Jordan Peterson: Dieser Mann sucht Prügel

Nr. 45 –

Ein obskurer kanadischer Psychologieprofessor wird fast über Nacht zum umschwärmten Wanderprediger für Männer in der Krise. Seine Strategie: Er verkauft reaktionäre Geschlechtermodelle als Kur.

Verkrustete Vorbilder: Jordan Peterson versucht, menschliches Verhalten mit Hummern zu erklären. FOTO: D. HURST, ALAMY

Jordan Peterson sagt nicht, vergewaltigte Frauen trügen eine Mitschuld an ihrer Vergewaltigung. Der 56-jährige Psychologieprofessor aus Toronto sagt: Man kann nachweisen, dass Frauen, die mit Brüdern aufgewachsen sind, weniger oft vergewaltigt werden als solche, die keine Brüder hatten.

Als im letzten Frühjahr ein selbsternannter Incel (kurz für «involuntary celibate»: jemand, der unfreiwillig ohne Sex lebt) bei einer Amokfahrt in Toronto zehn Menschen totgefahren hatte, erklärte Peterson in der «New York Times», solche Gewalttaten könnten in Zukunft durch «enforced monogamy» verhindert werden; also durch «zwingende» oder «erzwungene» Monogamie. Auf die erboste Kritik an diesem Vorschlag reagierte er ungerührt. «Enforced monogamy» sei keine Kampfansage, sondern ein neutraler Begriff aus der Anthropologie, gemeint sei schlicht Monogamie als kulturell gewachsene Grösse. Und es sei schliesslich wissenschaftlich erwiesen, dass die monogame Paarbildung die Gewaltbereitschaft von Männern reduziere.

Wie eine solche kulturell zwingende Monogamie konkret umzusetzen wäre, liess er bezeichnenderweise offen. Entscheidend ist die Message, die er uns hier gleich zweimal untergeschoben hat: Die Verantwortung für männliche Gewalt (und deren Eindämmung) liegt irgendwie bei den Frauen. Was er aber so direkt natürlich nie gesagt hat. Peterson ist ein Meister im Verbreiten von krassen, aber zumeist impliziten Botschaften.

Bis vor zwei Jahren war der Professor für Klinische Psychologie ausserhalb seiner Universität noch weitgehend unbekannt. Von seinem ersten Buch, «Maps of Meaning», hatte er 1999 gerade mal 500 Exemplare verkauft. Heute muss man über Peterson reden, weil er sich via Youtube ein Millionenpublikum zusammengepredigt hat, das teils keine Skrupel hat, aus Petersons verschlungenen Verlautbarungen klare Schlussfolgerungen wie «Feministinnen sind Nazis!» zu ziehen. Diese neue grosse Onlinegefolgschaft mit klarem Männerüberhang lässt ihm auch fleissig Spenden zukommen. Mittlerweile könnte Peterson sehr gut allein von diesen Einnahmen leben.

Der Mensch als Krustentier

Gleichzeitig stürmt sein zweites Buch, der Ratgeber «Twelve Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt», die Bestsellerlisten. Seine Lesetour ist grösstenteils ausverkauft – auch in Europa. Obwohl der Titel nicht darauf schliessen lässt, geht es auch in diesem neuen Buch auffallend häufig um Männer und Frauen. Vom Chaos im Untertitel führt ein direkter Weg zur Regel eins («Steh aufrecht und lass die Schultern nicht hängen») und zur Behauptung, dass das Chaos weiblich konnotiert sei – und die Struktur im Gegenzug männlich. Der Untertitel lautet also frei nach Petersons eigener Logik: Wie man sich mannhaft in einer verweiblichten Welt behauptet.

Wie viele andere neue Reaktionäre, die sich gern Liberale nennen, ist der Ratgeberautor obsessiv bemüht, Männer und Frauen säuberlich auseinanderzuhalten und mit je unverbrüchlichen Eigenschaften auszustatten. Zwecks Beweisführung greift er notfalls auch zum Hummer. Die behaupteten jahrtausendealten Selbstbehauptungs- und Paarungsrituale des Krustentiers überträgt Peterson mit sozialdarwinistischer Vulgärlogik auf Menschen. Denn: «Tief in uns drin, im Fundament unseres Gehirns, sitzt ein unaussprechlich urwüchsiger Rechner.»

Wenn er gerade kein Beispiel aus der Tierwelt und keine Studie zur Hand hat, «begründet» Peterson seine Behauptungen mit «gesundem Menschenverstand», Bibelauslegungen, Archetypenlehren – die «alles verschlingende Mutter» trifft da auf den «weisen König» oder den «männlichen Helden» – und Auslassungen zu Disneyfilmen. Jüngere Produktionen wie der Film «Frozen» (2013) sind dem Professor ein Dorn im Auge. Im Gegensatz zum guten alten «Dornröschen» fehle hier das «männliche Bewusstsein» als wichtiger Widerpart zum «weiblichen Unbewussten».

Gleichzeitig wirft Peterson seinen GegnerInnen vor, sie argumentierten unwissenschaftlich und irrational. Wie man auch aus Homestorys weiss, hat er sein halbes Haus mit Sowjetkunst vollgestellt, doch marxistische DenkerInnen macht er für die «100 Millionen Toten» mitverantwortlich, die der Marxismus verursacht habe. Dass sein eigener viel zitierter Guru, der Schweizer Archetypenpsychologe C. G. Jung, einst von den Nazis fasziniert war, scheint Peterson dagegen weniger zu interessieren. Ideologisch sind immer die andern.

Panzer aus Geschwätz

Liest man «Twelve Rules for Life» ohne rosa Fanbrille, findet man darin reaktionäre Schmuggelware in einem Panzer aus Geschwätz – und ein paar banale lebensweltliche Ratschläge: «Bring dein Haus perfekt in Ordnung, bevor du die Welt kritisierst», «Freunde dich mit Leuten an, die das Beste für dich wollen», «Sag die Wahrheit oder lüge zumindest nicht». Von solchen Sentenzen angesprochen fühlen sich vor allem verunsicherte Männer, für die Peterson eine strenge und zugleich fürsorgliche Vaterfigur darstellt.

Doch dieser Vater will nicht bloss individuelle Lebenskrisen kurieren, sondern die ganze Gesellschaft auf den Stand der fünfziger Jahre zurückdrehen. Dafür muss er Gleichheitsforderungen aller Art zurückweisen, egal ob diese von Frauen, AktivistInnen für soziale Gerechtigkeit oder von Transmenschen kommen. Peterson glaubt auch an einen «unabänderlichen», weil «biologischen, vererbten Intelligenzquotienten» und daran, dass unterschiedliche Ethnien unterschiedliche IQs haben. Die Tendenz ist immer dieselbe: Ungleichheiten sind angeboren und kein Produkt von Machtverhältnissen.

Seinen plötzlichen Ruhm verdankt Peterson einer Intervention gegen ein neues Transgendergesetz in Kanada, das Diskriminierungen vorbeugen sollte. Peterson schimpfte, man dürfe sich nicht vorschreiben lassen, wie man zu reden habe – obwohl das Gesetz sprachliche Äusserungen gar nicht kriminalisiert. Auch sein anderes Erfolgsrezept hat mit «freier Rede» zu tun. Seit ein paar Jahren flutet Peterson das Netz mit Vorlesungen und anderen Auftritten, die zigtausendfach angeklickt werden. Mit seinen oft selbstgefilmten und ins Netz gestellten Vorträgen und Interviews kann er sich ungefiltert an seine Fans wenden. Das gesprochene Wort ist direkter, aber auch flüchtiger als das geschriebene, das Nachverfolgen von Gesagtem in einer Flut aus stundenlangen Youtube-Videos schwierig. Kein Zufall, dass Petersons «Twelve Rules for Life» auch als Hörbuch ein Grosserfolg sind.

Wenn man sich länger in den gegen Widerworte quasi abgedichteten Peterson-Fanblasen aufhält, ahnt man, wie hier abstruse Weltbilder gären und zu Antworten auf individuelle Verzweiflung werden können. Traditionelle Medien – die im Idealfall einordnen und so Schwellenhüter gegen Extremismus sind – hält man in diesen Kreisen für überholt.

Frauenforschung? Streichen!

Die Redefreiheit, die Peterson ständig einfordert, ist am Ende vor allem seine eigene, die offensichtlich nicht annähernd bedroht ist. Hingegen zog er selber schon mehrfach gegen das freie Wort seiner GegnerInnen ins Feld. Als ihn eine Rezensentin frauenfeindlich nannte, drohte er umgehend mit einer Klage. Kürzlich schlug er vor, man solle gewissen Unifächern einfach den Geldhahn zudrehen: Frauenforschung, «Ethnic Studies» oder Englischen Literaturwissenschaften. Dazu plante er einen Algorithmusservice, mit dem man Unikurse auf «abscheuliche» postmoderne Gedanken hätte abklopfen können. Dieses Projekt hat er vorläufig wieder aufgegeben, doch die Idee dazu hat er so natürlich trotzdem in Umlauf gebracht.

Ein scharfes Porträt in der «New York Review of Books» konterte Peterson mit giftigen Tweets, in denen er den Autor des Artikels als «arroganten, rassistischen Hurensohn» attackierte, den er «liebend gern verhauen» würde. Das erinnert frappant an eine weitere seiner kruden Geschlechterpointen: «Verrückte Frauen» liessen sich kaum kontrollieren, weil der Mann sich nicht mit ihnen prügeln könne – was natürlich einmal mehr symbolisch zu verstehen sei. Aus demselben Grund könne man Frauen karrieretechnisch auch nicht als ebenbürtige Konkurrentinnen wahrnehmen.

Wie schon die britische Autorin Laurie Penny bilanziert hat: Eigentlich müsste man Peterson wie einen verrückten Wanderprediger einfach am Wegrand stehen lassen. Wer sich auf seine Logik einlässt, hat bereits verloren.