Von oben herab: Reich der Freiheit
Stefan Gärtner lobt die nordkoreanische Sportberichterstattung
Momentan ist es bei mir so, dass politische Gewissheiten reihenweise durcheinanderpurzeln. Eigentlich, zum Beispiel, bin ich kein Freund des chinesischen «China erwache»- und Orwell-Kapitalismus; aber dass sich da nun der Chef des deutschen Daimler-Konzerns vorauseilend und auf Knien dafür entschuldigt hat, dass in einer sozialmedialen Werbung ein Satz des Dalai Lama aufgetaucht war, da muss ich sagen: Hut ab. Das hat in bald siebzig Jahren BRD noch keine Regierung geschafft, dass sich ein Kapitalist, eine Kapitalistin bei ihr entschuldigt!
Nächster Fall: Nordkorea und Olympia, beides ja Peinphänomene erster Güte. Nach dem ersten Eishockeyspiel des gemeinsam mit dem Süden gebildeten Frauenteams aber hagelte es im nordkoreanischen Staatsfernsehen Lob: Die Spielerinnen hätten «mit Geschick» den Puck vorangetrieben, «sich in derselben Sprache» verständigt und insgesamt ihre Anstrengungen «gebündelt» – «das Ergebnis dieser Bemühungen – eine 0 : 8-Niederlage gegen die Schweiz – wurde im Bericht aber nicht erwähnt» (www.20min.ch). Kein Wort dazu. Fantastisch.
Es ist an dieser Stelle ja zuletzt um den Sport als Leistungs- und Konkurrenzverherrlicher gegangen, und die «TagesWoche» erfuhr von einem südkoreanischen Sportreporter, warum der lokalen Jugend Nordkorea wurscht ist; könnte sogar sein, sie findet Olympia redundant: «Der Druck, einen Job zu finden, auf der richtigen Universität zu studieren, das bessere Auto zu fahren – schon in der Schule gehe es nur um Noten, auch die Eltern interessiere nichts anderes.» So wie die Herrschaft, egal wo, an Olympia nur der Medaillenspiegel interessiert, weshalb die deutsche «Tagesschau» am ersten Olympiasamstag mit der Meldung eröffnete – doch, wirklich: eröffnete –, es habe «Gold für Deutschland» o. s. ä. gegeben. Und es plötzlich einen Grund gab, sich das nordkoreanische Staatsfernsehen in die Wohnstube zu wünschen, was den weiteren Vorteil hätte, dass man nicht ständig Leichen sähe noch verknautschte Polizeikräfte, die in Premiumlimousinen Designerwohnungen ansteuern, zwei Dinge, die es im nordkoreanischen Alltag erst gar nicht gibt.
In Südkorea hingegen geben die Spitzensportlerinnen, weil Spitzensport bekanntlich Geist und Körper in der Balance hält, als Hobby (laut «Bild») «Online-Shopping» an, während bei den nordkoreanischen Kolleginnen «nicht einmal eine Altersangabe» zu finden ist, eine Diskretion, die so vorbildlich dünkt wie die Unmöglichkeit, als Hobby «Online-Shopping» anzugeben. Denn zwar möchte ich gewiss kein Nordkoreaner sein, eine Eishockeyspielerin, die sich erst für nichts anderes als Noten interessieren muss und vom Zuchtsystem Spitzensport hernach zu einer leidenschaftlichen Onlineshopperin herabgewürdigt wird, aber auch nicht.
Und apropos spitzenmässig: Der eidgenössische Bundespräsident verfolgte das Spiel, in dem die einen geschickt den Puck vorantrieben und das die anderen 8 : 0 gewannen, «gemeinsam mit Spitzenpolitikern aus dem abgeschotteten Nordkorea. Fotos zeigen, wie Berset der Schwester von Machthaber Kim Jong Un sowie dem protokollarischen Staatschef Nordkoreas die Hand gibt und mit ihnen redet» (www.20min.ch), womöglich über den modernen Sport, der «dem aggressiven, praktischen Beutegeist» entspricht und «ins Reich der Unfreiheit» gehört, «wo immer man ihn auch organisiert» (Theo W. Adorno).
Falls nicht doch übers Onlineshopping.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.