Paraquat und Glyphosat: Ein tödliches Rätsel ist gelöst
Wie ein Wissenschaftler aus El Salvador mit der Hilfe von KollegInnen in Sri Lanka, Kuba und Belgien bewiesen hat, dass zwei Pflanzenvernichtungsmittel für den Tod von über 10 000 Menschen verantwortlich sind.
Man weiss schon lange, dass das Pflanzenvernichtungsmittel Paraquat ein tödliches Gift ist. Wer auch nur einen Teelöffel dieses Herbizids schluckt, stirbt einen langen und qualvollen Tod. Erst krampfen sich die Gedärme, dann versagt die Niere, dann alle anderen Organe. Zwei oder drei Tage kann das dauern. Ein Gegengift gibt es nicht. In der Schweiz, der Europäischen Union, aber auch in armen Ländern wie Sri Lanka ist der Einsatz von Paraquat schon lange verboten. In Ländern, wo Paraquat noch erlaubt ist, bewirbt der Schweizer Chemie- und Saatgutkonzern Syngenta, einer der hauptsächlichen Produzenten, sein unter dem Markennamen Gramoxone vertriebenes Produkt als «effektiv und umweltfreundlich», geradezu «perfekt für nachhaltige Landwirtschaft».
Jetzt hat ein internationales Forschungsteam nachgewiesen, dass auch der in der Landwirtschaft übliche Einsatz von Paraquat tödliche Folgen hat. Das Ergebnis seiner zehnjährigen Arbeit war der WOZ vorab bekannt und wurde vom belgischen Nierenheilkundler und Toxikologen Marc De Broe am Freitag beim Jahreskongress der European Renal Association / European Dialysis and Transplant Association in Budapest vorgestellt. Danach dringt das Gift über die Haut und die Atemwege in den Körper ein, gelangt in die Niere, führt mit der Zeit zu einer unheilbaren chronischen Erkrankung und letztlich zu einem schmerzhaften Tod. Allein in Zentralamerika sind schon über 10 000 Menschen daran gestorben (siehe WOZ Nr. 49/2012 ).
Auch in Sri Lanka wurden Tausende von derselben Krankheit dahingerafft, obwohl dort kein Paraquat eingesetzt werden darf. Diese lange rätselhafte Epidemie kann die Studie auch erklären: Das in Sri Lanka wie in Europa und anderen Weltgegenden noch immer verwendete Glyphosat kann in der Niere dieselben krankhaften Veränderungen auslösen. Ähnliches gilt für Insektenvernichtungsmittel auf der Basis sogenannter Pyrethroide.
Bohrende Gesundheitsministerin
Der Weg zu dieser Erkenntnis dauerte zehn Jahre. Er begann mit dem Regierungswechsel in El Salvador 2009. Damals kam die ehemalige Guerilla der FMLN an die Macht. Gesundheitsministerin wurde die zu dieser Zeit schon 86-jährige Ärztin María Isabel Rodríguez, eine international anerkannte Wissenschaftlerin. 2015 wurde sie von der Weltgesundheitsorganisation der Uno (WHO) zur «Heldin des öffentlichen Gesundheitswesens in Amerika» erklärt. Sie war die Erste, die sich um die in der Küstenebene epidemisch auftretende chronische Nierenerkrankung kümmerte. Sie wusste, dass einzig regelmässige Dialyse das Leben der Kranken verlängern kann – und dass dies in einem armen Land wie El Salvador unbezahlbar ist.
Da die Krankheit vor allem in den Gegenden Zentralamerikas auftritt, in denen Zuckerrohr angebaut wird, gingen die Gesundheitsbehörden lange davon aus, die harten Arbeitsbedingungen seien schuld. Wenn Arbeiter in tropischer Hitze in gebückter Haltung mit einer Art Sichel die bis zu fünf Zentimeter starken Halme abschlagen, ist das anstrengend und schweisstreibend. Wer dabei zu wenig trinkt, dessen Körper trocknet aus. Dehydrierung, verstärkt durch Alkoholkonsum und sodahaltige Getränke nach der Arbeit, galt lange als Ursache der chronischen Nierenkrankheit. Rodríguez hat das nie geglaubt. Sie hatte beste Kontakte nach Kuba, hatte einst Fidel Castro davon überzeugt, mit dem Rauchen aufzuhören. Und sie wusste: Auf den kubanischen Zuckerrohrplantagen ist die Arbeit genauso hart, und Kubaner trinken am Feierabend gerne und viel Rum. Die Krankheit aber gibt es dort nicht.
Kaum war sie im Amt, richtete sie im Gesundheitsministerium eine Abteilung zur Erforschung der Nierenkrankheit ein. Leiter wurde Carlos Orantes, der eben in Kuba seine Ausbildung zum Facharzt für Nierenheilkunde als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte. Seine Abschlussarbeit hatte er über ebendiese Krankheit geschrieben – eine erste Studie über die Epidemie im unteren Lempatal von El Salvador. WissenschaftlerInnen aus Kuba haben die Forschungsabteilung von Anfang an unterstützt.
Zu wenig Dialyseplätze
Orantes ist ein akribischer und hartnäckiger Forscher mit grossem Herz für arme Leute. Er verbrachte Monate in den von der Epidemie betroffenen Dörfern, wohnte in den Hütten der Kranken, erfasste ihre Lebens- und Krankheitsgeschichte, nahm Tausende von Urin- und Blutproben und liess eine Auswahl der Kranken von 22 SpezialistInnen im Spital untersuchen und Gewebe aus ihren Nieren entnehmen. «Sie sind die eigentlichen Helden unserer Arbeit», sagt er. «Ohne sie hätten wir dieses Rätsel nie gelöst.» Vielen von ihnen legte Orantes einen Katheter in die Bauchhöhle, damit sie sich selbst zu Hause viermal am Tag mit einem Serum einer sogenannten Bauchfelldialyse unterziehen konnten. Auch das erfordert regelmässige ärztliche Betreuung, ist aber deutlich günstiger als die Dialyse der Apparatemedizin. Ohnehin gibt es in El Salvador viel zu wenige Dialyseplätze für viel zu viele PatientInnen.
Orantes war schnell klar, dass die in Zentralamerika grassierende chronische Nierenkrankheit aussergewöhnlich ist. Aus der Fachliteratur wusste er, dass es in aller Regel Menschen über sechzig Jahre sind, die vorher lange an Bluthochdruck und zu hohem Blutzuckerspiegel gelitten haben, die an chronischem Nierenversagen sterben. In El Salvador aber sind es meist junge Leute zwischen zwanzig und dreissig Jahren mit unauffälligem Blutdruck und normalem Zuckerspiegel. Dass Frauen, die nicht bei der Zuckerrohrernte eingesetzt werden, genauso erkranken, brachte die Theorie der Dehydrierung auf den Plantagen ins Wanken. Als der Arzt dann bei einer Vergleichsstudie im kühlen Hochland – wo wegen der klimatischen Bedingungen kein Zuckerrohr angebaut wird – einen ähnlichen Durchseuchungsgrad feststellte, war klar: Harte Arbeitsbedingungen in tropischer Hitze können nicht der Auslöser der Krankheit sein. Von seinen Feldstudien wusste er aber, dass auch KleinbäuerInnen im Hochland auf ihren Gemüsefeldern dieselben Pestizide verwenden, die auch auf den Zuckerrohrplantagen eingesetzt werden. Vor allem eben Paraquat.
Das Herbizid wurde 1955 von der britischen Firma Imperial Chemical Industries entwickelt, deren Agrarsparte heute dem Schweizer Konzern Syngenta gehört. Anfang der sechziger Jahre wurde es unter dem Markennamen Gramoxone zum ersten Mal auf Palmölplantagen in Malaysia eingesetzt. Alles, was grün ist, tötet das Mittel schnell und effektiv ab. Stämme und Wurzeln aber werden verschont. Es wird deshalb besonders gern für das Vorbereiten der Böden für die Aussaat verwendet. Weil das Patent auf das Gift längst abgelaufen ist, gibt es heute – etwa in Mexiko und Guatemala – Hersteller von entsprechenden Generika. Syngenta aber ist nach wie vor der weltweit grösste Produzent. Das Pflanzenvernichtungsmittel ist nach Angaben der WHO «das giftigste der Nachkriegszeit», 28-mal so giftig wie Glyphosat.
Die Agrarlobby macht Druck
Orantes war überzeugt, dass dieses Gift eine zentrale Rolle bei der Epidemie der Nierenkrankheit spielt. Aufgrund seiner Reihenuntersuchungen lag das auf der Hand, ein wissenschaftlicher Beweis aber fehlte. Trotzdem unterstützte Gesundheitsministerin Rodríguez 2013 ein von einer Oppositionspartei eingebrachtes Dekret, nach dem insgesamt 53 Pestizide in El Salvador verboten werden sollten. Das Parlament verabschiedete die Vorlage. Später aber gab der damalige Präsident Mauricio Funes dem Druck der Agarlobby und der Importeure von Saatgut und Herbiziden nach und strich einzelne besonders häufig eingesetzte Gifte aus der Liste – darunter auch Paraquat.
Im selben Jahr lud Rodríguez NierenspezialistInnen aus Sri Lanka, wo es eine ähnliche Epidemie gibt, zusammen mit kubanischen WissenschaftlerInnen nach El Salvador ein. Sie wollten herausfinden, ob es sich in beiden Ländern um dasselbe Krankheitsbild handelt. Kaum hatten die gemeinsamen Forschungen begonnen, wurde das Institut von Orantes aufgelöst. 2014 kam eine neue Regierung an die Macht, ebenfalls von der FMLN. Die Gesundheitsministerin aber wurde ausgetauscht, und die neue hatte kein Interesse an langfristiger Forschung, sondern an schnellen vorzeigbaren Ergebnissen. Die Allianz zwischen den WissenschaftlerInnen aus El Salvador und Sri Lanka aber hielt. Sie machten auch ohne die Rückendeckung des Instituts weiter.
Tatsächlich entdeckten die beiden Forschungsteams im Nierengewebe ihrer PatientInnen auf den ersten Blick gleiche Metabolismen – krankhafte Veränderungen, die beim Stoffwechsel in den Zellen entstehen. Sie wussten: Da ist etwas. Aber sie wussten nicht, was das war. 2016 kam ihnen schliesslich Marc De Broe zu Hilfe, ein in Fachkreisen angesehener Professor für Nierenheilkunde und Toxikologie an der Universität Antwerpen. Er hatte in seinem Labor die Apparate, die in El Salvador und Sri Lanka fehlten. De Broe konnte mit seinen Elektronenmikroskopen die Zellstruktur sichtbar machen und dabei erkennen: Die Metabolismen hatten sich nicht dort gebildet, wo sie bei anderen chronischen Nierenkrankheiten zu finden sind. Ganz offensichtlich handelte es sich um anorganische Stoffe, die in den Nierenzellen beim Stoffwechsel nicht verarbeitet werden können und deshalb eingekapselt werden. Der Fremdkörper kann nicht ausgeschieden werden und sammelt sich an – ein Prozess, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Anders gesagt: Die Krankheit wird chronisch und ist unheilbar. Erstaunlicherweise fanden sich im Gewebe salvadorianischer PatientInnen exakt dieselben Metabolismen wie in den Proben aus Sri Lanka.
De Broe wusste, dass diese Metabolismen schon in früheren Studien untersucht worden waren. Deren Ergebnis: Diese krankhafte Veränderung der Zellen wird ausschliesslich von vier Giften hervorgerufen. Eines ist ein Medikament, das PatientInnen vor Nierentransplantationen verabreicht wird und das weder in El Salvador noch in Sri Lanka eingesetzt wird, weil dort keine Nieren transplantiert werden können. Es konnte als Ursache ausgeschlossen werden. Es blieben nur die Insektizide auf der Basis von Pyrethroiden und die Herbizide Glyphosat und Paraquat. Glyphosat wird auf den Reisfeldern Sri Lankas massenhaft verwendet. Paraquat und Glyphosat sind die in El Salvador gängigsten Agrochemikalien, wobei Paraquat deutlich schädlicher ist als Glyphosat.
Das Rätsel, dem Orantes zehn Jahre lang auf der Spur war, ist gelöst, sein lange gehegter Verdacht bestätigt: Paraquat und Glyphosat haben in Zentralamerika schon weit über 10 000 Menschen umgebracht. Das Ergebnis der Forschung soll demnächst in einem Handbuch für Nierenheilkunde der Universität Oxford veröffentlicht werden. Was noch aussteht, ist die weltweite Ächtung von Pyrethroiden, Glyphosat und Paraquat.
Nachtrag vom 28. November 2019 : Paraquat tötet
Die Pestizide Paraquat und Glyphosat können bei Menschen, die diese Gifte bei der Landarbeit einsetzen, eine unheilbare und oft tödlich verlaufende Nierenkrankheit auslösen. Dies geht aus einer Studie hervor, die am vergangenen Wochenende in der Fachzeitschrift «Kidney International», dem Organ der internationalen Vereinigung für Nierenheilkunde, veröffentlicht wurde. Die WOZ, der die wesentlichen Ergebnisse der Forschungsarbeit vorab vorlagen, berichtete dazu bereits letzten Juni. Paraquat ist in der Schweiz zwar verboten, wird aber von dem in Basel ansässigen Agrochemiekonzern Syngenta unter dem Markennamen Gramoxone produziert und vor allem in den ärmeren Ländern dieser Welt vertrieben. Der Einsatz von Glyphosat ist seit Jahren umstritten. In Zentralamerika und in Sri Lanka sind viele Tausend LandarbeiterInnen an der dadurch ausgelösten Krankheit gestorben.
Der Studie gingen zehn Jahre Forschungsarbeit mit Reihenuntersuchungen an über tausend PatientInnen voraus. Zuletzt haben die 17 beteiligten WissenschaftlerInnen mit der Unterstützung von 13 Universitätsinstituten in Belgien, El Salvador, Frankreich, Indien, Slowenien, Sri Lanka und den USA die krankhaften Zellveränderungen an Nierenbiopsien von 34 PatientInnen mit neuster Technologie untersucht. Ihr Ergebnis: Eine toxische Ursache der im Fachjargon Cinac (Chronic Interstitial Nephritis in Agricultural Communities) genannten Krankheit sei offensichtlich; Pestizide, allen voran Paraquat und Glyphosat, seien die naheliegendsten Auslöser. Bislang war in der Fachliteratur Hitzestress als Ursache verdächtigt worden. Nach dieser Theorie waren die Kranken letztlich selbst schuld, weil sie trotz harter Arbeit unter tropischer Sonne nicht genügend tranken. Zwei Drittel der PatientInnen, deren Nierenbiopsien nun untersucht wurden, hatten nie an Hitzestress gelitten.
«Die Hitzehypothese ist damit erledigt», sagt der Krebsforscher und Altnationalrat Franco Cavalli. Über das von ihm gegründete medizinische Hilfswerk Amca, das auch in Zentralamerika arbeitet, ist ihm das Problem der epidemischen Nierenkrankheit seit langem bekannt. Die jetzt vorgelegte Studie umfasse zwar relativ wenige Fälle, diese aber seien «sehr tiefgründig und mit allen heute zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten inklusive der Elektronenmikroskopie studiert worden». Die Konsequenzen sind für ihn klar: «Die Pestizide, vor allem Paraquat, müssen international verboten werden.» Die Opfer und ihre Familien müssten entschädigt werden: «Wie schon beim Asbest muss man die Konzerne zur Kasse bitten.»
Toni Keppeler