Ungarn: Orbans neuer Lieblingsfeind

Nr. 9 –

Die rechtspopulistische Regierung in Budapest betreibt eine Kampagne, die sich diesmal nicht nur gegen den Milliardär George Soros richtet, sondern auch gegen den EU-Kommissionspräsidenten.

«Auch Sie haben das Recht zu wissen, was Brüssel vorhat», heisst es auf den Riesenplakaten, die seit Mitte Februar an jeder Ecke in ungarischen Städten und Dörfern zu sehen sind. Auf den Plakaten ist der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker abgebildet, während der jüdische US-Milliardär und Mäzen George Soros böse aus dem Hintergrund lächelt. Liest man das Kleingedruckte dieser neuen offiziellen «Informationskampagne» der ungarischen Regierung, so erfährt man, dass Brüssel «die Einwanderer» und «die Organisationen, die die Migration unterstützen», finanziell fördere und versuche, Pflichtquoten für jeden EU-Mitgliedstaat einzuführen.

Antisemitisch, rassistisch

Natürlich handelt es sich dabei um ein Sammelsurium von Fake News. Die Idee einer EU-weiten Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen beispielsweise wurde aufgegeben, gerade weil viele neue Mitgliedstaaten, allen voran Ungarn, dagegen Sturm gelaufen waren und weil einige westeuropäische Länder sich hinter dieser lautstarken Ablehnung versteckt hatten. Eine gemeinsame EU-Asylpolitik gibt es aus denselben Gründen ebenfalls nicht. Und die NGOs, die «die Migration unterstützen», also etwa Flüchtlinge im Mittelmeer retten, werden gerade nicht finanziell unterstützt, sondern zum Beispiel in Italien kriminalisiert; manche SeenotretterInnen stehen im Moment sogar vor Gericht.

Es ist nicht das erste Mal, dass die rechtspopulistische Regierung von Viktor Orban Kampagnen mit antisemitischer und rassistischer Note finanziert. Allein in den letzten zwei Jahren haben die Plakate und Reklamen, die gegen die EU und gegen den ursprünglich aus Ungarn stammenden George Soros hetzten, über 175 Millionen Euro gekostet.

Letzterem wirft Orbans Propaganda schon lange vor, der Strippenzieher hinter einer «linksliberalen Verschwörung der internationalistischen Finanz» zu sein, die beabsichtige, die Nationalstaaten Europas und ihre Kultur durch die gezielte Förderung der Immigration zu zerstören. Aber es ist eine Premiere, dass der EU-Kommissionspräsident zum Gegenstand einer solchen Hetzkampagne wird.

Während die Regierung gegen Brüssel wettert, kassiert das Budapester Kabinett gleichzeitig eifrig Gelder aus europäischen Strukturfonds – und verteilt diese weiter an eine Klientel, zu der vor allem Orbans persönlicher Freundeskreis und seine Familienangehörigen zählen. Die EU-Behörde OLAF, die den Betrug mit gemeinschaftlichen Geldern bekämpft, ermittelt derzeit in zahlreichen Fällen, unter anderem gegen diverse Firmen, an denen Orbans Schwiegersohn Istvan Tiborcz beteiligt ist.

Dennoch unternimmt die Kommission erstaunlich wenig, um diesem Missbrauch ein Ende zu setzen. Zwar fehlt bisher die gesetzliche Grundlage, um den Geldhahn aus politischen oder rechtsstaatlichen Gründen zuzudrehen, doch schon die Feststellung von Unregelmässigkeiten würde reichen, um ganze Programme einzufrieren.

Auch die Europäische Volkspartei (EVP) im EU-Parlament ignoriert seit Jahren Forderungen, Orbans Fidesz-Partei aus ihren Reihen auszuschliessen. Die CSU-Ministerpräsidenten aus Bayern sowie die österreichischen Kanzler von der ÖVP haben regelmässig den ungarischen Premier und Parteifreund empfangen. Erst jetzt distanziert sich die EVP-Führung – allen voran Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat bei der Europawahl Ende Mai – etwas deutlicher von Orban. Die christdemokratische Partei Schwedens will sogar ein Ausschlussverfahren gegen den Fidesz initiieren. Wer allerdings in den vergangenen zehn Jahren die Nachrichten aus Ungarn verfolgt hat, mag sich fragen, wieso die europäischen Konservativen erst jetzt reagieren.

Deutsche Kapitalinteressen

Ein Teil der Antwort dürfte darin liegen, dass die EVP auf den Fidesz angewiesen war, um als grösste Fraktion im Europäischen Parlament auftreten und damit die Kommissionspräsidentschaft für sich beanspruchen zu können. Ob das nach den nächsten Wahlen im Mai noch der Fall ist, ist fraglich.

Ein weiterer und vielleicht wichtiger Teil der Antwort könnte darin liegen, dass Ungarn ein lukrativer Standort für deutsche und österreichische Konzerne ist. Diese profitieren seit Jahren von den niedrigen Löhnen und Steuern, von zahlreichen Vergünstigungen sowie von einem extrem eingeschränkten Streikrecht. Der deutsche Automobilhersteller BMW etwa baut gerade ein grosses Werk in Debrecen. Orbans Antwort darauf: ein neues Gesetz, das Unternehmen ermöglicht, bis zu 400 Überstunden im Jahr von ihren Angestellten zu verlangen – und sie erst nach drei Jahren zu bezahlen.