Der Mäzen George Soros: Ungarns Staatsfeind Nummer eins
Ministerpräsident Viktor Orban will die beste Universität für Sozialwissenschaften der Region zerstören. Dahinter steckt sein Hass auf den in Budapest geborenen Milliardär George Soros.
Der Angriff der ungarischen Regierung auf die Central European University (CEU), die in Osteuropa als beste Hochschule für Sozialwissenschaften gilt, hat vor allem einen Grund: den Dauerkonflikt zwischen Ministerpräsident Viktor Orban und dem ungarischstämmigen US-Milliardär und Mäzen George Soros, der auch die CEU gegründet hatte.
An den letzten beiden Wochenenden protestierten Tausende auf den Strassen Budapests gegen die mögliche Schliessung der Universität. Doch die Rechtspopulisten um Orban lassen sich nicht beeindrucken. Staatspräsident Janos Ader unterzeichnete kurz danach die umstrittene Gesetzesnovelle: Ende des Jahrs wird die Prestigeinstitution sehr wahrscheinlich ihre Akkreditierung verlieren.
George Soros, der 1930 in Budapest auf die Welt gekommen war und auf fast wundersame Weise den Holocaust überlebt hatte, promovierte nach dem Krieg in Britannien beim Philosophen Karl Popper und machte später in den USA mit Währungsspekulationen ein Vermögen. Poppers Ideen prägten das politische Denken des Financiers, speziell dessen Konzept einer «offenen Gesellschaft», in der über öffentliche Fragen frei und rational debattiert wird. So beschloss Soros nach der Wende, einen Grossteil seines Gelds für den Aufbau liberaler Demokratien in Osteuropa zu spenden.
Gegen Orbans «illiberale Demokratie»
Neben einem Netz von Stiftungen, die seit Jahren insbesondere in den postsozialistischen Ländern aktiv sind, gründete Soros Anfang der neunziger Jahre auch die CEU. Deren ursprüngliche Aufgabe war die Ausbildung einer demokratischen Elite für die Region; deshalb konzentriert sich die Uni bis heute auf Sozial- und Geisteswissenschaften. Zahlreiche ungarische, rumänische oder polnische Politikerinnen, Beamte und VertreterInnen der Zivilgesellschaft haben an der CEU studiert oder promoviert.
Viktor Orban selbst kam 1989 in den Genuss eines Stipendiums von George Soros, das ihm erlaubte, in Oxford die Geschichte der liberalen englischen Philosophie zu studieren. Doch Zeiten und Meinungen ändern sich. Heute profiliert sich der ungarische Premier als Wegbereiter eines nationalistischen und autoritären Politiksystems, das er selbst als «illiberale Demokratie» bezeichnet. Schon vor Jahren erklärte er seinem früheren Mäzen den Krieg. Heute gilt Soros als Staatsfeind Nummer eins. Er soll laut Orban ständig versuchen, weltweit den Nationalstaat zu begraben, den Nationen verwerfliche Werte wie den Multikulturalismus und den Liberalismus aufzuzwingen; selbst für die «Migrationswelle» macht Orban den jüdischen Milliardär verantwortlich.
Auch andere hochrangige Politiker und regierungstreue Medien wiederholten solche Behauptungen voller antisemitischer und verschwörungstheoretischer Untertöne. Bis vor kurzem herrschte allerdings die Meinung vor, dass ihnen keine Taten folgen würden. Die CEU galt mit ihren Topdozenten und -forscherinnen aus aller Welt als zu prestigereich und international vernetzt, als dass sie einfach geschlossen werden könnte. Doch die Ernüchterung kam rasch: Zwischen Orbans Absichtserklärung und der Verabschiedung des Gesetzes vergingen weniger als zehn Tage.
Atheistische Radfahrer und Vegetarier
Eigentlich ist über die Person des Financiers Soros, seine Biografie, seine Geschäfte und sein philanthropisches Engagement so gut wie alles bekannt, denn er selbst hat zum einen vieles in zahlreichen Büchern und Artikeln verraten, während sich JournalistInnen aus aller Welt ihrerseits auch Mühe gegeben haben, alles noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Manche seiner Finanzspekulationen haben auch Opfer gefordert, etwa als er in den neunziger Jahren das britische Pfund zum Fallen brachte. Seine Stiftungen für eine «offene Gesellschaft» setzen sich hingegen entschieden für Transparenz und Demokratisierung ein.
Und doch wird Soros fast in ganz Osteuropa mittlerweile für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht. In Rumänien beschwerte sich der frühere Ministerpräsident Victor Ponta, gegen den gerade in mehreren Korruptionsaffären ermittelt wird, dass die von Soros finanzierten Zivilgesellschaftsorganisationen in der Politik mitmischten. Beweislos behauptete Ponta, dies sei «eine Gefahr» für «das Nationalinteresse» Rumäniens. In Polen macht die rechtspopulistische Regierungspartei PiS Soros dafür verantwortlich, «die polnische Identität» zu zerstören, und, wie es Aussenminister Witold Waszczykowski letztes Jahr ausdrückte, eine Welt aus atheistischen «Radfahrern und Vegetariern» schaffen zu wollen.
Mehr noch als anderswo spielt George Soros’ jüdische Abstammung in Ungarn eine wichtige Rolle. Dabei geht es um die Ablehnung von Werten, die innerhalb des antisemitischen Diskurses «dem Juden» zugeschrieben werden. Wie es aus seinen zahlreichen Grundsatzreden der letzten Zeit immer klarer wurde, möchte Orban etwa den Einfluss von «kosmopolitischen Juden» – und von «Kosmopoliten» überhaupt – loswerden. Die wichtigen, aber immer wieder verschobenen gesellschaftlichen Debatten, die eigentlich bereits vor dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder hätten geführt werden müssen, rächen sich jetzt auf gefährliche Weise: Geht es nur um wirtschaftliche Entwicklung, oder will man darüber hinaus auch eine kulturelle und gesellschaftliche Transformation, an deren Ende man womöglich gar «Radfahrer und Vegetarier» sein könnte?