Glücksspiel: Liechtenstein spielt Las Vegas
Vom Steuerbetrugs- zum Zockerparadies: Das Fürstentum Liechtenstein setzt auf Casinos. Das sorgt für Unmut in der Bevölkerung – und Sinnkrisen bei Präventionsbeauftragten in der Schweiz.
«Es war Knochenarbeit, den Ruf als Steueroase loszuwerden», sagt Parlamentspräsident Albert Frick an einem Vormittag im April. Gut zehn Jahre ist es her, seit ein Mann zu Liechtensteins Staatsfeind Nummer eins wurde, weil er KundInnendaten der fürstlichen LGT-Bank an den deutschen Staat verkauft hatte. Im Gegenzug erhielt er 4,6 Millionen Euro sowie eine neue Identität. Liechtenstein hingegen stürzte in eine der grössten Krisen seit seiner Geburtsstunde. Der «Spiegel», «Forbes», der «Independent», das «Wall Street Journal»: Sie alle berichteten über das kleine Fürstentum, in dem allein vor dem deutschen Fiskus geschätzte 3,4 Milliarden Euro Steuereinnahmen versteckt worden sein sollen.
Der Finanzplatz Liechtenstein hat sich inzwischen gemausert. Aus dem unauffälligen Schüler mit den geschickten Taschenspielertricks wurde ein astreiner Streber. Trotzdem verharrt Parlamentspräsident Albert Frick an besagtem Frühlingsvormittag nicht bei seinen Worten des Lobes. «Wollen wir die erarbeitete Reputation wirklich gefährden?», fragt er seine KollegInnen im Parlament.
Grund für seine Sorge ist ein möglicher Weltrekord: Bald könnte Liechtenstein nicht mehr nur im Modellflugsport und beim Pro-Kopf-Einkommen Weltranglisten anführen, sondern auch bei der Casinodichte. Zwei Spielstätten stehen bereits im Ländle mit seinen etwas über 38 000 EinwohnerInnen, drei weitere könnten bald folgen. Nach Liechtenstein locken sie nicht etwa die idyllische Berglandschaft oder die Möglichkeit, am Staatsfeiertag dem reichsten Monarchen Europas die Hand zu schütteln, sondern die tiefen Steuern und der entsprechend hohe Profit. Zwischen 17,5 und 40 Prozent müssen die Casinos je nach Umsatz an den Staat abgeben. In der Schweiz sind es 40 bis 80 Prozent, in Österreich 30.
«Der Markt wird das schon regeln»
Selbst die LeserbriefautorInnen scheinen für einmal wenig für diese Spitzenleistung ihres Landes übrig zu haben: «Absoluter Imageschaden», «Casinos sind Brandstifter» oder «Muss der Fürst einschreiten?», schreiben sie in den beiden Tageszeitungen «Liechtensteiner Vaterland» und «Liechtensteiner Volksblatt». Er sehe im Moment keine Gefährdung der Reputation, beschwichtigt auf Anfrage Daniel Risch, der Wirtschaftsminister: «Das Marktpotenzial ist begrenzt und wir rechnen mit einem Verdrängungswettbewerb. Ich gehe nicht davon aus, dass es in Liechtenstein langfristig eine grosse Zahl von Spielbanken geben wird.»
Während im Fürstentum vor allem Ungewissheit die Debatte regiert, hat man im Nachbarland Schweiz bereits Erfahrung. Hier weiss man zum Beispiel, dass 6,5 Prozent der Bevölkerung Casinos besuchen. Auf die Liechtensteiner Bevölkerung umgerechnet sei das nicht viel potenzielle Kundschaft, folgert Suzanne Lischer, die an der Hochschule Luzern Massnahmen gegen Spielsucht erforscht. «Das Geschäftsmodell zielt also auf Kunden aus dem Ausland ab.» Die grosse Frage lautet: Wer geht nach Liechtenstein, um dort zu spielen? Die Antwort der Forscherin: «Sicherlich Touristen. Aber auch Spieler, die in der Schweiz wegen Spielsucht gesperrt sind.»
Das erste Casino Liechtensteins eröffnete am 9. August 2017 um 11 Uhr in der nördlichsten Gemeinde des Landes – wenige Meter hinter dem Fussballrasen, auf dem der lokale FC Ruggell im Mittelfeld der sechsthöchsten Schweizer Liga kickt. Damals betonten die Verantwortlichen des zum österreichischen Glücksspielkonzern Novomatic gehörenden Casinos insbesondere die gute Anbindung an die Autobahn. Und auch heute sagt Gaming Manager und Geschäftsführungsmitglied Nicola Cristofalo: «Die Kunden wissen guten Service zu schätzen.» BesucherInnen dürfen im «Casino Admiral», das beim WOZ-Besuch am Samstagnachmittag erstaunlich leer ist, deshalb vieles gratis tun: im Parkhaus direkt nebenan parken zum Beispiel. Oder anschliessend im Casino so viele nichtalkoholische Getränke an der Bar bestellen, wie sie wollen.
Gut eineinhalb Jahre nach der Eröffnung expandierte das Casino in ein zweites, noch neueres Gebäude auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Eine Angestellte durfte zu diesem Anlass gleich selbst in einer Liechtensteiner Zeitschrift über das «modernste Casino im deutschsprachigen Raum» schreiben. Auf dem Instagram-Account hebt das Casino heute unter anderem seine Spielautomaten hervor. Pro bedientem Roulette-, Poker- und Blackjacktisch darf es dreissig davon betreiben, aktuell stehen 275 Automaten in beiden Gebäuden. Daran spielen kann man sieben Tage die Woche.
Zuflucht für Spielsüchtige
«Sechzig Prozent der Befragten gaben an, dass sie während ihrer Sperre im Ausland gespielt hatten», zitiert Suzanne Lischer aus einer ihrer Studien. Ihr Team hat über 1000 Protokolle von Gesprächen mit Menschen ausgewertet, die ihre in der Schweiz verhängte Spielsperre wieder aufheben lassen wollten. Sperren für Spielsüchtige gelten bislang nur in jenem Land, in dem sie verhängt wurden. «Es gab bereits Bemühungen, europaweite Sperrlisten einzuführen», sagt Lischer. «Aber das ist daran gescheitert, dass die Gesetze in den jeweiligen Ländern nicht immer kompatibel sind.» Wenn Schweizer AnbieterInnen deshalb zu hören bekämen: «Dann gehe ich eben nach Liechtenstein oder Bregenz», könne das auf die Motivation der Präventionsbeauftragten schlagen.
In Liechtenstein standen Ende 2018 940 Menschen auf der Sperrliste für Casinos, 884 davon freiwillig. «Diese Zahlen sind ein Indiz dafür, dass die Spielerschutzmassnahmen greifen», ordnet Suzanne Lischer die Fakten ein. Der Begriff «freiwillig» müsse aber vorsichtig interpretiert werden: «Der freiwilligen Sperre geht meist ein Gespräch mit den Verantwortlichen für das Sozialkonzept des Casinos voraus.» Diese empfehlen dem Besucher oder der Besucherin, sich selbst zu sperren – um einer angeordneten Sperre zu entgehen.
Von Spielsucht gefährdete Gäste anzusprechen, gehört auch zu Nicola Cristofalos Aufgaben als Gaming Manager. «Wenn wir merken, dass jemand keinen Spass mehr beim Spielen hat, gehen wir auf ihn zu», sagt Cristofalo. Er kennt die Gäste, einige begrüsst er mit Handschlag. Woran man merke, dass es kritisch werde, lasse sich nicht generell beantworten. «Das hängt von den Umständen der Person ab.» Aber keiner der Angestellten könne gut schlafen, wenn er wisse, dass im Casino jemand seine Existenz verspiele. Ob die Spielerschutzmassnahmen umgesetzt werden, kontrolliert das Amt für Volkswirtschaft. Die Erfahrungen seien «grundsätzlich gut», sagt Thomas Gstöhl, Leiter der Geldspielaufsicht und der Standortförderung.
Den Casinoboom in Liechtenstein würde es gar nicht geben, wäre nach dem Ende des Glücksspielverbots 2010 alles so gekommen, wie es geplant gewesen war. Das Ziel damals: Ein einziges Casino sollte eine Konzession erhalten, der Staat wiederum die Steuern auf dieses Monopol. «Männer in Anzügen, Frauen in Abendkleidern – alle in der Politik haben sich das Casino in Liechtenstein so vorgestellt», sagt Thomas Lageder, Parlamentarier der oppositionellen Freien Liste und einer der vehementesten Gegner der aktuellen Entwicklung.
Im März 2011 lagen zwei Bewerbungen für das Casinomonopol auf den Tischen der Behörden. Die Verantwortlichen entschieden sich für die luxuriöse Variante. Doch das Projekt, das am Ende der eher tristen Vaduzer Fussgängerzone geplant war, kam nicht zustande. Denn die Konzessionsvergabe war nicht rechtens, wie sich nach einem jahrelangen Rechtsstreit durch diverse Instanzen zeigte. Einer der Gründe: Die genauen Kriterien, nach denen die Konzession vergeben wurde, wurden erst festgelegt, als die beiden Bewerbungen bereits vorlagen. Die Prüfungsfragen für die Casinobetreiber wurden also erst geschrieben, als die Prüfer die Antworten bereits bekommen hatten. Der Liechtensteiner Staatsgerichtshof entschied 2014 abschliessend, die Konzession müsse neu vergeben werden.
Der zum Zeitpunkt dieses Entscheids amtierende Wirtschaftsminister Thomas Zwiefelhofer trieb daraufhin eine Liberalisierung des Gesetzes voran: Künftig sollte grundsätzlich jeder ein Casino eröffnen können, der fünf Millionen Franken und einen guten Leumund mitbringt, ein solides Sicherheits-, Sorgfalts- und Sozialkonzept vorlegt sowie weitere geschäftliche Kriterien erfüllt. «Der Vorschlag krankt vor allem am selbstetikettierten ultraliberalen Ansatz», äusserten sich Thomas Lageder und seine ParteikollegInnen bereits damals skeptisch. «Welche Möglichkeiten hätten wir, falls die Casinos wie Pilze aus dem Boden schiessen?», fragten sie im Parlament. «Dann müssen wir ein Fungizid suchen», antwortete Thomas Zwiefelhofer wenig besorgt. «Das tun wir, wenn das Problem da ist.»
Sorge um die Reputation
Das abgeänderte Geldspielgesetz trat 2016 in Kraft. Heute stehen zwei Casinos in Liechtenstein, drei weitere sind angedacht. Der Casinodiskussion im Liechtensteiner Parlament hört auch Gaming Manager Cristofalo zu. Er hört, wie der Parlamentspräsident vor einem möglichen Reputationsschaden warnt. Hört, wie ein Oppositioneller von «Goldeseln für Private» spricht, weil sich die bereits bestehenden Casinos einen Gewinn aufteilen, der gut einem Drittel von jenem der Liechtensteinischen Landesbank entspricht. Hört, wie sich PolitikerInnen der Gegenseite Wirtschaftsminister Daniel Risch anschliessen und auf die Macht des Marktes pochen. Einig scheint sich die Liechtensteiner Politik nur über eines: Das Geld der Casinos ist gerne gesehen, aber fünf Casinos sind zu viele. Ob aus tatsächlicher Überzeugung, aus Sorge um die Reputation oder aus Angst vor den Ängsten der Leute – profilieren dürfen sich alle.
ParteikollegInnen des Wirtschaftsministers fordern diesen inzwischen auf, nach Möglichkeit die Anzahl an Casinos zu beschränken und die Namen auf den Sperrlisten mit der Schweiz auszutauschen. Thomas Lageder und seine KollegInnen drohen mit einer Volksinitiative, sollte die Politik nicht rechtzeitig handeln. Und der Wirtschaftsminister selbst bringt, ebenso wie sein Vorgänger, auf Nachfrage schon mal vorsichtig Steuererhöhungen ins Spiel, sollte der Markt am Ende doch nicht alles regeln. Eine Massnahme, die seine ParteikollegInnen kategorisch ablehnen.