EritreerInnen in der Schweiz: Raus um jeden Preis
Möglichst viele vorläufig Aufgenommene möglichst schnell zurück nach Eritrea ausschaffen: Das fordert wieder einmal der Nationalrat.
Die Frage drängt sich auf: Gibt es eigentlich nichts Wichtigeres zu tun? Jede Session befasst sich das Parlament damit, Asylsuchenden und insbesondere den EritreerInnen das Leben noch ein bisschen schwerer zu machen. Mit 127 zu 52 Stimmen hiess der Nationalrat am Montag eine Motion von FDP-Ständerat Damian Müller gut, die verlangt, dass der Bund den Status aller vorläufig aufgenommenen EritreerInnen überprüfen und «so viele Bewilligungen wie möglich» aufheben soll. «Umsetzung einer fairen Asylpolitik in Bezug auf Eritrea» nannte Müller seine Motion.
Einmal abgesehen von Müllers fragwürdigem Fairnessbegriff, ist die Motion ein Leerlauf, denn sie fordert etwas, das der Bund bereits umsetzt: Seit April 2018 überprüft das Staatssekretariat für Migration (SEM) rund 3000 Dossiers von EritreerInnen, die mit einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz leben, um ihnen gegebenenfalls die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen.
Unmögliche Zwangsausschaffung
Das SEM verschärft seine Praxis gegenüber eritreischen Asylsuchenden seit Jahren: Zuerst wurde die illegale Ausreise aus Eritrea nicht mehr als Fluchtgrund akzeptiert, dann entschied es, dass eine Rückkehr nur in Ausnahmefällen unzumutbar sei, und zuletzt, dass selbst eine drohende Zwangsrekrutierung für den berüchtigten Nationaldienst nach der Rückkehr keine Gefährdung darstelle. Das Bundesverwaltungsgericht segnete diese Verschärfungen jeweils nachträglich mit drei Grundsatzurteilen ab.
Und nun soll rund einem Drittel der vorläufig aufgenommenen EritreerInnen der an sich schon prekäre Status der vorläufigen Aufnahme ganz aberkannt werden. Diese 3000 Personen hätten ihn nur erhalten, weil eine Wegweisung unzumutbar geschienen habe, erklärt das SEM auf Nachfrage. Bei einem Grossteil von ihnen handle es sich um Familien oder um unbegleitete Minderjährige, sagt das SEM ganz unverblümt. Bisher hat das SEM dreizehn Aufhebungen verfügt, acht davon sind rechtskräftig, fünf Beschwerden sind noch vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig.
Das mag eine relativ geringe Zahl sein. Doch die Botschaft ist eindeutig: Die Schweiz will eritreische Flüchtlinge loswerden. So viele wie möglich und um jeden Preis. Die Krux dabei: Eritrea akzeptiert keine Zwangsausschaffungen. Das SEM sagt dazu: «Aus der Schweiz rechtskräftig weggewiesene eritreische Staatsangehörige können aber ohne weiteres selbständig nach Eritrea zurückkehren. (…) Diese Menschen sind somit keinesfalls gezwungen, in der Nothilfe zu leben – sie sind aufgefordert, in ihre Heimat zurückzukehren.»
Drastische Konsequenzen
Doch kaum eine aus Eritrea stammende Person wird freiwillig dorthin zurückkehren. Trotz des Tauwetters mit Äthiopien ist Eritrea nach wie vor kein Rechtsstaat, wie der Eritreische Medienbund Schweiz schreibt. Auch Amnesty International hält fest, dass sich die Menschenrechtslage in Eritrea nicht verbessert hat: Nach wie vor würden Demonstrationen unterdrückt, internationalen BeobachterInnen würde die unabhängige Einreise verweigert, im unbegrenzten Nationaldienst seien Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung, in Gefängnissen sei Folter weitverbreitet. Gemäss Reporter ohne Grenzen rangiert Eritrea bezüglich Pressefreiheit auf dem zweitletzten Platz. Erst im Dezember rügte der Uno-Ausschuss gegen Folter das Bundesverwaltungsgericht, das einen Wegweisungsentscheid gegen einen eritreischen Asylsuchenden stützte. Der Entscheid sei ein Verstoss gegen die Antifolterkonvention.
Für die Betroffenen sind die Konsequenzen drastisch. Vielleicht haben sie sich schon eine Existenz aufgebaut. Vielleicht haben sie gerade eine Lehre begonnen. Vielleicht leben sie in einer eigenen Wohnung, haben Freundschaften geschlossen. Wird ihnen der Status aberkannt, dürfen sie nicht mehr arbeiten, sie müssen ihre Wohnung verlassen und in eine Notunterkunft ziehen. Sie leben von acht Franken am Tag, perspektivlos und isoliert am Rand der Gesellschaft. Damian Müllers Vorurteil von den «schwer integrierbaren» EritreerInnen wird so zur – politisch erzwungenen – Realität.