Basler Fasnacht: Wer sind hier die Affen im Zirkus?
Das links-grün regierte Basel hat ein Rassismusproblem: An den «drey scheenschte Dääg» machte auch ein Ansteckpin mit dem Gesicht eines lokalen Rappers die Runde, der – stellvertretend für alle People of Color – als «Mr. Antifasnacht» gebrandmarkt wurde.
Am Cortège, wie der grosse Umzug an der Basler Fasnacht genannt wird, ist bereits am Montag der Teufel los. Alles wird aufs Korn genommen von dieser Kolonne aus Cliquen und Guggen, die sich wie ein widerborstiger Bandwurm durch die Strassen schiebt. Donald Trump, der Feminismus, die Mondlandung vor fünfzig Jahren, LokalpolitikerInnen – alle kriegen ihr Fett weg.
Plötzlich marschiert mit Getöse der Zug der «Basler Bebbi» heran. «Bimbotown – Neuigkeite us em Dschungel» lautet das Sujet. Vorneweg marschieren Kolonialherren in schneeweisser Uniform, gefolgt vom «groossartige Entdegger» auf einem fahrenden Elefanten. Dahinter, eingesperrt in einem Gitter, trommeln Männer in Baströcken und Knochenketten auf bemalte Holzschilde. Ein paar von ihnen ziehen einen dampfenden Kessel, aus dem menschliche Gliedmassen ragen. Auf der Laterne steht in kleinen Lettern:
Meinsch die Völggerschau goht z wytt?
Ringsch um Fassig? Findsch se nit? (…)
Au uns isch nid ganz wool drbyy,
Mir sinn an dääre Demo gsi
Und hänn gseit, exaggt so Sache
Dörf me an dr Fasnacht mache
Die Fasnacht gilt in Basel traditionellerweise als die schönste Zeit im Jahr. Mit dem Morgestraich wird in der Innenstadt morgens um Punkt vier das Licht ausgeknipst und wie auf Kommando versinkt die Stadt zwischen Trommelwirbeln und Piccoloklängen für drei Tage im heiteren Taumel der Narrenfreiheit.
In diesem Jahr ist das anders: Eine Rassismusdebatte hatte im vergangenen Sommer für hässliche Schlagzeilen gesorgt und die Stadt in hellen Aufruhr versetzt. Die Gugge «Negro-Rhygass» hatte im Kleinbasel, einem kulturell durchmischten Teil der Stadt, ihr Sommerfest veranstaltet. Über dem Eingang zum Hinterhof hing ein Banner, auf dem «E nätts Negro-Fescht» stand. Daneben prangte das Logo der Gugge, die Karikatur eines schwarzen Mannes mit den üblichen Attributen: dicken Lippen, grossen Füssen, Bastrock und einem Knochen in den Haaren. Mehrere Personen empfanden das Logo als rassistisch und wandten sich mit ihrer Kritik an die Festgemeinschaft vor Ort. Und an die regionalen Medien.
Solidarische Rechtsextreme
Die Figur und der Name der Gugge rückten in der Folge ins Zentrum eines veritablen Shitstorms. Die Kritik: Das Logo stelle Schwarze als Primitive dar und sei ein Motiv rassistischer Unterdrückung. Die VerteidigerInnen, darunter die Gugge selbst, SympathisantInnen, Politiker und Journalistinnen, hielten dagegen. Die Gugge existiere nun mal seit 1927 und berufe sich mit ihrem Wappen auf ein Ereignis ihrer Gründungszeit: die Notlandung des Schweizer Flugpioniers Walter Mittelholzer in Afrika. Die Gugge distanzierte sich von jeglicher Form von Rassismus und beschloss schliesslich auf einer Mitgliederversammlung, das Logo in der Öffentlichkeit nicht mehr einzusetzen.
Aber da hatte sich die Debatte längst verselbstständigt und war in einen «Solidaritätsmarsch» gemündet: 5000 Menschen zogen für den Erhalt der Karikatur und die «Meinungsfreiheit» durch die Gassen. Darunter befanden sich auch einige Rechtsextreme, die ihre Gesinnung mit T-Shirts und Tattoos offen zur Schau trugen. Sie wurden geduldet. Hatte Basel, diese liberale, weltoffene, links-grün regierte Stadt, ein Rassismusproblem?
Einen Gesinnungstest darf man von der Fasnacht nicht erwarten, dafür ist dieser Anlass zu wild, zu bunt, zu schillernd. Gleichzeitig gilt er als sehr politisch. Deshalb wartete die ganze Stadt vor den «drey scheenschte Dääg» 2019 auf Antworten darauf, wie die Baslerinnen und Basler, wie das Fasnachtsvolk wohl auf die Rassismusdebatte reagieren würden.
Halt suchen im Gegenangriff
Am Cortège hat jede Gruppierung ein Sujet, das sich in den Kostümen, den Zettelreimen (Zeedel), kurz: dem ganzen Auftritt widerspiegelt. Und heuer liest man da: «Esoo ne Affetheater» oder «Es sin doch alli emool dr Nääger», «Affezirkus pur, dasch unseri Kultur», «Empeerigs-Kakophonyy» oder «Mir gseen schwaarz». Ganz klar: Das Thema «Rassismus und Narrenfreiheit» ist das dominante Thema unter den Aktiven. Und in zahlreichen Variationen wird die Frage aufgeworfen: «Daarf y, oder daarf y nid?»
Diese Angst zieht sich wie ein roter Faden durch viele Sujets: die Angst, vor der «Humorpolizei» gar nichts mehr sagen zu dürfen. Und da ist es plötzlich, dieses Gefühl des tiefen Misstrauens, das diese Fasnacht überschattet. Die antirassistische Kritik an einem einzelnen Motiv hat zu einer tiefgreifenden Erschütterung von weiten Teilen der Szene geführt und erhebliche Gleichgewichtsstörungen verursacht. Also suchen die Guggen und Cliquen Halt. Mit bescheidenem Erfolg.
In vielen Fällen wird die Kritik an rassistischer Sprache und rassistischen Emblemen rundheraus abgelehnt. Und um zu zeigen, für wie schwachsinnig man den Vorwurf hält, wird er einfach bestätigt: Affentheater, heisst es dann, oder das N-Wort wird genüsslich zelebriert. Es werden «Mohrenköpfe» verteilt bis zum Schlechtwerden. Auf Laternen sind einige Karikaturen im Stil der Negro-Figur zu sehen: Ein Teil der Fasnachtstreibenden sucht Halt im Gegenangriff.
Andere gehen in die Defensive. Sie nähten ihren Larven, wie die Masken in Basel heissen, demonstrativ die Lippen zu. Sie lassen ihre Zettel, auf denen sonst Reime stehen, leer, aus gespielter Angst vor Zensur. Sie verzichten auf ein Sujet oder nennen es gleich «Kai Sujet – sig gscheit, sag nüt». Kurz: Sie sehen sich derart in die Ecke gedrängt, dass es ihnen die Sprache verschlagen hat.
Die meisten Reaktionen zielen damit nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern bedienen Reflexe: Angst, Empörung, Trotz, Wut. Es hätte zahllose Möglichkeiten gegeben, die Debatte am anderen Ende der Meinungsfreiheit anzupacken, der Spielraum zwischen einem absoluten Witzeverbot und rassistischen Motiven ist schliesslich gross. Zwischentöne sind da, aber man muss sie suchen.
Jean-Luc Perret, der das «Bimbotown»-Sujet der Bebbi-Clique verantwortet, war wohl bereits im Vorfeld des Cortège etwas mulmig zumute. Am Telefon wollte er die Idee hinter dem Sujet noch mal erläutern, Missverständnisse seien möglich. Man wolle mit dieser «Völkerschau» auf keinen Fall Rassismus einfach wiederholen, sondern einen Denkprozess auslösen, die Leute mit der überspitzten Darstellung wachrütteln. «Sie sollen am Strassenrand stehen und leer schlucken», sagte Perret, «sie sollen denken: Aha, dieser Umgang mit dem Fremden, wie er ja auch im Basler Zoo stattfand, ist wirklich rassistisch.»
Perret, selbstkritisch, sah nur einen Haken an der Sache: «Es könnte sein, dass die Leute, die man in dieser Rassismusdebatte unterstützen will, sich durch diese Darstellung beleidigt fühlen.» Er hoffe es nicht.
«Den Leuten fehlt das Vokabular»
Kurz nachdem sich der Cortège in heftigem Wind und Regen aufgelöst hat, vibriert das Handy des Reporters. Auf dem Bildschirm leuchtet ein Foto. Darauf zu sehen ist ein Ansteckpin, der das lachende Gesicht eines schwarzen Mannes zeigt. Darüber der Schriftzug: «Mer stelle vor … Mr. Antifasnacht.» Der Mann ist Naim Mbundu, Rapper, in Basel aufgewachsen.
Mbundu hatte im vergangenen Sommer der «TagesWoche» ein Interview gegeben und dabei Kritik am Logo der Negro geäussert: «Du kannst nicht Menschen anschauen, die schwarz sind, und dann diese Motive anschauen und dabei nicht automatisch eine Verbindung herstellen. Etwas von diesen Abbildungen wird an den Menschen kleben bleiben, und das geht einfach nicht klar.»
Ein halbes Jahr später wird er von Anonymen mit Foto als Feind der Fasnacht auf einem Ansteckpin herumgereicht. Die Meinungsfreiheit ist hier längst in offenen Rassismus gekippt, Hetze inklusive, während sich manche noch darüber beklagen, das N-Wort nicht mehr aussprechen zu dürfen. Dass das möglich ist, hat auch mit dem schulterzuckenden «Habt euch nicht so» der TraditionshüterInnen zu tun.
Mbundu hat dem Reporter das Bild nicht selber geschickt. Das war Malik Abdi, 24 Jahre alt, Student, als DJ Kombé legt er seit Jahren in den angesagten Clubs von Basel auf. Wenn in seiner Stadt Fasnacht ist, das weiss Abdi, «gibt es da immer Sachen, die grenzwertig sind». Aber heute wurden in Basel offenbar von irgendwem diese Anstecker verteilt, die nicht nur grenzwertig sind, sondern einen Freund von ihm, Naim Mbundu, in Bild und Text verhetzen, anprangern, ausgrenzen.
Abdi hat die Fasnacht selten so aufgekratzt erlebt wie in diesem Jahr. Viele Witze auf Kosten seiner Hautfarbe sind ihm heute bewusster als früher. Was denkt er über die Völkerschau der «Bebbi»? «Diese Leute haben offenbar keine Ahnung, was das für uns People of Color bedeutet, wenn diese Bilder, der Bastrock, der Kannibalismus, das wilde Herumtanzen, das Eingesperrtsein und Begafftwerden, wenn all diese Bilder immer und immer wieder hervorgezerrt werden.»
Jovita dos Santos Pinto, Rassismusforscherin an der Universität Bern, hat die Basler Rassismusdebatte aufmerksam verfolgt. Sie sagt: «Es ist offensichtlich, dass der Mehrheitsgesellschaft die Bilder und Worte fehlen, Menschen of Color jenseits dieser Stereotype von ‹Wilden› oder ‹Opfern› darzustellen.» Dabei existierten diese Bilder, nur sei antirassistische Geschichte in der Schweiz weitgehend unbekannt. Und so würden die meisten auf das zurückgreifen, was sie kennten, statt sich zu informieren. Beabsichtigt oder nicht – die Mehrheitsgesellschaft zeige damit: Wir wollen keine Kritik am Status quo. Pinto resümiert: «Es ist schon interessant, was da in Basel passiert: Anstatt gegen bestehende Machtverhältnisse zu schiessen, wie es an der Fasnacht üblich ist, wird beim Thema Rassismus nach unten getreten.»
Die Basler Fasnacht 2019 ist seit einer Woche Geschichte, aber ihre Geschichten hallen nach. Es sind Geschichten davon, wie die Fasnacht, eine identitätsstiftende Institution der Stadt, in ihrem liberalen Selbstverständnis angegriffen wurde und wie darauf mit grosser Nervosität und Hilflosigkeit reagiert wurde. In den Geschichten spiegelt sich irgendwie der Kampf um die Meinungsfreiheit und dafür, sich den Mund nicht verbieten zu lassen. Allein: Dieser Kampf besteht massgeblich darin, das N-Wort weiterhin benutzen zu dürfen. Er entlarvt sich damit als Abschottungsmanöver unter dem Deckmantel der Narrenfreiheit.
Die Fasnacht hat laut und vielköpfig zum Thema Rassismus Stellung bezogen. Antworten blieben aus, alle Fragen offen.