Von oben herab: Schmalspur, extrabreit
Stefan Gärtner über automobile Militarisierung
Eigentlich hatte ich mir ja ein Moratorium verordnet, was Betrachtungen zu den Themen «Stadtgeländewagen» und «Funktionskleidung» angeht, damit das Publikum nicht irgendwann mit den Augen rollt: Ah, der Gärtner schon wieder mit SUV-Kritik oder einer gepfefferten Polemik wider Leute in Jacken, die die fanatische Funktions- und Resilienzgesinnung so hässlich auf ihren eigenen Begriff bringen!
Aber was soll ich machen: «Die Schweizer lieben Geländewagen und SUV – doch die Strassen sind für sie oft zu schmal. Nun sollen die Fahrspuren breiter werden. Die Grünen sprechen von einer ‹Kapitulation›» («Spiegel Online», 20. August), aber vielleicht ist es einfach nur die Wahrheit über einen Kapitalismus, der nicht einmal an der Oberfläche reformfähig ist und dessen InsassInnen gegen die eigene Kaputtheit schlicht keine Chance haben. Falls wir es nicht weniger empathisch ausdrücken wollen und nämlich sagen müssen, dass den Leuten halt alles scheissegal ist, zumal den solventen, die als «gebildete Schichten» fungieren und aber nicht über genügend ästhetische und politische Bildung verfügen, um zu sehen, dass an einem SUV nun wirklich alles falsch ist und dass ein Stadtgeländewagen – und schon das Wort macht ja keinen Hehl aus der äussersten Verkehrt-, ja Verrücktheit der Sache – früher vielleicht mal nach Landadel oder Abenteuer aussah, längst aber nur mehr jenen Krieg ausdrückt, den die Leut’ halt lieber im Panzer verbringen als im Schützengraben. (Auch das polemische Wort vom Panzer können Sie nicht mehr hören? Dann lassen Sie mal einen Range Rover Evoque an sich vorbeifahren, idealerweise in Oliv: Das ist kein metaphorischer Schützenpanzer mehr, das ist bereits ein wirklicher.)
Design, hat Philippe Starck einmal gesagt, sei immer politisch, ein Hummer-Geländewagen etwa sei «extrem rechts», und noch die Nummer kleiner hat natürlich nichts mit Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit zu tun oder mit Freiheit allenfalls so viel, als es die allgemein propagierte zum Überrollen ist. Vom «imperialen Blick von oben» spricht auf orf.at eine Umwelthistorikerin: Wer einen SUV lenke, blicke gern auf andere herab, und meinen wir es abermals gut und suchen nach einem nicht vollends verächtlichen Zug am dummen Trend, dann ist es Angst als die zentrale, nicht unter die Räder zu geraten. Angst und Aggression als dialektische Schwestern, und damit ist über die waltende Gesellschaft freilich alles mitgeteilt; und über die beihelfende Funktionsjacke in ihrer militärischen Verschränkung von Defensive und Eroberung, von Schützengraben und «Über Gräber vorwärts» eben auch; wie das zutiefst gelogene «Zurück zur Natur» bloss die Affirmation der (auch schon wieder ganz kaputten) zweiten ist. Zusammen machen SUVs und Pick-ups, lesen wir beim ORF und der Expertin weiter, «weltweit 40 Prozent der Neuzulassungen aus. In der Werbung werde ein paradoxes Versprechen gegeben: ‹Du kannst endlich wieder alleine sein, hinaus in die Welt und damit näher an die Natur kommen›», und auch dieses Bedürfnis unserer, sic, Eselinnen und Esel, an die Rübe vor der Nase zu gelangen, ist so verzweifelt, dass die österreichische Fachfrau «von Konsumentenseite (…) kein Einlenken» erwartet: «Die Regierungen seien also am Zug.»
Und verbieten spätestkapitalistischen Quatsch nicht einmal da, wo er offen wahnhaft und kriminell geworden ist, sondern kommen ihm noch entgegen, warum auch nicht, es sind ja kapitalistische Regierungen; und wie einverstanden man damit ist, nicht mehr Staatsbürgerin, sondern bloss (im weiten Wortsinn) Konsument zu sein, kann man durch die Wahl des Automobils zumal dann anzeigen, wenn sie nichts als den Sieg der eigenen Schmalspur anzeigt. Wenn auch auf extra breiter.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.