman von dieser «poetischen Urgewalt» («Die Zeit»). Wie alle seine Bücher handelt auch «Internat» vom Krieg in der Ukraine, der den Alltag durchdringt. «Wozu denn erzählen, was ja sowieso alle wissen?», fragt sich der Erzähler in «Mesopotamien». «Wozu denn die Toten mit Geschichten besänftigen, in denen so viel Blut und Schmerz steckt?» Ganz einfach: weil auch die Lebendigen diese hören möchten. Unbedingt.

Silvia Süess

«Internat» von Serhij Zhadan erscheint am 12. März 2018 im Suhrkamp-Verlag.

«The Shape of Water»: Ausbruch aus dem Labor

Zum Film kam Guillermo del Toro über die Abteilungen Make-up und Special Effects – und dank seiner Freundschaft mit dem Visagisten von «The Exorcist». Die strenge Erziehung seiner katholischen Grossmutter scheint seine Faszination für Horror mit zartem Innenleben noch verstärkt zu haben. Zum Glück für uns. Seit den Neunzigern macht der Mexikaner selber Filme, als Drehbuchautor und als Regisseur. Und er holt sogar aus scheinbar hirntoten Superhelden-Sequels wie «Blade» oder «Hellboy» noch einen liebenswerten Mehrwert heraus. Speziell geglückt sind del Toros frühe, mit katholischen Ritualen imprägnierten Horrorfilme, aber auch seine fantasiereiche Abrechnung mit dem spanischen Faschismus in «El laberinto del fauno»: Fantasy nicht als Eskapismus, sondern als kluger Kommentar zur politischen Wirklichkeit.

Für seinen neusten Film, «The Shape of Water», holt er ein Wasserwesen in ein Versuchslabor des Kalten Kriegs, dessen ruchlose Wissenschaftler allerdings nicht mit der Wehrhaftigkeit einer stummen Putzfrau gerechnet haben. Diese füttert das melancholische Monster mit hart gekochten Eiern und plant den grossen Ausbruch. Freuen darf man sich nicht nur auf dieses ungleiche Paar als turbulente Widerstandszelle, sondern auch auf eine schauspielerische Talentschau, von der kantigen Undurchschaubarkeit eines Michael Shannon bis zum schrulligen Ernst der grandiosen Sally Hawkins.

Daniela Janser

«The Shape of Water» von Guillermo del Toro startet am 15. Februar 2018 in den Kinos.

Young Fathers: Angst, Schweiss und Liebe

No Way! Wir standen da in der grossen Schiffbauhalle und wussten nicht, wie uns geschah. Auf der Bühne verausgabten sich drei Männer am Mikrofon, ein vierter stand hinter ihnen an den Trommeln wie ein Stammespriester. Was war da los? Wir hörten eine Musik, für die wir keinen Namen wussten: brutal, aber voller Zärtlichkeit, eine dunkle Messe, getrieben vom Dreigestirn dieser Stimmen, die sich gegenseitig anpeitschten und sich dann wieder innig aneinanderschmiegten. War das Gospel, war es Punk aus der Maschine?

Vielen war das zu viel. Oder es waren zu viele widerstreitende Reize, schliesslich waren wir hier am Popfestival der Migros, wo die Devise lautet: Bloss niemanden vor den Kopf stossen, ihr sollt euch gut fühlen hier. Der Saal leerte sich allmählich, aber wer blieb, war elektrisiert. Gebannt von den Young Fathers aus Schottland, von ihrem maschinellen Soul zwischen Angst, Schweiss und Liebe. Im April kommen sie wieder nach Zürich, mit einem neuen Album, und einen ersten Vorgeschmack gibts schon jetzt im Netz: «Lord» ist ein Hohelied der Liebe über einem Kinderklavier, und dann fräst fies ein Basston dazwischen.

Die Zeichen stehen gut, dass das stärkste Konzert des alten Jahres auch das beste im neuen Jahr sein wird.

Florian Keller

Young Fathers in: Zürich, Rote Fabrik, Mittwoch, 11. April 2018. Der Erscheinungstermin des neuen Albums ist noch nicht bekannt.