Asylpolitik: Mit beklemmender Effizienz

Nr. 9 –

Am 1. März startet das neue Asylverfahren. Geflüchtete werden in einem geschlossenen System isoliert. Unterstützung und Widerstand sind dann so schwierig wie nie zuvor.

«Enfilade» heisst der Bau aus Holz, der eine stressfreie Atmosphäre vermitteln will. In der Visualisierung des Architekturbüros sitzt ein Paar lässig auf der Veranda und blickt auf einen Dorfplatz. Es sieht aus wie in den Ferien, bloss liegt nebenan das Regionalgefängnis mit seinen Ausschaffungszellen. Die Enfilade in Altstätten im St. Galler Rheintal wird eines der sechs Bundeszentren sein, in denen in der Schweiz künftig Asylverfahren durchgeführt werden: mit 390 Schlafplätzen für Geflüchtete und 106 Bürotischen für die Verwaltung und RechtsvertreterInnen. 2023 soll das Zentrum seinen Betrieb aufnehmen.

In der ganzen Schweiz herrscht derzeit Baufieber. In achtzehn Städten und Ortschaften werden neue Asylzentren erstellt oder bestehende erweitert. Im solothurnischen Flumenthal etwa, zwischen Autobahn und Abwasseranlage, entsteht ein «Ausreisezentrum» für Asylsuchende, die nach einem negativen Entscheid das Land verlassen müssen. Hier gibt es keinen Neubau, bis im Herbst werden Container einer früheren Rehabilitationsklinik aufeinandergetürmt. Bereits in Betrieb ist ein «Besonderes Zentrum» für «renitente» Asylsuchende. In Les Verrières NE an der französischen Grenze konnte der Bund dafür ein Sportzentrum erwerben.

Am 1.  März tritt das neue Asylgesetz in Kraft. Es bringt eine Neustrukturierung des Asylwesens mit sich. Im Sommer 2016 hat die Stimmbevölkerung mit 67  Prozent dafür gestimmt. Architektin des Gesetzes war SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Das Hauptziel besteht darin, die Asylverfahren zu beschleunigen. Auch wenn Anfang März vieles erst provisorisch anläuft, ist absehbar: Die neuen Bauten und Verordnungen fügen sich zu einem in sich geschlossenen System. Anwältinnen und Unterstützer von Geflüchteten sind besorgt: Bleibt tatsächlich genug Zeit für die Verfahren? Ist überhaupt noch ein Kontakt zu den Asylsuchenden möglich?

Streng getaktet

Schneller, effizienter, billiger. Die Verheissungen der kapitalistischen Warenproduktion klingen besonders verstörend, wenn es um Menschen geht. In einer Darstellung des neu strukturierten Asylverfahrens des Staatssekretariats für Migration (SEM) gleitet eine Familie (Mama, Papa, Kind) wie auf dem Laufband erst auf dicken, dann auf schmalen Pfeilen durch den Asylprozess. Biegt der Pfeil rechts ab, bedeutet das «Rückkehr», was in den meisten Fällen ein freundlicheres Wort für Ausschaffung ist.

Im neuen Regime soll ein Asylverfahren streng getaktet noch maximal 140 Tage dauern. In diesem Zeitraum werden die Asylsuchenden in einem Bundeszentrum untergebracht sein und bei einem Negativentscheid praktischerweise gerade auch von dort ausgeschafft, oder wie es in den Faktenblättern des SEM im Stakkato heisst: «Rückführung direkt ab Bundesasylzentrum».

Die Befragungen und die Rechtsberatung finden ebenfalls im Zentrum statt, wobei die Asylsuchenden vom ersten Tag an eine kostenlose Rechtsberatung erhalten. Die RechtsberaterInnen werden mit Fallpauschalen entschädigt. Die Aufträge werden in sechs neuen «Asylregionen» verteilt: Ostschweiz, Nordwestschweiz, Westschweiz, Tessin und Zentralschweiz, Bern und Zürich. Fürs Erste gehen sie an Hilfswerke: ans Heks, ans Arbeiterhilfswerk, an die Caritas, die Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not und SOS Ticino.

Falls zusätzliche Abklärungen getroffen werden müssen, werden die Asylsuchenden im Rahmen eines erweiterten Verfahrens einem Kanton zugeteilt. Dieses erweiterte Verfahren soll binnen eines Jahres abgeschlossen sein, «einschliesslich des Vollzugs einer allfälligen Wegweisung». Mit dem neuen Verfahren werden deutlich mehr Asylsuchende in der Obhut des Bundes bleiben. In einem Modell rechnet das SEM vor, dass bei 24 000 Asylsuchenden pro Jahr bisher 11 000 in die Kantone kamen, was knapp der Hälfte entspricht. Künftig sollen es noch 3000 sein.

Das SEM hat das neue Verfahren in vier Testbetrieben ausprobiert, unter anderem in Zürich. Es rühmt sich damit, dass die beschleunigten Entscheide auf mehr Akzeptanz stossen, weil dagegen weniger Beschwerden eingehen. Dazu prophezeit es einen «deutlichen Rückgang des Nothilfebezugs». Auf Nachfrage begründet das SEM-Sprecher Lukas Rieder so: «Der Testbetrieb hat gezeigt, dass rund dreissig Prozent mehr Menschen freiwillig nach Hause reisen. Ergo wird es weniger Menschen geben, die sich weigern, nach einem negativen Entscheid ohne vorläufige Aufnahme heimzukehren, ergo werden weniger Menschen Nothilfe beziehen.»

Was das SEM weniger offensiv kommuniziert: dass 23  Prozent aller Personen im Testbetrieb während des Verfahrens untergetaucht sind.

Nicht um diesen Preis

Die Beschleunigung der Asylverfahren wäre an sich nichts Schlechtes. Das jahrelange Warten auf den Asylentscheid ist zermürbend und wirkt sich langfristig auch auf die Integration im Ankunftsland aus. So sieht es auch die Berner Fürsprecherin Laura Rossi, die im Vorstand der Demokratischen Juristinnen und Juristen sitzt: Mit anderen AnwältInnen hat sie erst im November einen Brief ans SEM geschickt, in dem sie fordern, dass es nicht länger jene Gesuche auf die lange Bank schiebt, die Chancen auf Bewilligung haben. In der Antwort verteidigt das SEM seine Praxis der «Priorisierung»: Jene, die eh nicht bleiben dürfen, sollen so schnell wie möglich ausgeschafft werden. «Wir vermuten, dass das SEM einen Pull-Effekt verhindern will», sagt Rossi. «Meine Klientinnen und Klienten aus Syrien und Afghanistan warten oft drei Jahre auf ihren Entscheid. Obwohl klar ist, dass sie auf jeden Fall zumindest vorläufig aufgenommen werden.»

Rossi bleibt skeptisch, ob sich mit dem neuen Verfahren etwas an der Politik des SEM ändert. Sie befürchtet, dass die gut dokumentierten Fälle ins erweiterte Verfahren abgeschoben werden – also wieder jene, die gute Chancen auf Asyl haben. Die veranschlagte Dauer eines Jahres für das erweiterte Verfahren findet Rossi vom Ansatz her vernünftig: «Ich glaube jedoch nicht, dass die Verfahren tatsächlich in dieser Zeit abgewickelt werden.»

Kritik übt sie vor allem an den verkürzten Rekursfristen: «Die Umstrukturierung lief unter dem Vorwand der Beschleunigung, in Wahrheit ist es jedoch ein Abbau des Rechtsschutzes.» Galt bisher bei einem negativen Entscheid eine Rekursfrist von dreissig Tagen, sind es nun nur noch zehn Tage – sehr wenig Zeit, um einen fundierten Rekurs zu schreiben und neue Beweismittel aufzutreiben. Hinzu kommt, dass die RechtsvertreterInnen gesetzlich verpflichtet sind, ihr Mandat niederzulegen, wenn ihnen eine Beschwerde aussichtslos erscheint.

«Wir haben viele solche Fälle aus dem Testbetrieb erhalten. Zum Teil geben die Rechtsvertreter ihren MandantInnen unsere Adressen, damit sie sich bei uns melden können», sagt Samuel Häberli von der Freiplatzaktion Zürich. Immer wieder gelangt die Rechtsberatungsstelle mit Beschwerden von Asylsuchenden aus dem Testzentrum ans Bundesverwaltungsgericht, die von diesem nicht als aussichtslos eingestuft werden. «Die Rechtsvertretung im Testzentrum in Zürich leistet grundsätzlich gute Arbeit. Vor allem, wenn es sich um gut dokumentierte Fälle mit hohen Chancen auf ein Bleiberecht handelt, legen sie sich richtig ins Zeug», sagt Häberli. Seien die Einschätzungen aber aufwendiger, fielen die Gesuche schnell unter den Tisch. «Die Rechtsvertreter setzen sich oft zu wenig engagiert für ihre Mandanten ein. Zudem werden zu wenige Beschwerden gemacht, weil man kein Risiko eingehen will. Doch wenn man nie eines eingeht, verändert man auch die Rechtsprechung nicht.»

Legt ein Anwalt sein Mandat nach einem negativen Entscheid nieder, muss der oder die Asylsuchende in kürzester Zeit eine neue Rechtsvertretung finden, die innert zehn Tagen eine Beschwerde schreibt. «Die Taktung der neuen Verfahren ist ein riesiger Stress für alle Beteiligten», sagt Häberli. «Immer wieder müssen etwa psychiatrische Berichte eingeholt werden. Doch eine fundierte Diagnose braucht oft mehr Zeit, als das SEM zugesteht.» Ganz abgesehen davon, dass vor allem traumatisierte Menschen in einem getakteten Verfahren oft nicht die Möglichkeit haben, ihre Geschichte stringent zu erzählen, weshalb sie oft als unglaubhaft gelten.

Die Freiplatzaktion Zürich hat die Einführung des neuen Asylregimes zum Anlass genommen, ein Manifest der aktivistischen Rechtsarbeit zu verfassen: Sie setzt sich unter anderem dafür ein, dass Asylsuchende mit ihren Anliegen auf jeden Fall an die Behörden gelangen können, selbst wenn diese aussichtslos scheinen.

Die Frage, wie die Zivilgesellschaft Zutritt zu den Bundeszentren finden kann, treibt derzeit viele lokale Solidaritätsbewegungen um. Die Verordnung für die Bundeszentren, die noch Simonetta Sommaruga persönlich unterzeichnet hat, spricht dazu eine unmissverständliche Sprache: «Sie sind der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht zugänglich.» Eine Ausnahme bilden Projekte, die vom SEM bewilligt wurden – es braucht für den Zutritt also eine vertragliche Vereinbarung mit den Behörden.

Die Asylsuchenden sind in den Zentren in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. So dürfen sie sie laut Verordnung unter der Woche nur von 9 bis 17 Uhr verlassen. Den grössten Teil der Zeit sind sie im Zentrum eingesperrt. Über das Wochenende können sie es verlassen. Im letzten November hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) eine Untersuchung zu den Asylzentren des Bundes veröffentlicht, darunter waren auch die Testbetriebe. Die NKVF stellte fest, dass in allen Zentren bis auf das in Zürich der Ausgang für die Asylsuchenden bewilligungspflichtig ist. Fast überall seien die Erwachsenen bei jeder Rückkehr körperlich durchsucht worden, an einem Ort sogar die Kinder.

Die Antifolterkommission kritisierte die Regelungen deutlich: «Der erzwungene Aufenthalt in den Zentren stellt eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit dar.» Sie fordert deshalb, Körperkontrollen nur bei Verdacht durchzuführen, sowie generell längere Ausgangszeiten. Auch die räumliche Gestaltung trägt dazu bei, dass die Asylsuchenden in eine Halbgefangenschaft versetzt werden: Alle Zentren sind mit einem zwei Meter hohen Stacheldrahtzaun oder Absperrgittern versehen, die meisten werden mit Videokameras überwacht.

Die Situation in den Zentren selbst lässt sich am Bundeszentrum von Boudry NE zeigen, das seit letztem Jahr in Betrieb ist. Denise Graf war lange für Amnesty International tätig, nach ihrer Pensionierung engagiert sie sich nun bei einer Bleiberechtsgruppe in Neuenburg. «Viele Bewohner und Bewohnerinnen erleben das Zentrum als sehr beklemmend», sagt Graf. «Es gibt nicht mal Tische auf den Zimmern oder Rückzugsmöglichkeiten, wo sich die Leute in Ruhe auf ihre Befragung vorbereiten könnten.» In den Zimmern gibt es keine Steckdosen, die Rollläden können nicht selbstständig heruntergelassen werden, sondern nur von einem Securitas-Angestellten. Vorhänge gibt es keine, was insbesondere den Frauen, die im Erdgeschoss untergebracht sind, noch weniger Privatsphäre lässt. Teils bewohnen zwei Familien ein Zimmer. Es gibt zu wenige Aufenthaltsräume und keinen für Kinder. Immer wieder würden so die Kinder ZeugInnen von gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen erwachsenen Männern auf dem Flur.

Sommarugas Erbe

Das SEM antwortet auf diese Vorwürfe, den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Familien werde Rechnung getragen. Steckdosen fehlten in allen Bundeszentren in den Schlafzimmern, damit es weniger Lärm gebe. Die Rollläden müssten in Boudry zudem auch deshalb geschlossen werden, weil sich in der Umgebung eine schützenswerte Fledermauspopulation befinde.

Graf kritisiert auch die medizinische Versorgung in den Zentren: Bis heute sei sie in Boudry völlig ungenügend. «Dabei ist die medizinische Versorgung ein ganz wichtiger Bestandteil des Asylverfahrens. Gerade Opfer von Folter müssen rasch und unkompliziert medizinische Dossiers einbringen können.» Sie verstehe nicht, warum man nicht von den Zürcher Erfahrungen lerne, wo rasch TraumaspezialistInnen ins medizinische Team aufgenommen worden seien. Graf befürchtet generell, dass es je nach «Asylregion» grosse Unterschiede in den Zentren geben wird, was die Unterbringung, die medizinische Versorgung, aber auch die Rechtsberatung anbelangt.

«Es ist sehr wichtig, dass alle Zentren beobachtet werden», fordert Amanda Ioset, Geschäftsführerin der asylpolitischen Dachorganisation Solidarité sans frontières. Sie ist in der Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren» (Ziab) aktiv. Die Ziab will Organisationen rund um die Zentren vernetzen. «Ziemlich gut läuft es in der Romandie», sagt Ioset. Wie in Boudry seien dort schon zahlreiche Gruppen aktiv. Angesichts knapper personeller Ressourcen drohten aber gerade die Zentren ausserhalb der Städte vergessen zu gehen: das «Ausreisezentrum» in Flumenthal etwa oder auch das «Besondere Zentrum» in Les Verrières.

Ob der Umbau des Schweizer Asylsystems funktioniert, hat dessen Begründerin Simonetta Sommaruga politisch nicht mehr zu verantworten: Sie hat pünktlich zum Jahresanfang das Departement gewechselt. Sommaruga, die unter Dauerbeschuss der Rechten stand, hinterlässt eine Bilanz, die diesen eigentlich gefallen müsste. Nicht zuletzt wegen restriktiver Dublin-Rückweisungen wurde die Zahl der Asygesuche im letzten Jahr auf rund 15 000 gedrückt. Die Neustrukturierung des Verfahrens isoliert, wie sich schon jetzt immer deutlicher zeigt, die wenigen Asylsuchenden auch noch fast komplett von der Öffentlichkeit.