Rechtsruck in Österreich: Wo ist die antifaschistische Gegenmacht?

Nr. 40 –

Nach der Nationalratswahl steht Österreich eine schwierige Regierungsbildung bevor – und der Wahlsieg der FPÖ dürfte extrem rechte Positionen in der Gesellschaft weiter normalisieren.

Demonstrant:innen protestieren gegen die letzte Wahlkampfveranstaltung der FPÖ am Freitag in Wien
Sie werden nun noch wichtiger: Demonstrant:innen protestieren gegen die letzte Wahlkampfveranstaltung der FPÖ am Freitag in Wien. Foto: Askin Kiyagan, Getty

Das Video zeigt einen regnerischen Herbsttag, eine Trauergesellschaft zieht über den Friedhof von Wien Hernals. Die meisten Gäste tragen dunkle Anzüge, dazwischen ist eine altertümliche Uniform mit Degen und schwarz-rot-goldenen Bändern zu sehen, ein alter Herr der deutschnationalen Burschenschaft Olympia wird zu Grabe getragen. Neben rechtsextremen Bundesbrüdern und einem Führungskader der Identitärenbewegung laufen hochrangige FPÖ-Mitglieder mit, darunter der Nationalratsabgeordnete Harald Stefan sowie Parlamentsklubdirektor Norbert Nemeth. Beide gelten als enge Vertraute von Parteichef Herbert Kickl. Vor dem Grab angekommen, wird ein Lied angestimmt – das «Treuelied» der SS: «[Wir] woll’n predigen und sprechen / vom Heiligen Deutschen Reich.»

Abermaliger «Einzelfall»

Die Aufnahmen des Begräbnisses veröffentlichte die österreichische Tageszeitung «Standard» am Samstag – keine 24 Stunden vor der landesweiten Nationalratswahl am Sonntag. Seitdem beschäftigen sich die Behörden damit – wegen Verdacht auf NS-Wiederbetätigung. Die FPÖ-Wähler:innen liessen sich von diesem abermaligen «Einzelfall» jedoch nicht stören: Mit 28,8 Prozent fuhr die extrem rechte, 1956 von ehemaligen SS-Mitgliedern mitbegründete Partei unter ihrem Chef Kickl ihr bisher bestes Ergebnis ein und erzielte erstmals Platz eins bei einer Nationalratswahl.

Während alle anderen Parteien die FPÖ wegen des Naziliedvorfalls verurteilten, bezog sich die konservative Volkspartei ÖVP in ihrer Stellungnahme nicht auf die Partei insgesamt, sondern lediglich auf die «Kickl-FPÖ». Im Wahlkampf unterschied auch der aktuelle ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer stets zwischen Partei und Parteichef: Mit dem extremistischen, an Verschwörungserzählungen glaubenden Herbert Kickl sei kein Staat zu machen, in der Breite der Partei gebe es aber «sehr viele Vernünftige». Damit war die ÖVP die einzige Kraft, die sich eine Zusammenarbeit mit der FPÖ offenhielt.

Eine Partei, die freimütig NS-Diktion gebraucht, wenn sie etwa Kickl als «Volkskanzler» glorifiziert, und laut Programm die «Homogenität des Volkes» anstrebt. Eine Partei, die mit der Forderung nach «Remigration» – also der massenhaften Deportation von Menschen mit Migrationsgeschichte – den Identitären ganz offen nach dem Mund redet. Mit einem Parteichef, der zwei Tage nachdem er 2021 designierter Obmann seiner Partei geworden war, die Identitären als «interessantes und unterstützenswertes Projekt» bezeichnete.

Nun kursierten bereits am Tag nach der Nationalratswahl Fotos von Kickl bei der Wahlparty: mit Bewegungskadern, die ihre Hand zur «White Power»-Geste formen. Die FPÖ hat ihre Gesinnung in den vergangenen Jahren immer unverhohlener gezeigt – und zugleich haben die ÖVP und andere Parteien deren Inhalte und Forderungen teils übernommen und so salonfähig gemacht.

Ihr Erdrutschsieg könnte der FPÖ aber nun den Weg in Regierungsämter versperren. Solange die ÖVP zu ihrem Wort und die FPÖ zu ihrem Vorsitzenden steht, fehlen ihr Koalitionspartner. Dass Kickl so wie einst sein Ziehvater Jörg Haider einen «Schritt zur Seite» macht und auf Regierungsämter verzichtet, um eine Koalition mit der ÖVP zu ermöglichen, erscheint gerade angesichts seines grossen Erfolgs kaum vorstellbar. Zudem gibt die Verfassung Bundespräsident Alexander Van der Bellen (Grünen) weitgehende Freiheit dabei, wen er als Bundeskanzler angelobt. Noch am Wahlabend gab er zu verstehen, dass er diese auch zu nutzen gedenkt, um die liberale Demokratie zu schützen.

So könnte das Kanzleramt bei der ÖVP bleiben, trotz des Rekordverlusts der Partei, die am Sonntag auf 26,3 Prozent absank. Nehammers Strategie, eine Zusammenarbeit mit Kickl auszuschliessen, aber mehr oder weniger dasselbe wie dieser zu sagen und zu fordern, führte zu einer beispiellosen Wähler:innenabwanderung zur FPÖ. Vor den Konservativen liegen nun schwierige Koalitionsverhandlungen: mit der – unter Andreas Babler dezidierter links positionierten – SPÖ, die mit 21 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis von 2019 halten konnte; sowie vermutlich mit den liberalen Neos, die sich leicht auf 8 Prozent verbessern konnten. Wie so ein Bündnis angesichts der starken Differenzen von ÖVP und SPÖ aussehen soll  und ob sich Babler an der Spitze seiner notorisch zerstrittenen Partei halten kann, werden die nächsten Wochen und absehbar langwierige Verhandlungen zeigen.

Wie im Jahr 2000?

Sie könnten Erinnerungen an die Regierungsbildung im Jahr 2000 hervorrufen. Damals liess Wolfgang Schüssel von der drittplatzierten ÖVP die zähen Regierungsverhandlungen mit der erstplatzierten SPÖ platzen und sich von der zweitplatzierten FPÖ zum Regierungschef wählen. ÖVP-Bundespräsident Thomas Klestil blieb nichts anderes übrig, als einzelne Personalien zu verhindern.

Aktuell erscheint es unwahrscheinlich, dass sich Nehammer in einem ähnlichen Manöver der FPÖ als Juniorpartner andient. Aber: In drei Bundesländern hat die ÖVP in den letzten Jahren – trotz teils gegenteiliger Signale während der Wahlkämpfe – Regierungen mit der FPÖ gebildet. So etwa auch 2023 in Niederösterreich: Dort regiert die ÖVP zusammen mit FPÖ-Landesvize Udo Landbauer, der stellvertretender Vorsitzender der rechtsextremen Burschenschaft Germania war. Das Germania-Liederbuch wurde 2018 über die Landesgrenzen hinaus bekannt, weil sich darin Texte fanden, die unverhohlen den Holocaust und die SS rühmen. Dass die ÖVP darin kein unüberwindliches Hindernis zur Zusammenarbeit sieht, verheisst für die Zukunft des Landes nicht Gutes.