Italien nach der Wahl: Die Sterne des Südens

Nr. 10 –

Der Movimento Cinque Stelle hat in Italien die Wahlen klar gewonnen. Alles PopulistInnen? Ganz so einfach ist es nicht.

Die Sorgen in Brüssel, Berlin und Paris sind gross. Nach Polen und Ungarn könnte sich nun ein weiteres Land den Vorgaben der EU-StrategInnen widersetzen: ausgerechnet Italien – Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, drittgrösste Wirtschaftsmacht des Kontinents.

Was die Sache aus der Sicht von EU-Kommissar Jean-Claude Juncker, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besonders schlimm macht: Die italienische Parlamentswahl von letztem Wochenende hat zwar Siegerinnen und Verlierer, aber keine regierungsfähige Mehrheit hervorgebracht. Damit droht politische Instabilität; für das EU-Führungstrio der grösste anzunehmende Unfall.

Den Rechtsschwenk des Wahlvolks, das zu 17,4 Prozent für die rassistische Lega gestimmt hat, sieht man im Vergleich dazu gelassen. Er war voraussehbar. Schuld daran hat nicht zuletzt die sozialdemokratische Regierung des Partito Democratico (PD): Premierminister Paolo Gentiloni und sein Innenminister Marco Minniti verwiesen im Wahlkampf stolz auf ihre «Leistungen» bei der Abwehr von MigrantInnen. Seit dem Deal mit Libyen schaffen diese es kaum mehr bis nach Italien – sie sitzen in libyschen Lagern fest. Die Regierung vermochte das Geschrei rassistischer HardlinerInnen damit jedoch nicht zu dämpfen. Vielmehr hat sie damit die Einwanderung zum Hauptproblem der italienischen Mehrheitsgesellschaft aufgeblasen.

Zur unmoralischen Konkurrenz, die sich die Parteien um eine möglichst harte Antimigrationspolitik lieferten, gehörte auch das feige Zurückweichen, wo entschiedene Gegenwehr gefordert gewesen wäre: Anfang Februar hatte Luca Traini, ein ehemaliger Lega-Kandidat, in Macerata sechs AfrikanerInnen durch Schüsse verletzt. Während der regierende PD der Protestdemonstration fernblieb, wurde in den Talkshows über Einwanderung diskutiert – die irre Einzeltäter wie Traini angeblich erst zu ihren Taten verleite.

Wirtschaftsthemen ohne Chance

Auch die Debatten über das zweite grosse Wahlkampfthema, die wirtschaftliche Lage des Landes, waren nicht dazu angetan, die Rechte in die Schranken zu weisen. PD-Sekretär Matteo Renzi gefiel sich darin, die Erfolge der eigenen Politik zu preisen. Doch was nützt der Verweis auf Wachstumsraten und gesteigerte Exporte denjenigen, die nach wie vor in Armut leben und sich von einem prekären Job zum nächsten hangeln? Das zu thematisieren, war das Anliegen der beiden linken Wahlalternativen: der Liberi e Uguali (Die Freien und Gleichen) und von Potere al Popolo (Die Macht der Bevölkerung).

Doch sie drangen nicht durch. Die Freien und Gleichen übersprangen mit 3,4 Prozent der Stimmen nur knapp die Drei-Prozent-Hürde. Die von Potere al Popolo erzielten 1,1 Prozent sind kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer. Dennoch will Potere al Popolo weitermachen – weniger bei Wahlen als mit gesellschaftlicher Arbeit an der Basis wie in Neapel (siehe WOZ Nr. 8/2018 ). Die Freien und Gleichen kündigen derweil die übliche «konstruktive Opposition» an – und den Dialog mit allen ausser den Rechten.

Nur wenige dürften die Hoffnung haben, dass der PD, der gerade einmal 18,7 Prozent der Stimmen erreichte, sich nun erneuert. Wichtiger ist nun die Auseinandersetzung mit den neuen MandatsträgerInnen der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle, M5S), die die Wahl mit 32,7 Prozent der Stimmen gewann. Auch nach dem weitgehenden Rückzug ihres autoritären Gründers Beppe Grillo, der dem jungen Strahlemann Luigi Di Maio Platz gemacht hat, bleibt M5S «mehr Sekte als Partei», wie die Zeitung «Il Manifesto» treffend schrieb. Gleichzeitig gelingt es der Partei – die weder rechts noch links sein will – immer wieder, soziale Proteste zu kapern. Das ist vor allem im Süden der Fall, wo sie an manchen Orten bis zu 60 Prozent holte.

Noch ist Italien nicht verloren

Erste Wahlanalysen liefern hierfür plausible Erklärungen. Im Süden funktioniere der alte Klientelismus nicht mehr, mit dem Jobs und Zuwendungen gegen WählerInnenstimmen getauscht wurden, so der Soziologe Pietro Fantozzi. Das führe zum Phänomen der «umgedrehten Personalisierung»: «Renzi dachte, dass das Mehrheitswahlrecht den weniger bekannten M5S-KandidatInnen schaden würde. Aber die Personalisierung funktionierte andersherum: Die Wähler stimmten für die Unbekannten, weil sie die Bisherigen abstrafen wollten.»

Hinzu kam ein noch handfesteres Motiv für die Wahl der Fünf-Sterne-Bewegung: ihre Forderung nach einem Grundeinkommen für Bedürftige von 780 Euro und nach einem Mindestlohn von 9 Euro. Auch wenn die 780 Euro kaum zum Leben reichen: Für die Masse der Armen im Süden des Landes wäre selbst das ein grosser Fortschritt.

Aber soziale Reformen stehen erst einmal nicht auf der Tagesordnung. Denkbar ist eine Übergangsregierung, deren Hauptaufgabe eine weitere Wahlrechtsreform wäre. Dass Lega und Fünf Sterne eine Regierung bilden, ist zwar nicht völlig auszuschliessen, aber derzeit sehr unwahrscheinlich. Und das ist auch gut so.