Plädoyer 3: Graphic Novel: «Zap! Zonk! Staun!»
Laut und leise, Sozialkritik und Satire, Unterhaltung und bitterer Ernst – der Comic kann alles.
Zugegeben: Eine Graphic Novel setzt Staub an wie jedes andere Buch auch, und nicht immer ist die Lektüre leichter. Art Spiegelmans komplettes Holocaust-Drama «Maus» etwa wiegt als Paperbackausgabe 855 Gramm – da nützt es wenig, wenn die Zügelkiste mit «Comics» angeschrieben ist.
Und wie ein Buch kann auch die Graphic Novel – wie der Comic für verschreckte BuchhändlerInnen heisst – eine Biografie prägen, ach was: versauen! Sympathien für Donald Duck oder Gaston Lagaffe? Das wars dann wohl mit der Aussicht auf eine gutbürgerliche Karriere. Ein Faible für Hergés puritanische Ligne claire? Puff!, macht das barocke Lebensgefühl und löst sich in einem Duftkerzenwölkchen auf.
Ganz zu schweigen von den bewusstseinserweiternden Entdeckungen, die man als Spross verhinderter AltachtundsechzigerInnen in der Bibliothek des Vertrauens – dem stillen Örtchen diverser Bekannter – machte: Massenorgien mit Fritz the Cat, Kiffen mit den Freak Brothers und endlos Endzeitstimmung in «Métal hurlant».
Und wo das Kopfkino gerade so schön läuft: Natürlich macht auch der Comic nichts anderes als ein Film, der fleissig Bild an Bild reiht und dabei den Eindruck erweckt, er sei vollständig. Dabei ist alles nur ein Bluff – ausser man heisst Chris «Jimmy Corrigan» Ware und zeichnet seitenweise Panels, die sich so eintönig anfühlen wie die Echtzeit selbst.
Und wo es in Büchern zu viele Wörter und unbeholfene Wortbilder gibt, zeigt der Film halt her, was er hat: überbeleuchtete Stars in weit, weit entfernten Galaxien zum Beispiel, die man sich aus den Weltraumepen von Jean-Claude Mézières («Valerian und Veronique») oder Moebius («Arzach») für ein stupendes Budget zusammenstoppelt. Dass die Filmindustrie glaubt, selber bessere Comics zu machen, ist ganz amüsant.
«Ja, wie jetzt?», fragen sich die LeserInnen an dieser Stelle. «Das soll ein Plädoyer für die Neunte Kunst sein, die nichts wirklich besser kann als andere Medien auch, höchstens günstiger?» Ganz genau. Aber: Der Comic kann alles gleichzeitig. Laut und leise, Sozialkritik und Satire, Unterhaltung und bitterer Ernst. Plansequenz und Freeze Frame: Bildergeschichten können sogar an einer Wand hängen. Dass der Comic trotz seiner kreativen Möglichkeiten weiter ein Schattendasein fristet, ist Fluch und Segen zugleich: Nirgends ist die Freiheit grösser. Oder um es mit einer Sprechblase zu sagen: «Zap! Zonk! Staun!»
Hannes Nüsseler (44) ist Journalist und lebt in Basel. Zuletzt ist von ihm der Comic «Das Haus am Wald» bei Edition Moderne erschienen.