Von oben herab: Hasen im April

Nr. 14 –

Stefan Gärtner rettet den Aprilscherz

Die Wiederauferstehung des Erlösers der Welt auf den 1. April zu legen, damit hatte der HErr dieses Jahr natürlich uneinholbar vorgelegt, und also müssen sich die helvetischen Aprilscherze, soweit sie mir und einer grösseren Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt sind, auch nicht schämen: Ob nun die Young Boys Bern zwanzig Punkte Abzug zu gewärtigen hatten, weil ihr Stadionrasen der Fifa um ein paar Zentimeter zu hoch war («SonntagsZeitung»), oder im Zürcher Grossmünster die Filiale einer Fastfoodkette eröffnen wollte (NZZ); ob der Plan laut «Zentralschweiz am Sonntag» war, den Wasserspiegel des Sempacher Sees um 35 Zentimeter abzusenken, damit ein Radrundweg entstehe, oder die Junge CVP Zürich wider die «unkontrollierte Zuwanderung aus dem Aargau» trommelte – gegen GOtt höchstselbst wurden noch die engagiertesten Scherzversuche klein, was in der Natur der Sache liegt.

«Dass heutzutage jeder lustig sein muss, vor allem aber natürlich die Mediokren, die Lautsprecher, die Nervensägen, die Opdenhövels dieser Welt», hat «Titanic»-Kollege David Schuh mit Blick auf die ekelhaft symptomatische ARD-Sportskanone Matthias Opdenhövel angezeigt; darum und weil Fake News zum Alltag geworden sind, wirken Aprilscherze so aus der Zeit gefallen. Überhaupt, das ist die Erfahrung aus einem Jahrzehnt als Satireredakteur, glauben die Leute im Grunde alles; unvergesslich (jedenfalls mir) der Moment, als ich mit Ende zwanzig als angeblicher SPD-Kandidat für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten vor Frankfurter Wohnungstüren stand und nicht etwa vermöbelt, sondern hereingebeten wurde. Es gab sogar zu trinken.

Die Satire zielte damals darauf, dass den tatsächlichen SPD-Kandidaten kein Aas kannte; doch was fängt Satire an, wenn die Leute eh alles glauben? Sie kehrt etwa zum Kerngeschäft zurück und macht Grosses klein, und also muss der Profi ausgerechnet der JCVP einen Blick fürs Komische attestieren: Den Überfremdungswitz, mit Offenbach als Aargau und Frankfurt als Zürich, hätte ich als kommender Ministerpräsident ebenfalls machen können. Und habe ich, gegen Ende meiner Redaktionszeit, nicht in irgendeiner Fussgängerzone gestanden und über die geplante Flutung der Region informiert, weil die SPD (wer sonst) eine Talsperre plane? Und war das, Machbarkeitswahn und rücksichtslose Instrumentalität auf die «Schippe» (sic!) nehmend, der Senkung von Seespiegeln nicht immerhin verwandt?

Dialektik will es, dass in Zeiten, die sich aus Lüge, Halbwahrheit und dem «in seiner Allgegenwart nervtötenden ‹flotten› Spruch» (David Schuh) zu einem sagenhaft schlechten Gesamtscherz fügen, mir der harmlos-naive Aprilspass als etwas Zartes, ja geradezu Humanes einzuleuchten beginnt, weist er doch in diskreter Isolation und mit kindlicher Geste («Ätsch, hereingelegt!») auf die Wahrheit, die er nicht ist, auf «wahr» und «falsch» als eben überhaupt nicht überholte Dichotomie, sowenig schlechthin unnötig wie die zwischen Ernst und Jux, obzwar uns jedes dumme Frühstücksradio vom Gegenteil überzeugen will.

Und wie jeder Witz kann auch der Aprilscherz einen Abgrund öffnen, so wie mir am Ostersonntag die kleine Tochter eines Bekannten «Oh, ein Hase!» zurief, wo freilich keiner war; und ich aus dem April mit der Erkenntnis zurückkehrte, dass ichs ja hätte wissen können. Nicht des Datums wegen. Sondern weil es, meldet der Tierschutz, fast keine Hasen mehr gibt.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.