Durch den Monat mit Ash Sarkar (Teil 1): Aber was sind Sie denn?

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Die 26-jährige Londonerin Ash Sarkar kennt man in Grossbritannien vor allem deswegen, weil sie im Fernsehen rechten Kommentatoren die Stirn bietet. Dabei mag sie es eigentlich lieber differenziert.

Ash Sarkar: «Wir von Novara Media finden, dass man den Leuten durchaus komplexe Ideen darlegen kann und sie nicht für dumm verkaufen soll.»

WOZ: Frau Sarkar, Sie sind eine linke Journalistin und Aktivistin in einem Land mit überwiegend rechtslastigen Medien. Fühlt man sich da zuweilen einsam?
Ash Sarkar: Nein. Novara Media, die Medienorganisation, für die ich arbeite, entstand aus einer aktivistischen Kultur: 2010 und 2011 gab es eine grosse Studentenbewegung gegen die Erhöhung der Studiengebühren, wir waren die Frontlinie im Kampf gegen die Sparpolitik. Die Proteste waren wütend, jeden Monat wurden unzählige Leute verhaftet, und das zwang uns, sehr enge politische Verbindungen zu knüpfen. Daraus entwuchs Novara Media. Wenn man so anfängt, wenn man gern beisammen ist und denselben Humor teilt, dann fühlt man sich überhaupt nicht einsam.

Was gab den Anstoss zur Gründung von Novara Media?
Der Grossteil der Medien war damals schlichtweg unfähig, die politischen Entwicklungen zu verstehen. Sie waren völlig gefangen in der Blase von Westminster, dem Regierungsviertel. Als die Studentenbewegung abflaute, dachten sie, die Auswirkungen der Finanzkrise seien nun gebannt. Aber das stimmte nicht. Einige von uns Aktivistinnen und Aktivisten merkten, dass wir unseren eigenen Journalismus machen müssen. Schnell zeigte sich, dass der Appetit darauf richtig gross war: Es gibt viele Leute im ganzen Land, die ihre Lebensrealität in den etablierten Medien nicht wiederfinden. Doch wir wehrten uns gegen die These, dass man Leute, die vom politischen Diskurs ausgeschlossen sind, nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erreichen kann.

Was meinen Sie damit?
Boulevardjournalismus, der die Intelligenz der Leser beleidigt. Wir finden, dass man den Leuten durchaus komplexe, differenzierte Ideen darlegen kann und sie nicht für dumm verkaufen soll.

Sie erscheinen oft im Fernsehen als Kommentatorin und liefern sich Wortgefechte mit rechten Wortführern. Werden Sie als linke Frau aus einer ethnischen Minderheit besonders heftig angegriffen?
Ich glaube schon. Wenn ich in Medien wie der öffentlich-rechtlichen BBC auftrete, dann werde ich nicht auf politische Weise delegitimiert: Ich werde persönlich angegriffen. Die Kommentatoren aus der politischen Mitte und von rechts versuchen, mich auseinanderzunehmen: Sie sagen, ich sei zu «posh», um aus der Arbeiterklasse zu stammen, aber gleichzeitig eben auch nicht posh genug, um eine von ihnen zu sein. Ich sei dumm und unbedacht. Gleichzeitig sei ich aber zu gut ausgebildet, um die Normalbürger zu verstehen. Ich sei zu wirklichkeitsfern oder zu nüchtern – ich bin einfach nie richtig für sie.

Wie kommen Sie damit klar?
Man muss sich immer wieder daran erinnern: Ich bin nicht da, um rechte Moderatoren oder Kommentatoren von meiner Meinung zu überzeugen. Ich bin da, weil in unserer Gesellschaft etwas in Schieflage geraten ist. Ich habe es im Stadtteil im Norden Londons gesehen, wo ich aufgewachsen bin, ich sehe es im ganzen Land: die Ungleichheit, die sozialen Nöte der Menschen. Und ich sage mir: Ich kann ein Teil der politischen Veränderung sein.

Grossbritannien erlebte jüngst eine erstarkte extreme Rechte. Wie gehen die etablierten Medien damit um?
Medien wie die BBC sagen: «Wir haben Platz für alle, wir führen offene Debatten und diskutieren kontroverse Ideen.» Aber dieser Liberalismus ist intellektuell faul. Seine Vertreter denken nicht daran, von wem sie benutzt werden und zu welchem Zweck. Sie laden etwa Donald Trumps Exberater Steve Bannon ein, weil es ein Novum ist, weil es aufregend ist und Wellen schlägt. Ohne zu denken: Der weiss genau, was er mit seinem Auftritt bezweckt, er weiss auf jede Frage eine Antwort und hat das Interview innerlich x-mal durchgespielt.

Er verfolgt seine eigene Agenda …
So geben Produzenten jenen Leuten eine Plattform, die genau sie – die freie Presse – letzten Endes zerstören wollen. Und den faulen Liberalen geht es nur darum, in der Mitte zu stehen und vernünftig zu wirken. Zu mir sagen sie: «Aber du bist ja auch da, und du bist weit links, und das ist genauso schlecht!» Sie vergessen, dass ich viele ihrer Werte teile – die freie Presse, die Vielfalt der Meinungen, kontroverse Diskussionen. Ich will euch nicht den Mund verbieten, der andere Typ hingegen schon! Es gibt in den etablierten Medien eine Faulheit, die fatal sein könnte.

Sehen Sie sich eher als Aktivistin oder als Journalistin?
Ich verfüge nicht über die Fertigkeiten einer ausgebildeten Journalistin, etwa bei der Nachrichtenberichterstattung oder beim Umgang mit Primärquellen. Ich will also nicht den Berufsstand abwerten, indem ich behaupte, auch eine Journalistin zu sein. Als Aktivistin würde ich mich auch nicht bezeichnen, denn Leute, die Proteste organisieren oder sich auf die Landebahn legen, um einen Deportationsflug zu stoppen, sind weit engagierter als ich.

Aber was sind Sie denn?
Ich bin eine Autorin. Ich beobachte die Welt und schreibe Dinge auf, und auf diese Weise stelle ich Ideen auf die Probe.

Die Britin Ash Sarkar (26) doziert zudem an der Anglia Ruskin University in East Anglia im Osten Englands und ist leidenschaftlicher Fan der Tottenham Hotspurs – für sie ist Fussball Poesie.