Durch den Monat mit Paranoia City (Teil 3): Braucht es euch Buch­händler:innen noch?

Nr. 24 –

Wer einen Buchladen führt, muss sich in Zeiten von Amazon und Inflation zwangsläufig mit der eigenen Existenzgrundlage auseinandersetzen. Ein Gespräch mit Melina Korros von Paranoia City über gute Beratungen, schlechte Bücher und alte Prognosen.

Melina Korros von der Paranoia City Buchhandlung
«Bei einer guten Beratung geht es ja nicht nur um eine Empfehlung, oft tauscht man sich aus, entdeckt vielleicht sogar neue Interessen»: Melina Korros.

WOZ: Melina Korros, welches ist das beste Buch, das Sie jemals gelesen haben?

Melina Korros: Oh, auf ein einziges kann ich mich nicht festlegen! Aber ein Buch, von dem ich immer wieder spreche, weil es mich nachhaltig geprägt hat, ist «King Kong Theorie» von Virginie Despentes. Das sind autobiografische Essays zu Themen wie sexualisierte Gewalt, Pornografie oder Sexarbeit. Ich habe es gelesen, als ich anfing, mich zu politisieren, und mich oft ohnmächtig und überfordert fühlte. Es ist ein starkes und bestärkendes Buch, man merkt, dass es ehrlich und aus dem Bauch heraus geschrieben wurde. Ich glaube, es wird mich noch eine ganze Weile begleiten.

Und das schlechteste Buch?

Diese Frage kann ich beantworten! Das war für mich dieses Buch von Martin Suter über den deutschen Fussballer Bastian Schweinsteiger. Allerdings habe ich es nicht freiwillig gelesen, sondern im Rahmen einer Kommission, weil es mir zugeteilt wurde. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich damals jeden Tag in der WG daraus zitieren musste, weil ich es aus meinem Kopf rausbringen wollte.

Was unterscheidet denn für Sie ein gutes von einem schlechten Buch?

Beim Buch von Martin Suter hatte ich den Eindruck, dass es nur geschrieben worden war, um sich zu verkaufen, und nicht, um irgendwelche Inhalte zu transportieren. Zumindest wirkte es auf mich so. Das stört mich generell bei Büchern, wenn man merkt, dass sie nur für den Erfolg geschrieben wurden, und nicht, um eine Geschichte zu erzählen. Ein Buch ist für mich dann gut, wenn es authentisch ist. Es vermittelt entweder einen spannenden Inhalt oder verfügt über eine einzigartige, fesselnde Sprache. Am besten vereint es beides.

Muss man als Buchhändlerin die ganze Zeit lesen?

Na ja, müssen vielleicht nicht. Ich kannte in der Lehre schon einige, die eigentlich so gut wie gar nicht gelesen haben. Solange man gut reden kann, kommt man auch damit durch. Es ist aus meiner Sicht aber schon ein grosser Vorteil, wenn man selbst gerne liest.

Warum?

Etwas vom Schönsten an diesem Job ist es für mich, wenn man jemanden zu einem Buch, das man kennt, so gut beraten kann, dass diese Person die Buchhandlung dann glücklich verlässt – mit einem Buch in der Hand, von dem sie gar nicht wusste, dass sie danach gesucht hat.

Wie viele Bücher lesen Sie selbst im Monat?

Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ich eine Leseflaute habe, dann eines bis zwei. Es können aber auch sechs Bücher im Monat sein.

Orientieren Sie sich auf der Suche nach neuen Büchern am Angebot hier im Laden?

Ja, und das finde ich auch besonders schön an der Arbeit in der Paranoia City! Fast alles, was ich hier finde, interessiert mich, und ich kann es auch mit gutem Gewissen weiterempfehlen. Dass man als Buchhändlerin neben einigen Klassikern gerade auch die Neuheiten liest, gehört schon dazu, da diese Bücher oft besonders gefragt sind und die Kund:innen eher zu diesen etwas wissen möchten.

Braucht es überhaupt noch Buchhändler:innen? Ich kann auch ins Internet gehen und finde zu jedem Buch Hunderte Rezensionen.

Einerseits stimmt das ein Stück weit. Andererseits denke ich, dass viele Menschen nach wie vor sehr froh sind, dass es immer noch Buchläden mit Buchhändler:innen gibt. Bei einer guten Beratung geht es ja nicht nur um eine Rezension oder eine Empfehlung, oft lernt man sich in diesen wenigen Augenblicken ein wenig kennen, tauscht sich aus, entdeckt vielleicht sogar neue Interessen. Hinzu kommt das ganze Setting, die kuratierte Auswahl, die Freude am Stöbern. Das kann der Onlinehandel in meinen Augen nicht ersetzen.

Und trotzdem liest man häufig, dass der analoge Buchhandel im Sterben liege und bald komplett von Amazon und Co. abgelöst werde.

Ich arbeite jetzt seit bald zehn Jahren im Buchhandel. Dass das eine sterbende Branche sei, wurde mir schon gesagt, als ich die Lehre begann. Vermutlich hiess es das auch schon zehn Jahre davor. Natürlich gibt es Menschen, die alle ihre Bücher übers Internet bestellen. Aber solange es Buchhandlungen gibt, wird es auch Menschen geben, die diese dankend nutzen. Klar, es ist ein prekärer Markt und eine prekäre Branche, die es schnell zu spüren bekommt, wenn Menschen weniger im Portemonnaie haben und deswegen vielleicht im Netz nach besonders günstigen Angeboten suchen. Das kann ich nicht leugnen.

Bekommen Sie das im Moment zu spüren?

Uns geht es derzeit so wie vielen kleinen Buchhandlungen: Wir müssen genauer hinschauen, wo wir wie viel Geld ausgeben und wie viel wir zum Beispiel einkaufen. Zum Glück müssen wir uns noch nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob es die Paranoia City bald nicht mehr gibt. Aber wenn wir so weit kommen möchten, dass wir uns selber fair entlöhnen können und die Anzahl unbezahlter Stunden runterbringen, müssen wir schon gescheit haushalten – und vor allem unseren Radius an Grosskund:innen wie Schulen und Bibliotheken erweitern.

Auf die Frage, für welches ihrer Lieblingsbücher sie sich heimlich etwas schämt, wusste Melina Korros (28) keine Antwort. Aber sie schaue sehr gerne Reality-TV, das sei ihr «guilty pleasure».