Von oben herab: Im Auftrag

Nr. 11 –

Stefan Gärtner über das Schweizer Königshaus

Man kann, lehrte Schopenhauer, zwar tun, was man will, aber man kann nicht wollen, was man will. Nietzsche, daran anknüpfend, schrieb, dass alles mit Notwendigkeit geschehe: «Niemand ist für seine Taten verantwortlich, niemand für sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht sein.»

Was passiert, passiert, und wenn Christoph Blocher sich aus dem Parteileitungsausschuss der SVP zurückzieht und seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher nachrückt, obwohl ihr Vater tags zuvor gesagt hat, sie wolle und werde nicht in den Parteileitungsausschuss nachrücken, und wenn die Tochter, weil alle sich wundern, die Freuden der Pflicht in Anschlag bringt: «Ich mache es, weil es nötig ist», dann hätte Nietzsche nicht gerichtet. Der war aber auch nicht Chefredaktor beim «Blick», wo man findet, wer politische Karriere machen will, der soll es zugeben und nicht die harte Notwendigkeit vorschicken: «Der höhere Auftrag! Es ist das zentrale Element der Selbstwahrnehmung des Blocher-Clans, der ideologische Kern des Machtanspruchs dieser Familie, einer der reichsten des Landes. Fragt sich bloss: Woher kommt dieser Auftrag? Von Gott persönlich?»

Natürlich; nämlich eben von Christoph («Gottvater») Blocher, der zwar als überzeugter Schweizer und Direktdemokrat glaubt, das Volk sei Gott, aber weiss, dass jemand diese Göttlichkeit kanalisieren und verkörpern muss. Gott lenkt, Blocher denkt, und mit Interesse mag der Patriarch beobachten, wie sich die Kommunistische Partei Chinas ihrem neuen weisen Führer Xi Jinping unterwirft, der soeben, jawohl, Verfassungsrang erhalten hat. Eine totale (sic) Verrücktheit einerseits, ein leuchtendes Beispiel andererseits, denn Xi lenkt und denkt, und mit so etwas Umständlichem wie direkter Demokratie hält er sich nicht auf.

Da mag eins dann ins Grübeln kommen.

In China beginnt jetzt offiziell eine «neue Ära», die den «chinesischen Traum» wahr werden lassen soll, und warum, denkt Christoph Blocher sich vielleicht, soll er da keinen «helvetischen Traum» haben dürfen? Schön, Führerschaft auf Lebenszeit, das ist mit bald 78 nicht mehr so interessant. Aber unter der vor Lebenslust schier platzenden Tochter, dem Alten wie mit dem Schweizermesser aus dem Gesicht geschnitzt, könnte es doch ein paar Jahrzehnte weitergehen, während sich wie in China ganze Universitätsinstitute mit dem «Christoph-Blocher-Denken» beschäftigen und jedes seiner goldenen Worte auf die dafür vorgesehene Waage legen: «Ich wurde als Bundesrat abgewählt, weil ich alles richtig gemacht habe.» – «Die heutige Tendenz, die Volksrechte leichtfertig durch sogenanntes ‹Völkerrecht› zu ersetzen, nimmt beängstigend zu.» – «Niemand hat die Absicht, eine Mauer in Chiasso zu errichten.» Und so furchtbar weit ist das heimische Konkordanzprinzip von den Akklamationsorgien des chinesischen Volkskongresses ja nun nicht entfernt.

Und ausserdem, es muss sein. Xi Jinping, Erdogan, Hitler: All diese charismatischen Politiker haben es gemacht, weil es nötig ist. Weil alte Träume und neue Ären nun einmal nach Inkarnationen verlangen und es diesbezüglich eine sehr verlässliche «Vorsehung» (Oskar Freysinger) gibt. Und warum denn, glauben Sie, schreibe ich diese Kolumne? Aus Karrieregründen, wie der «Blick» vermutlich glaubt? «Yeah, right» (Jerry Seinfeld). Nein: weil es nötig ist. Und damit mein kleiner Sohn sie aus Notwendigkeit einmal erben kann.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.