Ein Traum der Welt: Vokabular der Todesarten
Annette Hug hört, wie sich in Manila die Sprache verändert
Zum ersten Mal seit Jahren fordern mich Freundinnen in Manila auf, abends nicht auszugehen. Dabei wird viel weniger über nächtliche Mordkommandos der Polizei berichtet. Der sogenannte «Krieg gegen Drogen» von Präsident Rodrigo Duterte geht weiter, aber alles ist diffuser geworden. Kaum war ich auf dem Campus der University of the Philippines angekommen, sperrten sie ein Eingangstor ab. Wegen einer Schiesserei zwischen Studentenverbindungen. Für die News war der Fall zu wenig aufsehenerregend, deshalb wissen wir nicht, was genau geschehen ist. «Es drehen einfach immer mehr Leute durch», kommentiert eine Freundin.
Man sitzt also abends zu Hause am Computer und arbeitet. In meinem Fall ist es wunderbare Arbeit: Gedichte übersetzen, von Tagalog ins Deutsche. Aber auch da dringt die aktuelle Gewalt ein. In einem Liebesgedicht von Luna Sicat Cleto aus den neunziger Jahren kommt ein Wort vor, das vor kurzem noch recht harmlos geklungen hätte: «nanlaban siya» – sie hat sich gewehrt (in dem Gedicht wehrt sich eine Frau dagegen, vom Geliebten wegzutreiben). Heute heisst «nanlaban» in erster Linie: Er wurde von der Polizei erschossen. Das rührt daher, dass die Polizei bei Hausdurchsuchungen regelmässig Leute erschiesst und dann behauptet, die Beamten hätten in Notwehr gehandelt. «Hat sich gegen die Verhaftung gewehrt», war eine Zeit lang die Standardmeldung in den Medien, und so hat dieses Verb ein anderes abgelöst, das noch aus der Marcos-Zeit stammt. Damals hiess erschossen werden «na-salvage» – wobei niemand genau erklären konnte, wie «salvation», die Rettung, da hineingekommen war. Die plausibelste Erläuterung scheint mir, dass in den Achtzigern einige Todesschwadronen animistisch-evangelikal inspiriert waren, grausige Rituale an den Leichen vollzogen und mit dem Selbstbewusstsein auftraten, die Welt vor kommunistischen Dämonen zu retten.
Am 13. November 2018 habe ich im «Philippine Daily Inquirer» einen neuen Begriff kennengelernt. Da wurde über die Senatsresolution Nr. 930 zur Untersuchung einer Polizeipraxis namens «palit-puri» berichtet. Das heisst in etwa «die Ehre eintauschen» und bezeichnet die Erpressung von Frauen durch Polizisten. Mädchen und Frauen wird versprochen, dass verhaftete und vom Tod bedrohte Verwandte gegen sexuelle Dienste freigelassen werden. Senatorin Leila de Lima stützt die Forderung nach einer offiziellen Untersuchung mit zwölf klar dokumentierten Fällen. Was im Artikel nicht erwähnt wird, weil es allgemein bekannt ist: Leila de Lima sitzt seit Februar 2017 selber im Gefängnis. Sie war eine der schärfsten KritikerInnen des «Kriegs gegen Drogen», worauf Dutertes AnhängerInnen im Parlament eine Schmutzkampagne gegen sie lostraten. Als ehemalige Justizministerin wurde sie dafür verantwortlich gemacht, dass in den Gefängnissen nach wie vor gedealt wird. In einem Schnellzugverfahren wurde sie verurteilt. Im Knast hat sie bisher zwei Bücher geschrieben, sie empfängt jeden Sonntag Familie und FreundInnen zu einer privaten Messe. Die Fangemeinde kennt einzelne Namen der streunenden Katzen, die die Senatorin mit den Resten vom Essen, das ihr ins Gefängnis gebracht wird, durchfüttert. Ihre Selbstdisziplin erscheint stellvertretend für die Anstrengung unzähliger Menschen, in dieser Zeit und in dieser Stadt nicht durchzudrehen.
Annette Hug ist Autorin und lebt in Zürich. In Manila führt sie Gespräche für eine WOZ-Reportage und übersetzt Gedichte.