Türkei: Die Demokratie beerdigt
Die türkische Wahlkommission hat sich dem Willen des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gebeugt. Auf Antrag seiner Partei AKP wird die Gemeindewahl in Istanbul, bei der im März Ekrem Imamoglu zum Bürgermeister gewählt worden war, am 23. Juni wiederholt. Die Kommission begründete ihren Entscheid mit angeblichen Ungereimtheiten bei aus den Wahlbüros übermittelten Listen und behauptete, an der Stimmenauszählung hätten Personen mit Beziehungen zur verbotenen Gülen-Bewegung teilgenommen.
Die Opposition scheint mit dem Entscheid gerechnet zu haben. Am Dienstag liess Imamoglu gegenüber der Presse selbstsicher verlauten, dass seine sozialdemokratische CHP die Wahlen auch ein zweites Mal gewinnen werde. Dank der Unterstützung der prokurdischen HDP hatte er den AKP-Kandidaten Binali Yildirim mit einem knappen Vorsprung von etwa 13 000 Stimmen besiegt. Auch die oppositionelle islamistische Saadet-Partei bezieht Position: Ihr Kandidat Necdet Gökcinar sagte, er sei bereit, seine Kandidatur zugunsten Imamoglus zurückzuziehen. Mit dessen zusätzlichen Stimmen könnte der Vorsprung Imamoglus auf Yildirim bei der Wiederwahl um ein Vielfaches wachsen.
Welche Taktik Erdogan nun für die Wahlwiederholung verfolgt, wird sich zeigen. So sorgte etwa die Nachricht, dass der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan erstmals seit 2011 seine AnwältInnen empfangen durfte, für Überraschung.
Es wird vermutet, dass die AKP mit ihrem Vorgehen im Fall Öcalan darauf abzielt, auf Distanz zur ultrarechten MHP zu gehen. Möglicherweise steckt dahinter auch der aberwitzige Versuch Erdogans, kurdische Stimmen für sich zu gewinnen.
Zurzeit fordern rund 3000 Hungerstreikende ein Ende von Öcalans Isolationshaft (siehe WOZ Nr. 18/2019 ). Öcalan rief sie nun in einer Stellungnahme dazu auf, den Streik nicht bis zum Äussersten fortzuführen. Kurdische AktivistInnen liessen jedoch postwendend auf Twitter verlauten, dass der Hungerstreik ohne offizielle Garantien vonseiten der Regierung keinesfalls eingestellt werde.