Ein Traum der Welt: Delikatesse

Nr. 25 –

Annette Hug dröhnt vom Frauenstreik der Kopf

Freitagabend, 14. Juni: Bevor ich beginne, die politischen Analysen zu lesen, die ab sofort erscheinen werden, möchte ich die Erinnerung an ein Sablé festhalten. Schon am Mittwochabend habe sie den Teig vorbereitet, sagt Carla zwischen zwei Aktionen. Am Stadelhoferplatz ist um elf Uhr Protestpause: Elisabeth legt den violetten Teppich aus, Buchhändlerinnen kommen gemeinsam aus dem Laden, wir jubeln. Nach einem Kaffee müssen sie zurück an die Arbeit. «Nur weil wir dasselbe Lieblingsbuch haben, müssen wir nicht ins selbe Bett», sagt Mara am Megafon und fordert: Keine Belästigungen mehr! Etwa dreissig Autorinnen lesen aus Büchern anderer Autorinnen.

Die Sablés liegen noch versteckt in einer Schachtel. Ich frage mich, ob der violette Zuckerguss in der Hitze schmelzen könnte. «Mach Aufruhr und halt es aus», liest Ulrike Ulrich aus einem Text von Marlene Streeruwitz. Auf einem Transparent steht: «Mehr Anerkennung!» Ulrike liest: «Wenn du Aufruhr machst, wird dir Anerkennung entzogen werden. Schick Anerkennung zum Teufel und tu weiter!» Ich frage mich auch, ob Sablés ein gutes Geschenk sind. Viele wollen ja, wie ich, nicht zunehmen. Aber für alles gibts an diesem Tag einen guten Spruch. Vor der St.-Jakob-Kirche, wo um elf Uhr die Streikglocken läuten, steht: «Riots not Diets!»

Carla ist Buchhändlerin und in der Gewerkschaft Syndicom aktiv. Am Donnerstag vor dem Streik hat sie im Abendverkauf bis neun Uhr gearbeitet, dann ging sie nach Hause, um den Teig für die Sablés zu verarbeiten. Auch ich habe lange gearbeitet, ging dann noch auf ein Bier ins «Meyer’s», kurz vor Mitternacht kam ein SMS: «Feministischer Corso an der Langstrasse». Die Rose, die ich gerade geschenkt bekommen hatte, eignete sich als Fahnenersatz. «Bread and Roses», Frauen in Cabrios, ein Traktor, «We Are the Champions», alles passte irgendwie zusammen.

Um zwei Uhr morgens seien die Sablés fertig gewesen, erzählt Carla am Freitag zwischen Bellevue und Kramhof. Jubelnde Grüppchen von Frauen kommen uns entgegen. Keine Ahnung, wer die sind, wohin die gehen. Die Sablés kommen in der vielstöckigen Buchhandlung gut an. Wir bringen sie den Angestellten an die verschiedenen Kassen. Hier hat es mit der Protestpause nicht ganz geklappt. «Mit einem Mindestlohn von 4030 Franken für hundert Prozent kannst du keine Familie ernähren», sagt Elisabeth draussen ins Megafon. Von Passantinnen werden wir bedrängt: Wo gibts denn hier noch Buttons?

«Fight for your right! Umkleidezeit!», skandieren Angestellte des Universitätsspitals an der Demo um fünf. Wieder mach ich mir Sorgen: Die Sonne brennt, mir wird schwindlig. Ich will den streikenden Pflegefachfrauen keinen Notfall bescheren und flüchte in eine schattige Nebenstrasse. Da steht schon eine elegante ältere Dame. Sie sagt: «Wie ich mich freue zu sehen, dass die Gesellschaft jetzt aufwacht!» In den späten sechziger Jahren sei sie wegen eines unehelichen Kindes noch als «liederlich» bezeichnet worden. «Sie kennen wahrscheinlich meinen Namen: Ursula Biondi.»

Das sagt mir tatsächlich etwas: Frau Biondi hat dafür gekämpft, dass die Eidgenossenschaft Opfer administrativer Zwangsmassnahmen finanziell entschädigt. Gerne würde ich ein Sablé offerieren, aber Carla habe ich in der Menge verloren.

Annette Hug ist Autorin in Zürich. Sie hat den Text «Nicht ankleben. Mach Aufruhr» von Marlene Streeruwitz noch nicht wirklich verstanden.