Schusssicherheit: Rosa Gewehr für Kinderhände

Nr. 16 –

Mit dem Finger am Abzug: Zwei kluge Ausstellungen in Winterthur und Aarau beleuchten Waffenwahn und Sicherheitsindustrie – und unsere Faszination dafür.

Auch ein abgebissenes Darvida kann zur Pistole werden. Die Arbeit «Notration» der Künstlerin Agatha Zobrist. Foto: Agatha Zobrist

Rot leuchtet die Schrift «Dogana» im Dunkeln: Zoll. Daneben drückt eine Hand in hellblauem Handschuh eine dunkelhäutige Hand auf ein Gerät. Fingerabdruckerfassung, eine Taschenlampe beleuchtet einen Reisepass, Militärschuhe in Reih und Glied. «How to Secure a Country» heisst die Winterthurer Ausstellung mit Fotografien von Salvatore Vitale. Nüchterne Aufnahmen, meist ein bestimmtes Detail im Blick. Sie beleuchten die vielen verschiedenen Aspekte, die zusammen etwas eigentlich kaum Fassbares darstellen sollen: die Sicherheit des Staates Schweiz. Vitale hat an der Grenze fotografiert, beim Militär, bei der Polizei, in Bunkern. Aber auch an der ETH im Visions for Robotics Lab, wo kleine Luftfahrzeuge hergestellt werden, die bei Rettungseinsätzen helfen sollen, und in der Zentrale von Meteo Schweiz.

Die Bilder sind in der Fotostiftung Schweiz ausgestellt, der Raum erinnert ein wenig an eine Messehalle. Dazu kommen grosse grafische Darstellungen von Statistiken, die Vitale erstellen liess: welche Departemente und Behörden im Sicherheitsbereich am meisten zusammenarbeiten, eine Rangliste der Länder mit den meisten Schusswaffen pro Kopf oder wie ein Datenbunker aufgebaut ist. Vitale hat für «How to Secure a Country» viel Recherchearbeit geleistet, die wissenschaftlichen Artikel und Bücher sind in der Ausstellung aufgelegt. Doch obwohl er sich dem Thema von allen Seiten nähert, bleibt es diffus, trotz Zahlen und Fakten erschliesst es sich nur bedingt.

Dafür stellt sich ein Unbehagen ein ob der kalten Räume, der in Bildern festgehaltenen Bürokratie: Wem nützt diese Sicherheit und warum? Wer wird hier vor wem oder was geschützt? Und wer wird als Risiko wahrgenommen?

Vom Accessoire zur Tatwaffe

Was den Schusswaffenbesitz pro Kopf angeht, liegt die Schweiz weltweit auf dem vierten Platz, so lernen wir bei Vitale; nur in den USA, im Jemen und in Finnland sind es mehr. Woher kommt diese Faszination? Damit setzt sich die Ausstellung «Im Visier» im Forum Schlossplatz in Aarau auseinander, die sich Schusswaffen in Kunst und Design widmet. Sie kommt verspielter daher als «How to Secure a Country», gezeigt werden Werke von zwanzig zeitgenössischen KünstlerInnen. Diese nähern sich dem Objekt in sechs thematisch geordneten Abschnitten, befragen es nach Sinn und Zweck: vom Spiel zum Krieg, vom Accessoire zur Tatwaffe.

Der erste Raum thematisiert die kindliche Begeisterung für Spiele mit Waffen, wo aus jedem Stück Holz ein Gewehr werden kann oder aus einem abgebissenen Darvida eine Pistole. «Eine Attrappe braucht man, wenn man Frieden machen will, weil man dann keine Menschen umbringt und trotzdem schiessen kann», schreibt der Primarschüler Gabor Hamza für die Arbeit «Krieg und Frieden machen, acht Waffen für die Welt». Aber wozu eine Attrappe, wenn es auch echt geht? Das haben sie sich wohl beim Waffenhersteller Keystone Sporting Arms gedacht, die «My first rifle» herstellen – für Kinderhände, gendergerecht in rosa und hellblauer Ausführung. Mit kindlicher Begeisterung lässt sich eben auch viel Geld machen, mit Waffen sowieso.

Spende eine Waffe!

Die Kommerzialisierung des Krieges ist auch Thema bei Michel Aubry, der in «Le Grand Jeu» eine Sammlung afghanischer Teppiche zeigt – doch statt mit traditionellen Blumen- oder Tiermotiven sind diese Teppiche mit Bomben, Granaten, Kalaschnikows verziert. Während der sowjetischen Besetzung Afghanistans zwischen 1979 und 1989 wurden sie von afghanischen Flüchtlingen in pakistanischen Lagern geknüpft. Ursprünglich für die sowjetischen SoldatInnen in Afghanistan gedacht, fanden sie auch im Westen bald ihre KäuferInnen.

Wie sichert man ein Land? Auf jeden Fall nicht mit Waffen, so scheint die Ausstellung in Aarau zu sagen. Hier wird der Waffenwahn eher ins Lächerliche gezogen. Zum Beispiel in der Kampagne «Share the Safety» der Künstlergruppe The Yes Men: Ein fingiertes Werbevideo, angeblich eine Zusammenarbeit der US-amerikanischen National Rifle Association und des Waffenherstellers Smith & Wesson, ruft dazu auf, bei jedem Kauf einer Waffe eine weitere gratis an Bedürftige zu spenden. Diese hätten nämlich nicht den Luxus, sicher zu sein: So einfach ist es, Gutes zu tun!

Schiessen statt einkaufen

Trotz aller Lächerlichkeit, gerade hier, wo der Waffenkult untersucht und entlarvt wird: Die Faszination schwingt doch auch immer mit – gerade das macht die Ausstellung in Aarau interessant. Und auch, dass sie ein wenig mit dem Klischee des verrückten Waffennarren aufräumt, zum Beispiel in Kyle Cassidys Fotoserie «Armed America: Portraits of Gun Owners in Their Homes». Cassidy porträtiert ganz unterschiedliche Menschen, die erzählen, wieso sie Waffen besitzen. Unter anderen Fleming, der lange ausführt, dass die meisten Leute, die er kenne, Waffen nur zur Nahrungsbeschaffung bräuchten. Und seine Frau Jean, die neben ihm auf dem beigen Sofa sitzt, meint knapp: «Ich hasse Waffen. Frag mich bloss nicht!»

«Salvatore Vitale: How to Secure a Country» in der Fotostiftung in Winterthur dauert noch bis zum 26. Mai 2019. Künstlerführung am Sonntag, 21. April 2019, 11.30 Uhr.

«Im Visier. Die Schusswaffe in Kunst und Design» im Forum Schlossplatz in Aarau dauert noch bis zum 25. Mai 2019.