Pop: Gegen den eigenen Engel
Die 25 Jahre alte «lowness» der Independent-Rockband Low ist gestört. Seit 1993 spielen das Ehepaar Alan Sparhawk und Mimi Parker so minimalistisch und sanft, dass man sie gerade noch hören kann. Das neue Album, «Double Negative», klingt hingegen wie eine Abrechnung mit sich selbst, zu lange haben sie im depressiven Schöngeist geschwelgt. Wo sich Low im letzten Album, «Ones and Sixes», zwischendurch auf elektronische Experimente einliessen, verschlingt der Noise nun stellenweise jeden Rest Harmonie. Das Resultat sind elf Tracks mit überraschenden Kompositionen aus übersteuerten Beats, Klangschnipseln, prägnanten Gitarrenriffs und kastriertem Pathos.
«Quorum» eröffnet das Album, die Stimmen versuchen, an die Oberfläche zu dringen, gehen aber immer wieder in brachialen Störgeräuschen unter. Die losen Textfragmente erachten Sparhawk und Parker als Statements zum gegenwärtigen politischen Klima in den USA. Sie sind wenig explizit. Kristallin klar hört man dafür die Botschaft, dass weitermachen wie zuvor unmöglich, weil allzu kleinbürgerlich wäre. Sparhawks Falsetto erstickt in «Always Trying to Work It Out» beim Versuch, zu kommunizieren, während Parker in «Fly» mit etwas gewürgter, aber tapferer Stimme dem Übel entgegentritt. Gleichzeitig ist da die Angst vor dem totalen Zerfall. Vielleicht machen sie deshalb im letzten Track «Disarray» den Wörtern ihren alten Platz frei über einem simplen maschinellen Beat und einer noch simpleren Melodie.
Trotzdem bleiben Sparhawk und Parker der Gattung «gefallene Engel» treu. Der Wunsch, das Profane zu transzendieren, ist noch immer zu spüren, nur die Taktik scheint eine neue zu sein. Lieber greift man das Negative mit Negativem an, auch wenn die doppelte Negation nicht zwangsläufig in Bejahung kippen wird. Der einzige therapeutische Prozess, scheinen Low zu sagen, liegt darin, Klangwelten bröckelnder Kommunikation in eine neue Ordnung zu bringen. Der zweijährige Rückzug war es wert.
Low: Double Negative. Irascible. 2018