Auf allen Kanälen: Mindestens schludrig
Die BBC sei links, behaupten Konservative in Grossbritannien gern. Dass das Unsinn ist, belegt auch eine aktuelle Recherche von Al Jazeera über die BBC-Berichterstattung zu Jeremy Corbyn.
Furchtbar, diese BBC. Jetzt verschandelt sie auch noch die kultige Tanzsendung «Strictly Come Dancing», indem gleich zwei gleichgeschlechtliche Paare und zudem eine Kleinwüchsige als Kandidat:innen antreten. So klagte eine Kolumnistin im rechtskonservativen «Daily Telegraph». Sie hält es für ein klares Indiz dafür, dass es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr um «Inklusivität» als um Unterhaltung gehe. Mit anderen Worten: Die BBC sei «woke».
«Auntie Beeb», die letzte Woche ihren 100. Geburtstag feierte, ist eine beliebte Zielscheibe für die konservative Presse wie auch für einen guten Teil der Tory-Partei. Linksliberal, abgehoben und deshalb unfähig, die Interessen und Meinungen der meisten Brit:innen wiederzugeben – so lautet der Vorwurf. Aber das ist völliger Unsinn.
Sicher, die BBC ist in gesellschaftlichen Fragen liberal. Das heisst zum Beispiel, dass man versucht, die diverse britische Gesellschaft abzubilden, inklusive – man stelle sich vor! – gleichgeschlechtlicher Paare. Aber in ihrer politischen Orientierung ist die BBC überhaupt nicht links. Wie die Autoren des Buches «The War Against the BBC» (2020) schreiben, zeigen zahlreiche Studien, dass ihre Berichterstattung eher eine konservative Schlagseite hat und sich kaum vom Konsens des Establishments entfernt.
Dass die BBC dennoch vielen konservativen Brit:innen als Bastion linken Gedankenguts gilt, hat einen einfachen Grund: Die Tories sind in den vergangenen Jahren stark nach rechts gerückt. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung war die – dankenswerterweise kurze – Amtszeit von Liz Truss, einer libertären Fanatikerin.
Frustrierend einseitig
Liz Truss’ Innenministerin Suella Braverman verkündete kürzlich, dass es ihr «Traum» und ihre «Obsession» sei, auf der Frontseite des «Daily Telegraph» ein Foto zu sehen, das den ersten erfolgreichen Ausschaffungsflug nach Ruanda zeige. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte das kontroverse Abschiebeprogramm der britischen Regierung im Sommer vorerst blockiert – und Braverman zur Weissglut getrieben. Dass solche menschenfeindlichen Politiker:innen die BBC als zu «links» erachten, ist nachvollziehbar.
Komplizierter wird es, wenn man sich die Kritik von linker Seite anschaut. Keine Frage: Ein grosser Teil des Outputs ist toll, nicht zuletzt die erstklassigen Unterhaltungsprogramme, Fernsehdramen, investigativen Recherchen und Dokumentarfilme. Aktueller Tipp: Adam Curtis’ Doku über Russland von 1985 bis 1999. Auch sind die Nachrichten eine Abwechslung von der schrillen, konservativ dominierten Presse. Aber gerade weil die BBC im Zweifelsfall die bestehenden Machtverhältnisse stützt – kulturell, politisch, wirtschaftlich –, ist ihre Berichterstattung oft frustrierend einseitig.
Bestes Beispiel ist die Art und Weise, wie die BBC über Jeremy Corbyn, Labour-Chef von 2015 bis 2020, berichtete. Corbyn, der klar links des Konsenses in Westminster steht, wurde zuweilen mit einer Schärfe attackiert, wie man es bei keinem anderen Politiker erlebt hat. Selbst ein ehemaliger Vorsitzender des BBC Trust, des Leitungsgremiums des Rundfunks, Michael Lyons, sagte, dass die BBC in ihrer aggressiven Corbyn-Berichterstattung womöglich gegen die Vorschrift zur Unparteilichkeit verstossen habe.
«Labour-Files» ignoriert
Wie sehr die BBC damals ihre journalistische Pflicht vernachlässigte, zeigt eine aktuelle Recherche von Al Jazeera. Die «Labour-Files» basieren auf einem riesigen Datenleck aus der Labour-Partei. Eine Episode des Investigativprogramms befasst sich mit den Vorwürfen von Antisemitismus, die gegen Corbyn vorgebracht wurden – insbesondere eine BBC-Sendung zum Thema, die kurz vor den Wahlen 2019 ausgestrahlt wurde. Die «Labour-Files» legen etliche Beweise für schludrigen, wenn nicht sogar aktiv verfälschenden Journalismus seitens der BBC vor: von Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen und so in ihr Gegenteil verkehrt wurden, bis zu unglaubwürdigen Zeugen.
Der BBC hilft, dass der Rest der britischen Medien ebenso wenig Interesse hat, am Konsens bezüglich der Corbyn-Jahre zu rütteln – die Enthüllungen der «Labour-Files» wurden von der etablierten Presse völlig ignoriert.