Österreich: Früher Wehrsport, heute Regierung
Die neue österreichische Regierungsspitze wünscht sich in ihrem ersten ORF-Interview nach der Vereidigung einen Neuanfang. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) geben sich harmonisch. Strache attestiert dem 31-jährigen Kanzler politische Reife: Mit 30 sei er noch nicht ansatzweise so weit gewesen wie dieser jetzt. Möglich, dass Strache dabei auch an seine Zeit in rechtsextremen Wehrsportgruppen denkt, mit denen er in jüngeren Jahren in den Wäldern Kärntens unterwegs gewesen war. Dass er seine Meinung seither fundamental geändert hat, darf aber trotz seines inzwischen staatsmännischen Auftretens bezweifelt werden.
Denn die ultrarechte Gesinnung seiner MitstreiterInnen lässt aufhorchen. Gross ist in der FPÖ der Einfluss deutschnationaler Burschenschaften, bei denen es gelinde gesagt an einem klaren Bekenntnis zur Demokratie mangelt. Knapp die Hälfte der FPÖ-Unterhändler in den Koalitionsgesprächen gehörten einer Verbindung an. Auch im Kabinett sitzen nun Burschenschaftler: neben Strache («Pennäler-Verbindung Vandalia») etwa auch Norbert Hofer. Der neue Infrastrukturminister und Fastbundespräsident ist Mitglied der «Pennal-conservativen Burschenschaft Marko-Germania zu Pinkafeld», die sich zur «deutschen Kulturgemeinschaft» bekennt und dem «gefährlichen Begriff ‹Pluralismus›» entgegenstellt.
Einschlägig bekannt ist auch der neue Innenminister Herbert Kickl. Der ehemalige Generalsekretär der FPÖ war früher Redenschreiber von Jörg Haider, zeichnet für Wahlslogans wie «Daham statt Islam» verantwortlich und betitelt KritikerInnen gerne als «linke Jagdgesellschaft». Alexander Höferl, bislang verantwortlich für das Internetportal unzensuriert.at, wird derweil neuer Kabinettssprecher. Auf dem Portal wird Stimmung gegen AusländerInnen und FPÖ-GegnerInnen gemacht. Als es nach der Vereidigung der schwarz-blauen, nein: türkis-blauen Regierung zu Protesten kam, titelte die Website: «Gelebte Demokratie: Demonstration der Naivlinge gegen die neue Regierung».
Anders als noch vor siebzehn Jahren, als die erste schwarz-blaue Koalition unter Wolfgang Schüssel aus Sicherheitsgründen unterirdisch zur Vereidigung schreiten musste, hielten sich die Proteste diese Woche vorerst aber in Grenzen. Österreich hat sich verändert, fremdenfeindliche Positionen sind keine rechte Randerscheinung mehr. Insbesondere auch die ÖVP unter Kurz hat das Feld in den vergangenen Jahren besetzt. Für das Bundeskanzleramt scheut er auch nicht die Koalition mit einer Partei, die keinerlei Berührungsängste mit rechtsextremen Kreisen kennt und deren VertreterInnen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Vielleicht meint Strache genau dieses skrupellose Machtstreben, wenn er von «politischer Reife» spricht?
Wer wissen will, welche Folgen dies haben kann, dem sei ein Blick in das Wiener Straflandesgericht empfohlen. Hier steht derzeit der wegen Korruption angeklagte Exfinanzminister Karl-Heinz Grasser vor Gericht. Grasser, Politstar der Ära Schüssel, diente das politische Amt letztlich nur zur Selbstbereicherung. Der Schaden für den österreichischen Staat dürfte in die Millionen gehen.