Binyavanga Wainaina (1971–2019): Unbändig selbstbewusst

Nr. 22 –

Der Autor Binyavanga Wainaina war ein Vorkämpfer: Er trieb die junge Generation in Afrika unermüdlich zum Schreiben an und bekannte sich als erste öffentliche Person in Kenia zu seiner Homosexualität.

Keine Zeit für Heuchler, Ja-Sager und Halbherzige: Binyavanga Wainaina.

Er kam eine volle Stunde zu spät. Wir hatten uns für zehn Uhr morgens in einem der gesichtslosen Einkaufszentren Nairobis zum Interview für eine Geschichte für die WOZ verabredet. Damals wusste ich noch nicht, dass seine Arbeitstage gegen Mittag beginnen und am frühen Morgen enden. Binyavanga Wainaina rief vom Taxi aus an, entschuldigte sich für die Verspätung. Kaum angekommen, holte er Zigaretten aus der Tasche und bestellte sich zwei doppelte Espresso, während er die Kellnerin in ein gutmütiges Geplänkel verwickelte. Nach zwei Stunden Gespräch, in denen es mir hin und wieder gelang, ihm eine Frage unterzuschieben, brach ich auf. Ich könnte nicht sagen, wie viele leere Kaffeegläser die Kellnerin in dieser Zeit abgeräumt hat.

Der Autor und Journalist Binyavanga Wainaina, der vergangene Woche im Alter von 48 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls in Nairobi verstarb, verkörperte mit jedem seiner Sätze Selbstbewusstsein für einen modernen, sich ständig neu erfindenden und von Widersprüchen durchlöcherten Kontinent. Er forderte von niemandem Respekt ein; er setzte ihn schlicht als selbstverständlich voraus. Damit lebte er der jungen Generation in Afrika vor, wie Selbstbestimmung aussehen kann. Diese nahm die Inspiration dankend an.

Warum auch nicht?

Als Wainaina 2002 den wichtigsten Literaturpreis Afrikas, den Caine Prize for African Writing, gewann, gründete er mit dem Preisgeld von 10 000 britischen Pfund in Kenia das Magazin «Kwani?». Später wurde dieses zu einem Verlag und zu einer Plattform für afrikanische AutorInnen, die afrikanische Geschichten erzählen wollten. Mit diesem Schritt signalisierte der damals gut Dreissigjährige den zaudernden, zweifelnden, unbeachteten jungen Schreibenden des Kontinents, die mit britischen Kinderbüchern aufgewachsen waren, in denen kleine blonde Mädchen Schneemänner bauten: Ja, eure Geschichten sind spannend, eure Texte sind wichtig, und wir wollen sie lesen. Lose aus dem Suaheli übersetzt bedeutet «Kwani?»: Warum auch nicht?

Auch mit seiner Caine-Preis-Geschichte «Discovering Home» hatte Wainaina, oder «the Binj», wie ihn enge FreundInnen nannten, den Nachkommenden Türen geöffnet. Achtsam, staunend, beinahe zärtlich und immer witzig beobachtet er darin die Menschen seiner Heimat – die Blumenverkäuferinnen, die Kleinbusfahrer, sich selbst. Ohne seine Arbeitswut, seinen untrüglichen Instinkt für Talent, seine Rückendeckung für junge AutorInnen, von deren Schreiben er überzeugt war, wäre Kenias und Afrikas Literaturszene zweifellos um viele Facetten ärmer.

Die Kenianerin Yvonne Adhiambo Owuor, die im Jahr nach Wainaina den Caine-Preis gewann, berichtet von seinen zahllosen Anrufen während ihres Schreibprozesses, mit denen er die nächsten Seiten von ihr forderte. «Er gab keine Ruhe», erinnert sie sich. «Dass ich nicht schreibe, hätte er nicht akzeptiert.» Mit «Dust» (deutsch: «Der Ort, an dem die Reise endet») und dem im März erschienenen Roman «The Dragonfly Sea» hat Owuor Weltliteratur geschrieben.

Furchtlos geoutet

Wainaina war authentisch. Er sah keinen Grund, sich für seine Ansichten zu entschuldigen; für Heuchler, Ja-Sager und Halbherzige hatte er keine Zeit. Er neigte zu Monologen, die witzig und klug waren und in deren Verlauf ihm stets neue Ideen kamen. Sein international bekanntester Text, «How to Write about Africa», ist eine brillante satirische Abrechnung mit der verzerrten Darstellung des afrikanischen Kontinents durch den Westen und dessen ahnungslose, eurozentrisch denkende KorrespondentInnen. Darin schreibt er: «Der moderne Afrikaner ist ein raffgieriger Fettsack, der in einem Visabüro arbeitet und sich weigert, qualifizierte Mitarbeiter aus dem Westen einreisen zu lassen, obwohl ihnen wirklich an Afrika liegt. Er ist ein Feind jeder Entwicklung und nutzt sein Regierungsamt, um pragmatische und gutherzige Ausländer daran zu hindern, eine Nichtregierungsorganisation aufzuziehen.»

2014 bekannte sich Wainaina als erste öffentliche Person in Kenia zu seiner Homosexualität. Er schrieb ein nachträgliches Kapitel zu seinem früher erschienenen Buch «Eines Tages werde ich über diesen Ort schreiben», in dem er seiner verstorbenen Mutter seine sexuelle Orientierung gesteht. Die Stärke, die dieses Coming-out in einem christlich-konservativen Land wie Kenia erforderte, ist kaum zu ermessen.

Ironischerweise ist das Verbot der Homosexualität in Kenia ein Überbleibsel der früheren britischen Kolonialmacht. Nur drei Tage nach Wainainas Tod wies das oberste Gericht in Kenia eine Petition zurück, die forderte, homosexuelle Akte zu entkriminalisieren. Wainainas Furchtlosigkeit hat der Gay Community den Rücken gestärkt und so viel dazu beigetragen, dass die Petition überhaupt möglich wurde.

«Alle Menschen haben Würde», sagte Wainaina 2014 in einem Interview. «Alle, auch wir Homosexuelle, sind Menschen, und wir brauchen unseren Sauerstoff zum Atmen.» Seine Vision der Selbstbestimmung – sie muss nun von anderen weitergetragen werden.

Viele der veröffentlichten Texte Binyavanga Wainainas sind auf der Archivseite planetbinya.org zugänglich.