#digi: Gesichtserkennung auf dem Vormarsch
Es ist nicht immer nötig, für digitale Dystopien bis nach China zu reisen. Ein Blick nach Deutschland reicht. Dort lief seit August 2017 am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Versuch zur Gesichtserkennung von PassantInnen. Die «praxisnahen Gesichtsbilder» von 300 Testpersonen wurden in einer Datenbank erfasst. Mit Kameras und Programmen wurden danach ein Jahr lang die Gesichter der PassantInnen mit dieser Datenbank abgeglichen.
Vergangene Woche veröffentlichte die Bundespolizei nun ihren Abschlussbericht und löste bei Innenminister Horst Seehofer Begeisterung aus. Die Systeme hätten sich «in beeindruckender Weise bewährt, so dass eine breite Einführung möglich ist», twitterte Seehofer. Sogleich schob er nach, dass sich dadurch «die Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger verbessern» lasse. In Zeiten der permanent heraufbeschworenen Terrorbedrohung dürfte die schon von seinem Vorgänger Thomas de Maizière herbeigesehnte Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flughäfen damit nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Weniger begeistert sind freilich Datenschützerinnen und Netzaktivisten. Schliesslich handelt es sich bei der flächendeckenden Gesichtserkennung um einen massiven Eingriff in die Grundrechte (siehe WOZ Nr. 16/2018 ). Bereits vor dem Testlauf am Berliner Südkreuz kritisierte die Konferenz der deutschen Datenschutzbehörden das abgesteckte Ziel: «Der Einsatz von Videokameras mit biometrischer Gesichtserkennung kann die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören.»
An dieser Tatsache rütteln auch die auf Twitter und einschlägigen Webforen geführten Diskussionen um die technische Effektivität des Systems nicht. «Ich halte diese Debatten für gefährlich und irreführend», sagt Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft. Es gehe nicht darum, ob pro Tag nur eine Handvoll Menschen unter falschen Verdacht gerieten oder – was wahrscheinlicher sei – mehrere Hundert pro Bahnhof. Entsprechend resümiert Steiger: «Das Grundthema muss sein, ob wir flächendeckende Massenüberwachung wollen oder nicht. Mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte müssen wir uns entschieden zur Wehr setzen.»