Korruption: Zweifelhafter Besuch in Bern
Diese Woche ist einer der korruptesten Politiker Rumäniens auf offiziellem Besuch in der Schweiz. Der Besuch hat das Urteil in einem Amtsmissbrauchsverfahren verzögert, das ihm über sieben Jahre Gefängnis einbringen könnte.
Der Bundesrat verfolgt Rumäniens Entwicklung «sehr aufmerksam». Das weiss man aus dessen Stellungnahme zu einer SP-Interpellation. Man sei sich der Korruption bewusst, schrieb der Bundesrat Anfang Mai. Trotzdem mussten Bundespräsident Alain Berset und Aussenminister Ignazio Cassis Liviu Dragnea, einem der korruptesten Politiker Rumäniens, Ende Mai die Hand geben. Die Parlamentsdienste betonen, dass es keine Gespräche zwischen dem Bundesrat und Liviu Dragnea gab.
Verhindertes Eildekret
Liviu Dragnea ist Präsident der sozialdemokratischen PSD und das eigentliche Machtzentrum der letzten vier rumänischen Regierungen. Weil er wegen Wahlfälschung vorbestraft ist, ist er nur Präsident des Abgeordnetenhauses und nicht Ministerpräsident. Dragnea war vom 29. Mai bis zum Erscheinungstag dieser WOZ auf offiziellem Besuch in der Schweiz. Ins Bundeshaus eingeladen hat ihn sein Schweizer Pendant: Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP). Und dies, obwohl Dragnea momentan in mehreren Verfahren angeklagt ist. Es geht um Geldwäscherei, Gründung einer kriminellen Vereinigung und Amtsmissbrauch. Im Amtsmissbrauchsverfahren fordert die Staatsanwaltschaft siebeneinhalb Jahre Gefängnis; die Mitangeklagten sind geständig und Dragnea momentan noch auf Bewährung. Das Urteil war auf den 29. Mai geplant. Gross war die Empörung, als die rumänische Öffentlichkeit in der Vorwoche erfuhr, dass Dragnea während der Urteilsverkündung auf Staatsspesen in die Schweiz reist.
Dass das Treffen mit dem Urteil zusammenfällt, ist laut den Schweizer Parlamentsdiensten Zufall. Bereits im Februar habe man sich auf dieses Datum geeinigt. Auch wenn es ein Zufall ist, scheint de Buman die Entwicklungen in Rumänien weniger aufmerksam zu verfolgen als der Bundesrat: Bereits im Februar versuchte Dragneas Justizminister, die Leiterin der Antikorruptionsbehörde zu entlassen. Und bereits im Februar 2017 waren Hunderttausende RumänInnen gegen ein Eildekret der frisch vereidigten Regierung unter PSD-Führung auf der Strasse. Das verhinderte Eildekret wäre in Dragneas persönlichem Interesse gewesen: Es sollte das Amtsmissbrauchsverfahren verhindern.
Korruption nicht mehr bestrafen?
29. Mai, neun Uhr morgens: Das höchste Gericht Rumäniens verkündete die Verschiebung des Urteils. Das nützt Dragnea. Bevor sein Flieger in die Schweiz startete, hatte er der PSD-Fraktion noch eingetrichtert, dass die Justizreform vor den Sommerferien durchgebracht werden müsse: Korruptionsdelikte sollen aus dem Strafrecht verschwinden, Gerichte und StaatsanwältInnen kontrolliert werden. Während Dragnea seine Partei auf die Aushöhlung der Justiz einschwor, flatterte am Bundeshaus bereits die Rumänienflagge.
Die Medienmitteilung des Bundes zum Treffen gewichtet Rumäniens wirtschaftliche Bedeutung für die Schweiz. Die Schweiz sei ein grosser Investor und die Wirtschaftsbeziehungen bereits seit den neunziger Jahren eng. Man wäre gerne dabei, wenn der mächtigste Politiker Rumäniens und Dominique de Buman über Investitionen in Rumänien sprechen. Dragnea hätte da wohl noch ein paar Insights: Die rumänische Staatsanwaltschaft wirft ihm die Gründung einer kriminellen Vereinigung vor. Die 2001 von ihm mitlancierte Tel Drum SA sei eine Scheinfirma, die nur zur Erschleichung öffentlicher Mittel existiere. Diese Scheinfirma habe 7,5 Millionen Franken in Rumänien und 21 Millionen Euro Subventionen der Europäischen Union erschlichen.
Am Mittwoch entschied das rumänische Verfassungsgericht auch noch über die Entlassung der höchsten Korruptionsbekämpferin Laura Codruta Kövesi: Sie muss nun definitiv gehen. Der Zeitpunkt für Dragneas Besuch in Bern könnte also kaum schlechter sein. «Die Aussenwirkung dieser Einladung ist, dass der Nationalrat korrupte politische Machenschaften in Rumänien unterstützt», schrieb #RezistZurich in einem offenen Brief. Im Verein #RezistZurich sind regierungskritische RumänInnen in der Schweiz organisiert.