Schweizer Aussenpolitik: Gefährliche Visionen
Ist er ein Ignorant? Ein Ideologe? Oder ist der Schweizer Aussenminister einfach ein Trampel? Sicher ist er ein Zyniker – das lässt sich aus den Auffälligkeiten des Ignazio Cassis in seinem ersten Amtsjahr schliessen.
Da ist die Schweizer Diplomatie zentral daran beteiligt, dass die Uno im Juli den Globalen Migrationspakt beschlossen hat – doch unter dem neuen Aussenminister will der Bundesrat erst prüfen, ob die Schweiz ihn überhaupt unterzeichnen soll. Da stimmt die Schweiz 2017 für das neue internationale Abkommen über das Verbot von Atomwaffen – doch mit Aussenminister Cassis lehnt sie es ab, den Vertrag zu unterzeichnen (vgl. «Verpasste Chance im Kampf gegen Atomwaffen» ). Und dank Cassis will der Bundesrat erlauben, Waffen sogar in Bürgerkriegsländer zu exportieren.
Nicht bloss zynisch, sondern ideologisch und kalkuliert erscheinen Cassis’ vorgeblich unbedachte Äusserungen zum Uno-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge. Als vormaliger Vizepräsident der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel bezeichnet er als Bundesrat das Hilfswerk als «Teil des Problems», weil die in Lager lebenden PalästinenserInnen immer noch in ihre Heimat zurückkehren wollten. Klar: Wer die Flüchtlinge weglügt, hat kein Flüchtlingsproblem mehr.
Dasselbe bei den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU: Die harmlos erscheinende Forderung, nach «anderen Wegen» zu suchen, ist ein kalkulierter wirtschaftsliberaler Angriff auf Lohnschutz und Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Und wenn Cassis die Entwicklungszusammenarbeit stärker auf Migration ausrichten will, geht es nicht darum, sie fruchtbar zu gestalten und Austausch und Vielfalt zu fördern – sondern darum, Migration zu verhindern. Dieser Auftrag dürfte schon bald der ganzen Aussenpolitik blühen.
Jüngst wurde bekannt, wie Cassis seine «aussenpolitische Vision 2028» erarbeitet. Er schuf dafür eine Arbeitsgruppe. Unter anderen mit dabei in diesem demokratisch nicht legitimierten Gremium: der ehrgeizige Spitzendiplomat Roberto Balzaretti. Dann Cassis’ eigener Generalsekretär – der ehemalige Geheimdienstchef Markus Seiler. Weiter Peter Voser, Verwaltungsratspräsident des Konzerns ABB. Und der Chef des Rückversicherers Swiss Re, Peter Wellauer – der vom Finanznewsportal «Inside Paradeplatz» als Absahner und als «einer der umstrittensten Schweizer Manager mit einem ausnehmend abschreckenden Leistungsausweis» beschrieben wird. Und schliesslich mit Alenka Bonnard als handverlesener Vertreterin der «Zivilgesellschaft» eine Person, die in der kritischen Öffentlichkeit kaum jemand kennt. Fehlt eigentlich nur der Kommandant der päpstlichen Schweizer Garde in Rom, der doch an der aussenpolitischen Schnittstelle zu höchsten Instanzen in Sachen Visionen und anderen übernatürlichen Erscheinungen sässe.
Doch das Cassis’sche visionäre Grüppli ist real – und gefährlich, nicht nur wegen seiner einseitigen Zusammensetzung. Denn in keinem anderen Bereich lässt sich in kurzer Zeit so viel Schaden anrichten wie in der Aussenpolitik. Der Aussenminister waltet, bis ihn hin und wieder Gesamtbundesrat oder Parlament zurückpfeifen. Die Vorgaben durch die Verfassung sind vage. Präzisierende Gesetze fehlen weitgehend, institutionelle und politische Sicherungen ebenso. Das Aussendepartement formuliert die aussenpolitische Strategie des Bundesrats selber, und die nächste Strategie 2020–2023 soll sich bereits an der «Vision» orientieren.
Zur gegenwärtigen Strategie des Bundesrats gehört die Kandidatur für einen nichtständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat für 2023–2024. Die isolationistische Rechte stellt diese Kandidatur bereits wieder infrage. Vielleicht sogar zu Recht, wenn auch aus den falschen Gründen. Denn bisher konnte man davon ausgehen, dass ein Schweizer Sitz im Sicherheitsrat die Welt ein ganz klein wenig sicherer machen würde. Mit dem zynischen und trumpelnden Ideologen Cassis an der Spitze des Departements für auswärtige Angelegenheiten muss man nun sagen: eher nicht.