Korruption: Zweifelhafter Besuch in Bern

Nr. 22 –

Diese Woche ist einer der korruptesten Politiker Rumäniens auf offiziellem Besuch in der Schweiz. Der Besuch hat das Urteil in einem Amtsmissbrauchsverfahren verzögert, das ihm über sieben Jahre Gefängnis einbringen könnte.

Der Bundesrat verfolgt Rumäniens Entwicklung «sehr aufmerksam». Das weiss man aus dessen Stellungnahme zu einer SP-Interpellation. Man sei sich der Korruption bewusst, schrieb der Bundesrat Anfang Mai. Trotzdem mussten Bundespräsident Alain Berset und Aussenminister Ignazio Cassis Liviu Dragnea, einem der korruptesten Politiker Rumäniens, Ende Mai die Hand geben. Die Parlamentsdienste betonen, dass es keine Gespräche zwischen dem Bundesrat und Liviu Dragnea gab.

Verhindertes Eildekret

Liviu Dragnea ist Präsident der sozialdemokratischen PSD und das eigentliche Machtzentrum der letzten vier rumänischen Regierungen. Weil er wegen Wahlfälschung vorbestraft ist, ist er nur Präsident des Abgeordnetenhauses und nicht Ministerpräsident. Dragnea war vom 29. Mai bis zum Erscheinungstag dieser WOZ auf offiziellem Besuch in der Schweiz. Ins Bundeshaus eingeladen hat ihn sein Schweizer Pendant: Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP). Und dies, obwohl Dragnea momentan in mehreren Verfahren angeklagt ist. Es geht um Geldwäscherei, Gründung einer kriminellen Vereinigung und Amtsmissbrauch. Im Amtsmissbrauchsverfahren fordert die Staatsanwaltschaft siebeneinhalb Jahre Gefängnis; die Mitangeklagten sind geständig und Dragnea momentan noch auf Bewährung. Das Urteil war auf den 29. Mai geplant. Gross war die Empörung, als die rumänische Öffentlichkeit in der Vorwoche erfuhr, dass Dragnea während der Urteilsverkündung auf Staatsspesen in die Schweiz reist.

Dass das Treffen mit dem Urteil zusammenfällt, ist laut den Schweizer Parlamentsdiensten Zufall. Bereits im Februar habe man sich auf dieses Datum geeinigt. Auch wenn es ein Zufall ist, scheint de Buman die Entwicklungen in Rumänien weniger aufmerksam zu verfolgen als der Bundesrat: Bereits im Februar versuchte Dragneas Justizminister, die Leiterin der Antikorruptionsbehörde zu entlassen. Und bereits im Februar 2017 waren Hunderttausende RumänInnen gegen ein Eildekret der frisch vereidigten Regierung unter PSD-Führung auf der Strasse. Das verhinderte Eildekret wäre in Dragneas persönlichem Interesse gewesen: Es sollte das Amtsmissbrauchsverfahren verhindern.

Korruption nicht mehr bestrafen?

29.  Mai, neun Uhr morgens: Das höchste Gericht Rumäniens verkündete die Verschiebung des Urteils. Das nützt Dragnea. Bevor sein Flieger in die Schweiz startete, hatte er der PSD-Fraktion noch eingetrichtert, dass die Justizreform vor den Sommerferien durchgebracht werden müsse: Korruptionsdelikte sollen aus dem Strafrecht verschwinden, Gerichte und StaatsanwältInnen kontrolliert werden. Während Dragnea seine Partei auf die Aushöhlung der Justiz einschwor, flatterte am Bundeshaus bereits die Rumänienflagge.

Die Medienmitteilung des Bundes zum Treffen gewichtet Rumäniens wirtschaftliche Bedeutung für die Schweiz. Die Schweiz sei ein grosser Investor und die Wirtschaftsbeziehungen bereits seit den neunziger Jahren eng. Man wäre gerne dabei, wenn der mächtigste Politiker Rumäniens und Dominique de Buman über Investitionen in Rumänien sprechen. Dragnea hätte da wohl noch ein paar Insights: Die rumänische Staatsanwaltschaft wirft ihm die Gründung einer kriminellen Vereinigung vor. Die 2001 von ihm mitlancierte Tel Drum SA sei eine Scheinfirma, die nur zur Erschleichung öffentlicher Mittel existiere. Diese Scheinfirma habe 7,5 Millionen Franken in Rumänien und 21 Millionen Euro Subventionen der Europäischen Union erschlichen.

Am Mittwoch entschied das rumänische Verfassungsgericht auch noch über die Entlassung der höchsten Korruptionsbekämpferin Laura Codruta Kövesi: Sie muss nun definitiv gehen. Der Zeitpunkt für Dragneas Besuch in Bern könnte also kaum schlechter sein. «Die Aussenwirkung dieser Einladung ist, dass der Nationalrat korrupte politische Machenschaften in Rumänien unterstützt», schrieb #RezistZurich in einem offenen Brief. Im Verein #RezistZurich sind regierungskritische RumänInnen in der Schweiz organisiert.

Nachtrag vom 28. Juni 2018 : Dragneas Kampf für alle korrupten Gefangenen

In Bukarest werden in diesen Wochen viele Vuvuzelas geblasen. Nicht aber von Fussballfans. DemonstrantInnen lassen die Tröten ertönen – gegen die Korruption.

Liviu Dragnea, als Parlamentspräsident mächtigster Politiker Rumäniens, wurde vergangene Woche vom obersten rumänischen Gericht zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Verkündung ist verschoben worden, weil Dragnea auf Einladung des Nationalratspräsidenten in der Schweiz weilte. Dragnea soll wegen Amtsmissbrauch ins Gefängnis. Vorerst jedoch ändert das neue Urteil wenig: Er kann in Berufung gehen, und die Unterstützung seiner Partei, der sozialdemokratischen PSD, ist ihm sicher.

Nach dem Urteil erklärte Dragnea, dass sich die PSD radikalisieren werde. Sie werde zerstören, was er «illegitimen Parallelstaat» nennt oder mit der Securitate gleichsetzt, der Staatssicherheit in der Ceausescu-Diktatur. Mit dieser «Staatssicherheit» jedoch meint Dragnea – dessen PDS eine der Nachfolgeparteien von Ceausescus Kommunistischer Partei ist – die unabhängige Justiz.

In seinem Kampf für alle korrupten Gefangenen kann sich Dragnea auf eine komfortable Parlamentsmehrheit verlassen. Auch die sozialliberale Regierung und das Verfassungsgericht, dessen Mitglieder fast alle von der PSD berufen wurden, unterstützen ihn. Kurz vor Dragneas neuster Verurteilung beschloss das Parlament zudem eine Justizreform. Nun muss ein Urteil, das nicht die Unterschriften aller RichterInnen trägt, neu verhandelt werden – auch jenes, mit dem Dragnea 2016 wegen Wahlfälschung verurteilt worden war, bei dem jedoch die Unterschrift eines Richters fehlt, der damals gerade in Rente ging. Zudem hebelt die Justizreform in Korruptionsermittlungen jeglichen Schutz für WhistleblowerInnen aus und erschwert die Verfahrenseröffnung.

Wie Dragneas Verurteilung ist die Justizreform noch nicht rechtskräftig. Staatspräsident Klaus Iohannis, der der Opposition nahesteht, kann ein Veto einlegen – das jedoch wiederum durch einen Parlamentsentscheid nichtig gemacht werden kann. In Rumänien dauert der Wettkampf zwischen den Gewalten um die Gewaltenteilung bereits anderthalb Jahre – und geht weiter.

Benjamin von Wyl