Tennessee: Schöner Staat – tödliche Politik
Das von den Republikaner:innen dominierte Parlament von Tennessee schloss wegen einer Lappalie zwei Schwarze demokratische Abgeordnete aus. Es hat damit unfreiwillig zwei Helden geschaffen.

Mit erhobener Faust kehrte der Abgeordnete Justin Jones am Montagabend zurück ins Parlament von Tennessee. Die demokratischen Zuschauer:innen auf den Rängen jubelten ihm zu, die republikanischen Abgeordneten schauten demonstrativ weg. «Kein Versuch, uns zum Schweigen zu bringen, wird uns aufhalten, sondern unsere Bewegung nur anspornen und stärken», sagte Jones in einer neunzigsekündigen Ansprache. Er beendete sie mit einem Satz, der in Tennessee nach weit entfernter Utopie klingt: «Power to the people.»
Der 27-jährige Jones war in der Woche zuvor zusammen mit seinem 29-jährigen Kollegen Justin Pearson vom republikanisch kontrollierten House of Representatives ausgeschlossen worden, nachdem die beiden Schwarzen Demokraten dort für schärfere Waffengesetze protestiert hatten. Weil der Stadtrat von Nashville – Jones’ Wahlbezirk – in einer Sondersitzung dafür stimmte, ihn wieder in das Parlament des südlichen Bundesstaats zu schicken, ist er nun zwar vorläufig wieder an seinem Platz. Die ganze Episode aber muss man als weiteren Beweis dafür sehen, dass grosse Teile der Republikanischen Partei längst ein offen antidemokratisches Projekt verfolgen.
Massenproteste nach Amoklauf
Tennessee ist ein wunderschöner Staat, der mit tödlicher Politik regiert wird. Seit April 2021 etwa braucht man nicht mal mehr eine Genehmigung, um offen mit einer halbautomatischen Schusswaffe durch die Gegend zu marschieren. Jeden Tag sterben in Tennessee mehrere Menschen durch Schusswaffen. Bei einem Grossteil der Fälle handelt es sich um Suizide von Jugendlichen, die laut Studien oft durch Armut und Einsamkeit begründet sind.
In diesem Jahr kam es in Tennessee schon zu acht Schiessereien mit jeweils mehreren Toten oder Verletzten. Die Republikanische Partei reagiert auf das Massenmorden jeweils mit der Beileidsfloskel «Thoughts and prayers». Amokläufe in Schulen werden zum Anlass genommen, die Bewaffung von Lehrer:innen zu fordern.
Als Ende März eine Frau in einer kirchlichen Grundschule in Nashville drei Kinder und drei Lehrkräfte erschoss, formten sich sofort Proteste. Tausende, darunter besonders viele Schüler:innen, zogen zum State Capitol und forderten eine tiefgreifende Veränderung der laxen Waffengesetze. Das Besondere war allerdings, dass sich auch drei demokratische Abgeordnete – neben Jones und Pearson auch die sechzigjährige Gloria Johnson – anschlossen, um die Routine des Parlaments zu stören. Mit Megafon ausgestattet, wiesen die «Tennessee Three» auf die Überfälligkeit von Reformen hin und weigerten sich, an diesem Tag andere Themen zu diskutieren. Diesen zivilen Ungehorsam fassten die Republikaner:innen als Kriegserklärung auf. In einer Abstimmung wenige Tage später entzogen sie Jones und Pearson den Sitz im Parlament. Als Johnson später gefragt wurde, warum sie nicht auch ausgeschlossen worden war, antwortete sie, dass das wohl damit zu tun habe, dass sie weiss sei.
Videocall mit dem Präsidenten
Insbesondere Jones und Pearson werden in den USA nun als progressive Hoffnungsträger gefeiert. Sie führen Märsche an, werden in die grossen Nachrichtenshows eingeladen. Präsident Joe Biden diskutierte mit ihnen im Videocall, Vizepräsidentin Kamala Harris stattete Nashville sogar einen Besuch ab. In ihren rhythmischen Reden erinnern Jones und Pearson in gewisser Weise an Martin Luther King.
Dass die vergangenen zwei Protestwochen etwas an der Grundhaltung der Republikaner:innen in Sachen Waffen geändert haben, ist nicht anzunehmen. «Wir werden das nicht in Ordnung bringen», sagte der Kongressabgeordnete Tim Burchett, als er auf den Amoklauf angesprochen wurde. «Kriminelle werden Kriminelle bleiben», erklärte er und wies auf seinen christlichen Glauben hin. «Ich glaube, man muss die Herzen der Menschen verändern.» Aus solchen Aussagen spricht ein fundamentalistischer Nihilismus. Und so muss man feststellen, dass zwar die Bewegung gegen Waffengewalt wächst, bei vielen aber auch die Resignation. «Es gibt keine absehbare Möglichkeit, dass sich die Dinge in den nächsten zwanzig bis dreissig Jahren zum Besseren wenden», schrieb die Autorin und Aktivistin Brynn Tannehill im Magazin «The New Republic» – es sei denn, es komme zu einer Abspaltung der Südstaaten von den Nordstaaten.