Reproduktionsrechte: Irlands stille Revolution

Nr. 22 –

Zwei Drittel der IrInnen stimmen für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Das Ergebnis ist auch ein deutliches Zeichen gegen den drohenden Backlash in Europa.

Die Sensation ist perfekt – und Irland singt und tanzt: Vor dem Parlament in Dublin hat sich am vergangenen Samstag eine Menschenmenge versammelt, um den Sieg der «Yes»-Kampagne zu feiern, die Tatsache also, dass zwei Drittel aller IrInnen die reproduktiven Rechte der Frauen anerkennen und Schwangere nicht mehr unter allen Umständen zur Austragung des Kindes verdammen.

«Yes, yes, yes», skandieren die Frauen. Manche sind sogar aus dem Ausland angereist, um an der Abstimmung teilzunehmen. «Mein Herz ist voller Freude», verkündet Ailbhe Smyth, eine der Initiatorinnen der Kampagne, «ich bin stolz auf unsere Frauen, auf unsere Männer, auf Irland.» Der britische «Guardian» kommentierte erleichtert: «Der Albtraum ist vorbei.»

Rabiate Modernisierung

35 Jahre hat es gedauert, eines der restriktivsten Abtreibungsverbote weltweit zu kippen. 1983 erkannte die irische Verfassung dem ungeborenen Kind dieselben Rechte zu wie der Frau, eine Gegenkampagne war damals gescheitert. Ein Abbruch war seither selbst dann verboten, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung und eines Inzests oder der Fötus nicht lebensfähig war. 2012 erregte der Fall Savita Halappanavar die Öffentlichkeit, der die Ärzte gesagt hatten, dass ihr Fötus nicht würde überleben können. Dennoch durfte sie nicht abtreiben, am Ende starb sie selbst an einer Infektion. Hätte Halappanavar abgetrieben, hätten ihr bis zu vierzehn Jahre Haft gedroht.

Das irische Parlament hat nun angekündigt, ein liberales Abtreibungsrecht mit einer Zwölf-Wochen-Fristenregelung auf den Weg zu bringen. Leo Varadkar, der irische Ministerpräsident, hatte sich selbst auf die «Yes»-Seite geschlagen und beglückwünschte sein Land nun zum Ausgang des Referendums: «Was wir heute sehen, ist der Höhepunkt einer stillen Revolution, die in Irland in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren stattgefunden hat.» Damit spielt er darauf an, dass sich die IrInnen bereits vor drei Jahren als weltweit erste Nation für die Einführung der Homoehe entschieden haben, wobei Varadkar, der sich damals als schwul geoutet hat, selbst Teil dieser Revolution ist.

Mit dem überraschend klaren Ergebnis des Referendums hat Irland bewiesen, dass das Image eines extrem konservativ-katholischen Landes nicht mehr der Gegenwart entspricht. Der Modernisierungsprozess der letzten Jahrzehnte, der die agrarisch geprägte Insel an der europäischen Peripherie zu einer Schaltzentrale der digitalen Gesellschaft transformiert hat, hinterliess tiefe mentale Spuren.

Und mit dem Einzug der Grosskonzerne hat sich auch die Sozialstruktur bis in die ländlichen Regionen verändert. Der Einfluss der katholischen Kirche schwindet immer mehr, auch wegen der vielen Missbrauchsskandale. Die Kirche hielt sich mit einer Stellungnahme zum Ausgang des Referendums zurück, ein Vertreter der Pro-Life-Bewegung sprach derweil von einer «Tragödie historischen Ausmasses». Von 40 Wahlkreisen haben 39 für die Liberalisierung gestimmt, lediglich Donegal am nordwestlichen Zipfel der Insel votierte für die Aufrechterhaltung des strikten Verbots.

Kulturkampf auf allen Kanälen

Vorangegangen war dem Referendum ein heftiger Kulturkampf. AbtreibungsgegnerInnen posteten auf Plattformen wie Facebook und Youtube grausame Bilder, Videos und Botschaften. Wie in anderen Ländern, in denen es Auseinandersetzungen um den Schwangerschaftsabbruch gibt, mischten dabei auch evangelikale AbtreibungsgegnerInnen aus den USA mit. Die Entscheidung der Digitalkonzerne, vor dem irischen Referendum keine entsprechenden Anzeigen mehr aus dem Ausland zu posten oder die Portale für dieses Thema gleich ganz zu sperren, mag man in der Sache begrüssen, sie hatte aber auch Auswirkungen auf die Pro-Choice-Bewegung, die den digitalen Raum ebenfalls nicht mehr nutzen konnte.

Leah Hoctor, Direktorin des Center for Reproductive Rights, nennt das, was sich in Irland ereignet hat, eine «Zeitenwende». Sie hatte zwei Irinnen bei ihrer Klage vor dem Menschenrechtskomitee der Uno vertreten, recht bekommen und damit das Referendum überhaupt erst ermöglicht. Das irische Abtreibungsrecht breche den Uno-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, so das Komitee; es verurteilte den irischen Staat deswegen zu einer Kompensationszahlung von 30 000 Euro an die klagende Amanda Mellet.

Auch die grüne Europapolitikerin Terry Reintke würdigte den Ausgang des Referendums als «Meilenstein für die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung». Für die 1,25 Milliarden Mädchen und Frauen weltweit, die keinen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben, ist das Votum ein Hoffnungsschimmer und ein Fanal gegen alle Versuche, relativ liberale Abtreibungsregelungen zu verschärfen.

Immer wieder im Fokus: Polen

Denn auch wenn das restriktive Verfassungsrecht in Irland nun fällt, gibt es europäische Länder, in denen Frauen unter verheerenden Bedingungen ihre Schwangerschaft abbrechen müssen, oder Bestrebungen, den Schwangerschaftsabbruch zu erschweren. Malta ist nun das einzige der 28 EU-Länder, das Abtreibung generell verbietet, in Andorra ist Abtreibung nur erlaubt, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist, in Liechtenstein und San Marino gelten ähnliche Regelungen. Auch die eine Million nordirischen Frauen, für die das britische Recht nicht gilt, dürfen nun auf Liberalisierung hoffen.

Polen ist in den letzten Jahren immer wieder in den Fokus gerückt, weil die rechtskonservative Regierungspartei PIS versucht hat, die Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs zu verschärfen. Dabei ist Abtreibung dort ohnehin nur nach einer Vergewaltigung oder nach medizinischer oder eugenischer Indikation möglich – also wenn das Leben der Frau gefährdet ist oder der Fötus schwere Missbildungen aufweist –, und ÄrztInnen dürfen den Schwangerschaftsabbruch aus Gewissensgründen verweigern.

Der Vorstoss löste seitens der Frauen Massenproteste aus, die die PIS zunächst zum Rückzug zwangen. Doch im Januar stimmte der Rechtsausschuss im polnischen Parlament einem Gesetzesentwurf zu, mit dem nun zumindest die eugenische Indikation kassiert wird. Das mag im Hinblick auf die Uno-Behindertenkonvention sogar nachvollziehbar sein, doch «es geht gar nicht darum, Abtreibungen zu verhindern», so Anita Kucharska-Dziedzic, Gründerin der Pro-Choice-Organisation Baba, sondern darum, «mit Angst zu regieren». Denn «wer die Macht über intime Entscheidungen des Menschen gewinnt, der hat die ganze Macht über ihn».

In Spanien scheiterte 2014 ein Versuch, die seit 2010 geltende Fristenregelung rückgängig zu machen, allerdings müssen abtreibungswillige Frauen, die noch keine achtzehn Jahre alt sind, nun eine Einverständniserklärung der Eltern vorlegen. Und in Deutschland gibt es noch immer das in Paragraf 218 verankerte Abtreibungsverbot, auch wenn Frauen, die sich beraten lassen und die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen abbrechen, nicht bestraft werden. Die Auseinandersetzung konzentriert sich derzeit auf den Paragrafen 219a, der ärztliche Informationen über den Schwangerschaftsabbruch als «Werbung» deklariert und die betreffenden ÄrztInnen kriminalisiert. Die vielfach geforderte Streichung des Paragrafen scheitert derzeit an den Hardlinern in der Union/SPD-Koalition.

Der «Meilenstein», von dem die Grünen-Politikerin Reintke spricht, sollte in Irland also möglichst bald verankert und in Gesetz gegossen werden. Solange Neokonservative, Nationalisten und militante Abtreibungsgegner den weiblichen Körper zum Schlachtfeld erklären und die Krise weisser Männlichkeit den Backlash begünstigt, bleibt das Thema Abtreibung auch nach dem Fall des irischen Abtreibungsverbots wohl auf der europäischen Agenda.