Geldspielgesetz: Netzsperren für die Kultur?
Das neue Geldspielgesetz will ausländische Onlinecasinos blockieren. Dadurch sollen weiterhin Millionen in die AHV oder die Kulturförderung fliessen. Jungparteien und netzpolitische Gruppen fürchten um die Freiheit des Internets.
Eine unheilige Allianz kämpft derzeit gegen das neue Geldspielgesetz, über das am 10. Juni abgestimmt wird. Jungfreisinn, Junge SVP und Economiesuisse stehen hierbei auf der gleichen Seite wie die Jungen Grünen und netzpolitische Gruppen. Stein des Anstosses sind die geplanten Netzsperren (vgl. «Knackpunkt Netzsperren» im Anschluss an diesen Text). Um den Zugang zu ausländischen Onlinecasinos zu verhindern, möchten Bundesrat und Parlament diese Seiten ganz einfach sperren lassen.
2012 wurde eine Verfassungsbestimmung zu Geldspielen deutlich angenommen. Erträge aus Lotterien, Sportwetten und Casinos sollen gemeinnützigen Zwecken sowie der AHV und der IV zugutekommen. Gegen das vom Parlament verabschiedete Gesetz wurde jedoch Ende letzten Jahres erfolgreich das Referendum ergriffen. Gemäss dem Verein «grundrechte.ch» «vereint alle Beteiligten die Befürchtung, dass mit dieser Zensur des Internets die Idee des freien und offenen Internets auf dem Spiel steht».
Angriff auf Grundrechte
Diese Freiheit gerät seit Jahren zunehmend unter Druck. Staatliche Zensurmassnahmen sind in vielen Ländern Alltag. Auch die USA warfen im letzten Jahr die Netzneutralität über Bord, und verschiedene europäische Länder setzen bei Geldspielen bereits auf Netzsperren. In der Schweiz blockieren derweil manche Schweizer Internetanbieter freiwillig illegale Websites.
Das neue Geldspielgesetz würde solche Sperren in der Schweiz nun zum ersten Mal gesetzlich verankern. Für Rechtsanwalt Martin Steiger ist offensichtlich, «dass man mit Netzsperren in die Informations- und Medienfreiheit eingreift». Gleicher Meinung ist Bernie Höneisen von der Internet Society Switzerland. Durch das Gesetz werde eine Zensurinfrastruktur aufgebaut. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement winkt ab. In einer Notiz zum Geldspielgesetz schreibt es: «Die Grundrechte freier Kommunikation garantieren dem Einzelnen, sich eine Meinung zu bilden, eine eigene Meinung zu haben und diese Meinung zu verbreiten.» Doch die Möglichkeit, um Geld zu spielen, falle nicht in den Schutzbereich dieser Grundrechte.
Dieser Vereinfachung widerspricht Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunikationsrecht an der Universität Zürich und Mitautor eines Gutachtens zum Geldspielgesetz. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse seien in zunehmendem Mass von der Kommunikationsinfrastruktur abhängig. «Deshalb sind staatliche Beschränkungen des Zugangs zur IT-Infrastruktur in hohem Masse grundrechtsrelevant, selbst wenn diese die freie Kommunikation im engeren Sinn unangetastet lassen», schreibt er. Nicht umsonst glaubten die GegnerInnen, dass mit dem Geldspielgesetz ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen würde. «Wenn die Casinoindustrie solche Netzsperren erhält, werden sie auch andere Branchen zu Recht fordern können», meint Steiger. Von besonderer Relevanz ist dabei die gegenwärtig diskutierte Revision des Urheberrechts. Zwar sind dort aktuell keine Netzsperren vorgesehen, doch «es ist kein Geheimnis, dass wir Rechteinhaber sie ursprünglich wollten», sagt Christoph Trummer, Kopräsident des Berufsverbands der Musikschaffenden Sonart. «Auch beim Urheberrecht wäre es aber nicht um Meinungsaustausch oder Information gegangen, sondern um Schutz vor eindeutig rechtsverletzenden Plattformen.»
Viele Kulturschaffende glauben, dass das Gesetz in ihrem Interesse sei. Denn es geht um viel Geld für Filmfestivals, Ausstellungen oder Theaterproduktionen. Jedes Jahr fliessen 200 Millionen Franken aus den kantonalen Lotteriefonds in die Kulturförderung. «Tatsache ist, dass die Einnahmen aus dem ‹analogen› Geldspiel zurückgehen. Daraus resultiert eine direkte Betroffenheit aller via Lotteriefonds geförderten Bereiche», sagt Trummer. Auch beim Verband Filmregie und Drehbuch (ARF/FDS) fürchtet man um die Beiträge. «Wir rechnen damit, dass diese Gelder mittelfristig zurückgehen», erläutert Geschäftsleiterin Ursula Häberlin.
Jedes Jahr liefern Casinos und Lotterien insgesamt knapp eine Milliarde Franken an die AHV/IV (276 Millionen im Jahr 2016) und an andere gemeinnützige Zwecke (630 Millionen). Gleichzeitig fliessen gemäss einer vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebenen Studie der Universität Bern jährlich etwa 250 Millionen via Onlinecasinos ins Ausland. Diese sind vornehmlich in Steueroasen wie Malta oder Gibraltar angesiedelt. Während die Einnahmen der Lotterien – und damit die verfügbaren Beiträge für Kultur, Sport und Soziales – in den letzten Jahren stabil blieben, brach der Ertrag von inländischen Casinos ein.
«Wie praktisch alles verlagert sich auch das Geldspiel ins Internet», sagt Omri Ziegele, Jazzmusiker und Präsident von Suisseculture. «Solange Schweizer Anbietern, die Abgaben an die AHV leisten, das Angebot im Internet verboten bleibt, kann nur bei dubiosen ausländischen Anbietern gespielt werden, die keinerlei Aufsicht bezüglich Spielsucht und Geldwäscherei unterstellt sind und keinerlei Abgaben leisten.» Die Hoffnung ist, dass mit dem Gesetz zumindest ein Teil des Geldes in Zukunft wieder in der Schweiz landen wird.
Auch bei der SP, die das Gesetz ihrer Bundesrätin befürwortet, will man die Einnahmen für die AHV und IV sichern. Schliesslich sei der Auftrag der Verfassung, dass die Einkünfte aus Geldspielen der Allgemeinheit zukommen und nicht im Ausland versickern. Dies lasse sich jedoch nur dann erreichen, wenn die geltenden Gesetze – mittels Netzsperren – durchgesetzt werden können. Denn in Malta oder Gibraltar bestünden keine Möglichkeiten zur Strafverfolgung, so Nationalrat Corrado Pardini in einer Parteipublikation.
Starkes Lobbying
Derweil wird vor der Abstimmung mit harten Bandagen gekämpft. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, im Interesse der inländischen beziehungsweise der ausländischen Casinolobby zu weibeln. So wurde beispielsweise das bürgerliche Referendumskomitee mit einer halben Million Franken aus dem Ausland unterstützt.
Luzian Franzini, Kopräsident der Jungen Grünen, pflichtet bei, dass diese Verbandlung «Teil der öffentlichen Debatte sein darf und soll». Das von den Jungen Grünen mitgetragene «Komitee für Suchtprävention und gegen Netzsperren» habe deshalb von Anfang an die Einflussnahme durch Casinos kritisiert – egal ob mit Sitz in der Schweiz oder im Ausland. Zudem nimmt er die BefürworterInnen ins Gebet: «Es ist höchst bedenklich, wie sich in diesem Abstimmungskampf so manche öffentliche Person aus Sport und Kultur einspannen lässt, obwohl ihre Fördergelder nicht von diesem Gesetz abhängig sind.» Auch Schweizer Anbieter haben im Gesetzgebungsprozess massiv lobbyiert. Es steht also die Frage im Raum, wem das Gesetz dient: den Casinos, den Kulturschaffenden, der AHV oder den Spielsüchtigen, die geschützt werden sollen? Für den Bundesrat ist der Schutz von SpielerInnen ein zentrales Argument, denn durch die Regulierung könnten Schutzmassnahmen besser greifen. Gleichzeitig schafft das Gesetz die Gewinnsteuer von Gewinnen bis zu einer Million Franken ab – ein weiterer Anreiz, um mehr zu spielen. Franzini glaubt, der Verfassungsartikel liesse sich mit einem besseren Gesetz mehrheitsfähig umsetzen. «Sowohl die gemeinnützigen Abgaben als auch die Suchtprävention sind elementarer Bestandteil des Verfassungsartikels, der schlicht neu umgesetzt werden müsste», sagt er. Weil sich die GegnerInnen des Geldspielgesetzes in vielen Punkten einig seien, «dürfte ein neues Gesetz in einer vernünftigen Frist ausgearbeitet sein». Eine Möglichkeit ist ein Modell wie in Dänemark, das ausländische Konzessionen erlauben würde. Auch die «Koalition zum Schutz der Spielerinnen und Spieler» ist wenig begeistert vom neuen Geldspielgesetz. «Es umfasst keine ausreichenden Massnahmen zur Prävention und zum Spielerschutz», schreibt sie. Bei einer Neuauflage des Gesetzes drohe jedoch eine noch grössere Liberalisierung, weshalb sie zähneknirschend zur Annahme rät. Unabhängig vom Ausgang bedauert die Koalition, dass den GesetzgeberInnen «die Erträge wichtiger als der Schutz der Bevölkerung» seien. 75 000 Personen sind in der Schweiz von Spielsucht betroffen, was jährlich schätzungsweise 600 Millionen Franken an sozialen Kosten verursacht.
Die Abstimmung ist damit auch eine Grundsatzdebatte. Im Vordergrund steht der scheinbare Konflikt zwischen der Freiheit des Internets und der Förderung von gemeinnützigen Zwecken. Doch genügt die Sicherung der Einkünfte von Casinos als Argument für eine folgenschwere Weichenstellung im digitalen Raum? Das ist fraglich, zumal sich die exzessiven ZockerInnen – die für die Hälfte der Erträge verantwortlich sind – wohl von einer einfachen Netzsperre nicht aufhalten lassen.
Freiwillige Zugangsschranken : Knackpunkt Netzsperren
Das neue Geldspielgesetz sieht vor, dass Casinos mit Sitz in der Schweiz Onlinegeldspiele anbieten dürfen. Gleichzeitig würde der Zugriff auf ausländische Onlinecasinos mittels Netzsperren verhindert. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) glaubt, dadurch würde ein «längst nötiger Schritt ins digitale Zeitalter» vollzogen. Zudem sichere das Gesetz die Beiträge von Casinos und Lotterien an die AHV und IV sowie gemeinnützige Zwecke.
Die GegnerInnen des Gesetzes stossen sich vor allem an den vorgesehenen Netzsperren. Bereits heute setzen vereinzelte Internet Service Provider (ISP) freiwillig Zugangsschranken gegen Phishing oder Kinderpornografie ein. Wer auf eine gelistete Seite zugreifen will, gelangt stattdessen auf eine Stoppseite. Das EJPD bietet den ISP eine Liste mit gesperrten Domains an, die diese übernehmen können. Viele Netzsperren führen zu massivem Overblocking. So sperrte Swisscom im März 2016 versehentlich etwa fünfzehn Millionen Seiten. Auch der umstrittene interne Filter der Universität Fribourg blockte in der Vergangenheit falsche Seiten.
Netzsperren können technisch auf verschiedene Weise realisiert werden. In allen Fällen lassen sie sich jedoch relativ einfach umgehen – zum Beispiel durch die Verwendung des Tor-Browsers oder eines sogenannten virtuellen privaten Netzwerks (VPN). Beim Geldspielgesetz kämen vermutlich die gängigen DNS-Sperren zum Einsatz. Dort reicht eine einfache Änderung des sogenannten DNS Resolver, um die Schranke des ISP zu umgehen.