Opposition in Österreich: «Omanzen» und Wollmützen
Jeden Donnerstag demonstrieren Tausende in Wien und sechs weiteren Städten Österreichs. Der Protest richtet sich gegen die rechte Regierung, aber bei weitem nicht nur.
«Was ist heute für ein Tag?» Die Aktivistin steht auf der Ladefläche eines Kleintransporters im siebten Wiener Gemeindebezirk. Hinter ihr ein DJ-Pult, ringsherum bunte Scheinwerfer. Vor ihr stehen mehrere Tausend Menschen mit Wollmützen auf dem Kopf, ausgerüstet mit Thermoskannen und Transparenten. Die junge Frau streckt das Mikrofon in Richtung der Menge. «Donnerstag!», schallt es ihr vielstimmig entgegen. «Und wir sind zusammen hier», erwidert darauf wieder die Aktivistin.
Seit Anfang Oktober wird in Wien Donnerstag für Donnerstag demonstriert. Jede Woche zu einem anderen Thema, jede Woche entlang einer anderen Route. Doch jedes Mal mit mehreren Tausend Menschen, die mitlaufen. Bei den Demos geht es um Widerstand, und es geht um Solidarität. Um die schwarz-blaue Regierung von ÖVP und FPÖ, die in Österreich seit einem Jahr an der Macht ist. Und darum, sich in einer Gesellschaft zu vernetzen, die immer weiter nach rechts rückt. Die Demos finden nicht mehr nur in Wien, sondern auch in sechs weiteren Städten Österreichs statt – mittlerweile sogar in Berlin vor der österreichischen Botschaft.
Ganz neu ist diese Tradition nicht: Die ersten Donnerstagsdemos begannen schon im Jahr 2000, als die erste schwarz-blaue Regierung vereidigt wurde. Die Protestzüge waren weder geplant noch angemeldet. Das Motto damals: «Wir gehen, bis ihr geht.» Heute ist das ein bisschen anders.
Gegen den «Akademikerball»
«Es geht heute nicht mehr nur um Kritik an der schwarz-blauen Regierung», sagt der 43-jährige Can Gülcü, einer der OrganisatorInnen der Donnerstagsdemos. «Es geht darum, Menschen sichtbarer zu machen, die weitaus bessere Zukunftsentwürfe im Kopf haben als die Politiker und Politikerinnen im Parlament.»
Die Themen sind vielfältiger geworden und sollen nicht nur Linke ansprechen, sondern auch weite Teile der Gesellschaft erreichen. JedeR kann ein Thema vorschlagen und eigene Ideen einbringen.
Es geht auch um Aufklärung. Deshalb zog die Menge beispielsweise Ende Januar anlässlich des «Akademikerballs» – eines Vernetzungstreffens rechtsextremer Politikerinnen und Funktionäre – von den Verbindungshäusern der deutsch-nationalen Burschenschaften bis zur Parteizentrale der populistischen Regierungspartei FPÖ. So sollte die enge Bande zwischen der parlamentarischen und ausserparlamentarischen Rechten in Österreich deutlich werden.
Am 15. November 2018 wiederum wurde spontan die Route geändert, um sich mit den Gewerkschaften zu solidarisieren, die an diesem Tag in der Wirtschaftskammer die Kollektivverträge – die den Schweizer Gesamtarbeitsverträgen entsprechen – mit den Unternehmensvertretern aushandelten. Und so standen GewerkschafterInnen nach einem langen Verhandlungstag an den Fensterfronten und wurden dort von 8000 Menschen bejubelt.
«Man muss Fronten sichtbar machen und Kräfte bündeln», sagt Anna Svec. Die 26-Jährige zählt ebenfalls zu den OrganisatorInnen. Der Eindruck, die meisten Menschen in Österreich hätten resigniert, sei falsch, meint sie. «Es gibt ein grosses Protestpotenzial. Es gibt nur keine Kraft, die dieses zu bündeln versteht. Zumindest keine linke Kraft.» Eine solche müsse die Themen erst wieder besetzen und dabei die Kämpfe, die die Menschen jeden Tag an ihren Arbeits- und Lebensorten austrügen, sichtbar machen.
Mit Teppichklopfer und Plakat
So vielfältig die Themen sind, so unterschiedlich auch die Menschen, die hier demonstrieren. Der vordere Teil des Zuges bewegt sich zur Musik, die vom Demowagen schallt. Der hintere besteht überwiegend aus Menschen, die sich miteinander austauschen und diskutieren. Manche von ihnen sind schon deutlich ergraut. Andere wiederum sind erst wenige Monate alt und werden von ihren Eltern im Arm getragen.
«Ich gehe für meine Kinder und Enkelkinder auf die Strasse», sagt eine 63-jährige Demonstrantin. Sie engagiert sich in der Gruppe der «Omanzen» – weil sie nicht will, dass spätere Generationen in einer Welt aufwachsen, in der die Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Einmal in der Woche steht sie vor dem Innenministerium und singt Friedens- und Protestlieder. Donnerstags geht sie demonstrieren.
Ihr Plakat hat sie auf einen Teppichklopfer geklebt. «Ich kann gar nicht früh genug #aufstehn, Rotzbuama» steht darauf. Der Hashtag, erklärt sie, beziehe sich auf die NGO #aufstehn, eine zivilgesellschaftliche Kampagnenorganisation. Der Satz verweise auf Kanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP, der vor kurzem verlautbaren liess, dass es keine gute Entwicklung sei, wenn angeblich immer weniger Menschen früh aufstehen würden, um zur Arbeit zu gehen. Kurz wollte auf diese Weise Ressentiments schüren, um damit der Kritik an seinem Reformentwurf zur sozialen Mindestsicherung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Es gibt unter den Demonstrierenden keine klare Vorstellung davon, in welche Richtung sich die Proteste am Donnerstag entwickeln sollen. Die Themen werden ihnen indes nicht so schnell ausgehen. Dafür dürfte die Regierung in Wien schon sorgen.