Sachbuch: Sehnsucht nach Normalität
«We are Family», der Discoklassiker von Sister Sledge, stürmte 1979 die Hitparaden und hallt noch heute im kollektiven Gedächtnis nach. Nun dient der Ohrwurm als Ausgangspunkt und als affektiver Horizont für «Feeling Family», Yv E. Nays Studie zu sogenannten Regenbogenfamilien, dem neusten Werk aus dem Labor der Schweizer Geschlechterforschung. Es wird also Familie gefeiert – doch was heisst hier Familie?
Denn wer dabei an den Jubel der LGBTQ-Community denkt, mit dem die verschiedenen Stufen rechtlicher Anerkennung hin zur Homoehe mit Adoptionsrecht gefeiert werden, verfehlt die Vielfältigkeit und Komplexität dessen, was eine Familie sein kann. Das Modell der gleichgeschlechtlichen Homoehe mit Kind(ern) sei eine «Verengung», schreibt Nay. Denn die neue Sichtbarkeit von Regenbogenfamilien überschattet die vielfältigen historischen und gegenwärtigen Entwürfe von gelebter Solidarität und Wahlverwandtschaft in lesbisch-queeren Gemeinschaften und in Communities of Color, die nicht auf genetischer Blutsverwandtschaft oder romantischen Liebesversprechen gründen. Die Erinnerung an diese historische Abwesenheit rahmt Nays Untersuchung.
Die Anziehungskraft von «Feeling Family» liegt darin, dass Nay den affektiven Wirkungsweisen nachspürt, die in der Formierung von Regenbogenfamilien im Spiel sind – allen voran die Sehnsucht nach Normalität. Nay schreibt: «Das Festhalten an der fantasmatischen Figur der ‹glücklichen› (Klein-)Familie kann als Versuch gelesen werden, das ‹desorganisierte Leben› in derzeitigen neoliberalen, heteronormativen, gesundheitsorientierten, rassistischen, kulturalistischen und transnational zusammenhängenden Gesellschaftsverhältnissen zu entschärfen, zu vereinfachen und lebbar(er) zu gestalten.» Jedoch läuft dieses verständliche Begehren, einer gesellschaftlichen Mitte anzugehören, den intendierten politischen Zielen einer transnationalen LGBTQ-Community entgegen. So plädiert Nay für einen «durchaus gewagten Entwurf queerfeministischer Politiken», die von einem Begehren nach Transformation geleitet sind.
Yv E. Nay: Feeling Family. Affektive Paradoxien der Normalisierung von «Regenbogenfamilien». Zaglossus Verlag. Wien 2017. 452 Seiten. 29 Franken