Lohnungleichheit: Entwicklungsland Schweiz

Nr. 28 –

Über 18 Prozent. So viel weniger verdienen Frauen als Männer in der Schweiz für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Das ergibt eine Lohnstrukturerhebung des Bundes.

Die Schweiz bleibt ein frauenrechtliches Entwicklungsland: Nachdem das Recht auf Lohngleichheit in der Uno-Menschenrechtserklärung schon 1948 explizit erwähnt worden war, wurde sie hierzulande erst 1996 gesetzlich verankert – derart vage allerdings, dass sie 21 Jahre später noch immer in weiter Ferne liegt.

Die nächstens zur Abstimmung kommende AHV-Reform bürdet den Frauen eine Erhöhung des Rentenalters auf. Umso dringlicher muss die Lohngleichheit vorangetrieben werden.

Zu den ohnehin schon fragwürdigen, weil nicht leistungsbezogenen Faktoren wie Bildungsstand oder Dienstalter, die zur Lohndiskriminierung führen, kommen weitere hinzu, die sich überhaupt nicht wegreden lassen: Um indirekte Diskriminierung im Fall von gleichwertiger Arbeit handelt es sich etwa, wenn in einer Grossbäckerei die Männer durchschnittlich pro Monat 700 Franken mehr verdienen als die Frauen – weil die körperliche Arbeit an den Teigmaschinen und Backöfen höher bewertet wird als die anstrengende Arbeit der Frauen am Fliessband, in der sie in höchster Konzentration Dekorationen auf Patisseriestücke platzieren müssen. Eine direkte Diskriminierung liegt zum Beispiel vor, wenn die administrative Leiterin eines Unternehmens plötzlich feststellt, dass die Etagenleiter deutlich mehr verdienen, obwohl diese Funktionen gemäss Aussagen des Vorgesetzten gleichgestellt sind.

Häufig aber werden Frauen auch in Fällen von genau gleicher Arbeit benachteiligt. Beispielhaft dafür ist ein Gerichtsfall, in dem sich eine Verkäuferin, die zwanzig Jahre im gleichen Geschäft arbeitete, mit einem neu eingestellten jungen Mitarbeiter konfrontiert sieht, der 600 Franken mehr verdient – mit der Begründung, dass er als potenzieller Filialleiter eingestellt worden sei.

Gemäss Gleichstellungsgesetz sind solche Diskriminierungen verboten. Um aber zu ihrem Recht zu kommen, muss eine Klägerin die Gleichwertigkeit der verschiedenen Tätigkeiten nachweisen. Das ist kompliziert und braucht oft spezielle Gutachten. Zudem macht sich eine Angestellte damit unbeliebt – und läuft Gefahr, am Ende gar noch schlechter dazustehen.

Jetzt hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein Massnahmenpaket zur Durchsetzung der Lohngleichheit in die Vernehmlassung geschickt: Unternehmen mit mehr als fünfzig MitarbeiterInnen sollen dazu verpflichtet werden, ihre Lohnstruktur regelmässig zu überprüfen, das Ergebnis kontrollieren zu lassen und darüber zu informieren. Das führt zu mehr Lohntransparenz. Zu viel mehr aber nicht. Aufgrund des Widerstands von bürgerlichen Parteien, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden will der Bundesrat auf Sanktionen verzichten und keine Behörde mit entsprechenden Kompetenzen ausstatten. Lohndiskriminierung bliebe somit «ein Kavaliersdelikt, dessen Behebung sozusagen auf freiwilliger Basis erfolgt», wie der Gewerkschaftsbund zu Recht anmerkt.

Wie man die Beweislast zum Besseren wenden könnte, zeigt Island. Dort sind Unternehmen ab 2018 gesetzlich verpflichtet, mit einem Zertifikat nachzuweisen, dass für gleichwertige Arbeit alle den gleichen Lohn erhalten. Bei der Umsetzung sind Gewerkschaften ebenso beteiligt wie Unternehmensorganisationen.

Will die Schweiz ihren Verfassungsauftrag erfüllen, muss das Parlament bei der Revision des Gesetzes entsprechend nachbessern. Ansonsten sieht es düster aus: Ausgehend davon, dass die Lohnungleichheit vor fünfzig Jahren etwa 34 Prozent betrug, wäre der Verfassungsauftrag bei gleich bleibendem Tempo erst 2075 umgesetzt. Der Bund selber hätte nun die Gelegenheit, schon mal vor den eigenen Türen zu wischen und die Lohngleichheit in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung einzuführen. Das wäre Sommarugas Vermächtnis. Die Erhebung, die der Bund veröffentlicht hat, hat nämlich auch ergeben: In der öffentlichen Verwaltung ist der Anteil an unerklärten Faktoren von Lohndiskriminierung sogar noch höher als in der Privatwirtschaft.