Waffenabstimmung: Die bewiesene Wirkung von verschärften Waffengesetzen
Im Abstimmungskampf zur Übernahme der EU-Waffenrichtlinie dominieren Untergangsszenarien: Die einen fürchten das Ende von Schengen/Dublin, die anderen sehen die Schweizer Souveränität bedroht. Über den wichtigsten Punkt wird bisher kaum geredet: Verschärfende Massnahmen verringern nachweislich die Schusswaffengewalt.
Noch selten ist eine politische Debatte derart verrutscht wie jene über die Abstimmung zur Übernahme der neuen EU-Waffenrichtlinie, die in einem Monat stattfindet. Die Debatte dreht sich nicht um die logische Kernfrage, ob eine Verschärfung des Waffengesetzes auch zu einer Eindämmung von Gewalt und Tötungsfällen führt. Stattdessen wird die Abstimmung zu einer Art Endkampf um die Europafrage hochgepitcht.
Das liegt vor allem an der Kampagne der BefürworterInnen, die der Wirtschaftsverband Economiesuisse anführt, sekundiert von der CVP und der FDP – und damit ausgerechnet von jenen beiden grösseren Parteien, die sich vor acht Jahren noch als GegnerInnen der Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» inszenierten. Die Vorlage, die damals immerhin knapp 44 Prozent der Stimmberechtigten annahmen, ging deutlich weiter als die nun vorliegende EU-Waffenrichtlinie.
Das Interesse dieses wirtschaftsbürgerlichen Blocks gilt eben gar nicht der moderaten Waffengesetzverschärfung, sondern den Schengen- und Dublin-Verträgen, die an die EU-Waffenrichtlinie gekoppelt sind (vgl. «Verwässerte Richtlinie» im Anschluss an diesen Text). Bei einer Ablehnung droht der Schweiz entsprechend der Ausschluss aus Schengen/Dublin. Genau davor fürchtet sich der Block – primär aus ökonomischen Gründen.
229 Schusswaffentote
Ob die neue EU-Waffenrichtlinie hilft, den Missbrauch von Schusswaffen in Europa zu senken, kann Steffen Hurka nicht beantworten. Es gibt schlichtweg noch keine verwertbaren Daten dazu. Doch der Politikwissenschaftler der Münchner LMU-Universität hat im November 2018 gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Knill eine Studie publiziert, die der Frage nachgeht, ob restriktivere Waffengesetze die Zahl von Morden und Suiziden verringern. Die beiden Forscher haben dafür die Regulierungen in sechzehn verschiedenen Ländern Westeuropas miteinander verglichen, und daraufhin die Anzahl Morde und Selbsttötungen mit und ohne Schusswaffen im Zeitraum von 1980 bis 2010 untersucht.
Die liberalsten Waffengesetze machten Hurka und Knill in der Schweiz sowie in Finnland aus, das restriktivste in England. «Das Ergebnis fiel eindeutig aus», sagt Hurka. «Bei einer strengeren Gesetzgebung und damit einer geringeren Verfügbarkeit von Waffen fiel die Zahl von Morden und Suiziden im untersuchten Zeitraum auch insgesamt deutlich niedriger aus.» Beim Blick in die Studie fällt insbesondere die hohe Zahl von Suiziden mit Schusswaffen in der Schweiz auf. Es sind jährlich durchschnittlich 4,98 auf 100 000 EinwohnerInnen. Das Land steht nur knapp hinter Finnland an zweiter Stelle. In England hingegen liege der Wert bei 0,27. Bei den Fremdtötungen fällt die Schweiz weniger auf, die Rate liegt aber immer noch im oberen Drittel. Das klare Schlusslicht ist auch hier England.
Auch wenn man die Schweiz isoliert betrachtet, ist das Ergebnis eindeutig. Zwischen 1999 (als das erste nationale Waffengesetz kam) und 2016 ist der Waffenbesitz etappenweise stärker reguliert worden. Wichtige Etappen waren beispielsweise die Etablierung eines Waffenerwerbsscheins oder die Einführung eines elektronisch geführten kantonalen Waffenregisters. Die Anzahl der Schusswaffentodesfälle fiel gemäss Bundesamt für Statistik von 466 (davon 413 Suizide) im Jahr 1998 um rund die Hälfte auf 229 (davon 212 Suizide) im Jahr 2016. Parallel dazu fiel auch die Zahl der Tötungen und Suizide insgesamt – es fand also kein Ausweichen auf andere Waffen oder Methoden statt.
Diese Entwicklung wäre aber kaum so deutlich ausgefallen, wenn nicht auch die Armee diverse Reformen umgesetzt hätte. Denn die im internationalen Vergleich sehr hohe Rate von Schusswaffen in Schweizer Privathaushalten hängt mit der Praxis zusammen, dass Armeeangehörige ihre Dienstwaffe traditionell zu Hause aufbewahren. Doch seit einem Jahrzehnt dürfen SoldatInnen keine Munition mehr nach Hause nehmen, und immer mehr SoldatInnen geben ihre Dienstwaffe im Zeughaus ab.
«Das Untersuchungsfeld ist – insbesondere länderübergreifend – komplex», sagt Steffen Hurka. Es gebe auch Studien, die beispielsweise von einer abschreckenden Wirkung ausgingen, etwa auf Einbrecher, wenn der private Waffenbesitz hoch sei. «Doch letztlich ist die Evidenz dafür, dass strengere Restriktionen gegen Waffengewalt helfen, doch sehr deutlich.»
Die Schweiz als Umschlagplatz
Es gibt eine weitere relevante Frage, die im aktuellen Abstimmungskampf noch kaum jemand gestellt hat: Was bedeutet es, wenn in der Schweiz ein lascheres Waffengesetz herrscht als in den Nachbarländern?
Bis heute ist das ja tatsächlich so – und die Schweiz spielte schon mehrfach eine relativ unrühmliche Rolle als Herkunftsland von Waffen, die insbesondere in Deutschland auch in terroristischen Kontexten auftauchten. So stammte etwa die Mordwaffe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der in Deutschland neun Migranten und eine Polizistin ermordete, aus der Schweiz. Auch der Attentäter, der 2016 mit einem Laster in den Berliner Weihnachtsmarkt fuhr, nutzte bei seiner Tat eine Waffe, die über die Schweiz auf den Schwarzmarkt gelangt war. Beide Fälle reichen allerdings in die neunziger Jahre zurück, als hierzulande noch keine einheitlichen und detaillierten Vorschriften für den Erwerb und Besitz von Waffen existierten.
Doch auch in jüngerer Vergangenheit tauchte die Schweiz als Waffenumschlagplatz auf. Laut einer Recherche der «NZZ am Sonntag» vom letzten November besorgten sich die Osmanen Germania, die als «Schlägertrupp» und «bewaffneter Arm des türkischen Staatschefs» Recep Tayyip Erdogan beschrieben werden, ihre Waffen in der Schweiz. Wie Ermittlungsakten zeigten, komme dem Land bei der logistischen Organisation von Geld und Waffen eine besondere Bedeutung zu. Ebenso bekannt ist, teils auch aus Verfahren in der Schweiz, dass sich die italienische Mafiagruppe `Ndrangheta offenbar seit Jahrzehnten und bis heute regelmässig mit Waffen aus der Schweiz eindeckt.
Verwässerte Richtlinie
Mit der neuen EU-Waffenrichtlinie, da sind sich die ExpertInnen weitgehend einig, wird das Schweizer Waffengesetz nur sehr moderat verschärft. Das Nein-Lager widerspricht dieser Darstellung.
Die wohl grösste Änderung betrifft die Zulassungsbestimmungen für halbautomatische Waffen mit grossen Magazinen. Neu braucht es für solche Waffen, bei denen jeder Schuss einzeln abgefeuert, aber nicht nachgeladen werden muss, eine Ausnahmebewilligung, die etwa registrierte SchützInnen problemlos erhalten. Von dieser Regelung sind die Ordonnanzwaffen ausgenommen, die nach dem Militärdienst in den Privatbesitz übernommen werden. Innerhalb der Richtlinie ist das eine Ausnahmeregelung, die explizit für die Schweiz gilt.
Ursprünglich sollte die EU-Waffenrichtlinie den Privatbesitz von automatischen Waffen verbieten und obligatorische psychologische Tests als Voraussetzung für den Waffenerwerb einführen. Nicht zuletzt die Intervention der Schweizer Verhandlungsdelegation verwässerte aber während des Gesetzgebungsprozesses die Richtlinie zusehends.