Durch den Monat mit Caroline Arni (Teil 1): Wann beginnen Frauen zu revoltieren?
Die feministische Historikerin Caroline Arni war eine junge Studentin, als 1991 eine halbe Million Frauen in der Schweiz streikten. Sie spricht darüber, warum es Bündnisse mit bürgerlichen Frauen braucht und warum Gleichstellung mit Lohngleichheit noch nicht erreicht ist.
WOZ: Caroline Arni, verschiedene Frauengruppen organisieren für 2019 einen neuen Frauenstreik. Waren Sie 1991 beim ersten mit auf der Strasse?
Caroline Arni: Ja, ich war 21 Jahre alt und in meinem zweiten Semester an der Uni. Ich erinnere mich gut an dieses Glücksgefühl: Wir konnten uns Gehör verschaffen. Konkret thematisierten wir den männlich dominierten wissenschaftlichen Kanon, wir wollten mehr Professorinnen und wehrten uns gegen sexuelle Belästigung. Ursprünglich ging der Streik aber von Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux aus.
Mit Blick in die Geschichte: Wann beginnen Frauen zu revoltieren?
Es gibt aus den zwanziger Jahren diesen Begriff der «feministischen Krise», eine ganz einfache Beobachtung, die damals schon im Rückblick auf eine Reihe von Frauenprotesten formuliert wurde: wenn die Erfahrung von Ungerechtigkeit übermächtig wird und diese Erfahrung als eine gemeinsame artikuliert wird. Wenn Frauen Wege und Worte finden, ihre Situation zu analysieren und sich aufeinander zu beziehen, Vereinzelung zu durchbrechen. Und wenn der Geduldsfaden reisst angesichts leerer Versprechen …
… wie beim Thema Lohngleichheit. Vor zwei Wochen gingen 20 000 Menschen in Bern auf die Strasse. Was halten Sie von der Vorlage des Bundesrats, die Unternehmen zu Lohnanalysen zu verpflichten?
Ich finde das richtig. Es gibt einen Rechtsanspruch auf Lohngleichheit bei gleicher Arbeit. Es kann nicht sein, dass Frauen dies gegen Widerstände erkämpfen müssen, dass sie immer wieder als Bittstellerinnen auftreten müssen, obwohl sie im Recht sind. Es geht aber nicht nur um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sondern auch darum, welche Arbeiten wie viel zählen. Das verschwindet oft hinter dem endlosen Streit darüber, ob die durch Diskriminierung gegebene Differenz bei gleicher Arbeit nun 7,2 oder 12,1 Prozent beträgt. Daneben steht der Berg an unbezahlter Hausarbeit und die Tatsache, dass die Löhne in Berufen mit hohem Frauenanteil der Bedeutung dieser Tätigkeiten nicht angemessen sind.
Bei den Verhandlungen über die Vorlage im Nationalrat hat SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz gleich zweimal gegen ihre eigene Partei gestimmt. Braucht es bürgerliche Frauen, um feministische Anliegen voranzutreiben?
Es braucht Bündnisse. Es ist eine Binsenweisheit: Frauen sind keine einheitliche Gruppe. Wenn wir historisch schauen, wann etwas erkämpft wurde, dann war es tatsächlich so, dass es zwei Dinge brauchte: Es brauchte Frauen, die nicht in derselben Situation stehen und Weltentwürfe nicht teilen mochten, die sich aber miteinander solidarisierten, um ein gemeinsames Anliegen zur Sprache zu bringen. Es hat aber immer auch etwas Zweites gebraucht: den Loyalitätsbruch. In allen politischen Bewegungen mussten Frauen früher oder später etwas auf den Prüfstand stellen: die Behauptung, dass ihre Anliegen miterledigt würden vom «Hauptanliegen», sei das nun in der Arbeiterbewegung der Klassenkampf, im Liberalismus die Freisetzung des Individuums oder in der 68er-Bewegung die Befreiung aus sexueller Repression. Feministische Bewegung ist immer dort entstanden, wo Frauen dies als Illusion entlarvt haben.
Die bürgerlichen Frauen haben sich laut NZZ trotzdem schon vorsorglich vom Frauenstreik 2019 abgemeldet. Kann der Streik so fulminant werden wie 1991?
Es ist nicht einfach, einen zweiten Frauenstreik anzukündigen, denn er wird am ersten gemessen – immerhin die bis heute grösste Streikaktion in der Schweiz. Natürlich ist es wichtig, dass bei einem Grossereignis Parteien, Verbände, Organisationen und Gewerkschaften mitmachen, aber was zählt, sind die konkreten Frauen, die dabei sein werden. Für die bürgerlichen Frauen ist der feministische Loyalitätsbruch mit ihrer politischen Gemeinschaft immer schon schwieriger, da Feminismus als links stehend wahrgenommen wird.
Für den kommenden Streik gibt es noch keine einheitliche Forderung. Ist das gut oder schlecht?
Wenn es zu einem Frauenstreik kommt, dann weil viele Frauen Ungerechtigkeit empfinden. Das ist schon eine klare Aussage. Ausserdem ist ein Streik keine Demonstration. Ich habe kürzlich im Archiv Flugblätter von 1991 durchgeblättert. Auf einem stand: «Die Stärke der Frauen ist ihre Zahl und ihre Unentbehrlichkeit.» Ein Streik soll diese Unentbehrlichkeit erfahrbar machen, durch die Niederlegung von Arbeit. Er reagiert auf ein Missverhältnis von Unentbehrlichkeit und mangelnder Anerkennung. Die Empfindung eines solchen Missverhältnisses scheint sich gerade zu vertiefen. Wenn ich den feministischen Moment, in dem wir drinstecken, mit einem Merkmal beschreiben müsste, dann wäre das die Dichte an Themen: vom Ausmass an unbezahlter Arbeit über Alltagssexismus bis zur rohen frauenfeindlichen Gewalt. Die Historikerin Anja Peter sagte es schon vor zwei Wochen in der WOZ: Es gärt.
Als Caroline Arni für ihre Professur an der Universität Basel in die Lohnverhandlungen ging, fragte sie erst einen Kollegen nach dessen Verdienst. Die heute 48-Jährige nahm sich vor, mindestens ebenso viel zu verlangen.