Vor drei Jahren gegründet, eilt das Frauenteam des FC Winterthur von einem Erfolg zum nächsten. Das Beispiel zeigt, was im Frauenfussball in der Schweiz gut läuft – und woran er krankt. Vorkämpferinnen auf Kunstrasen
Ein Sonntag Anfang Juni. Das letzte Heimspiel der Frauen des FC Winterthur in der Saison 2018/19 fällt auf den ersten richtig heissen Tag des Jahres. Während die Sonne auf den Kunstrasenplatz beim Stadion Schützenwiese und die in der «Proseccokurve» versammelten Edelfans brennt, kommen die Winterthurerinnen gegen den FC Bühler nur schwer in die Gänge. Schon nach elf Minuten liegen die Gäste vor gut 200 ZuschauerInnen mit 1 : 0 vorne. Die gegnerischen Angreiferinnen sind flink, immer wieder überbrücken sie mit schnellen Pässen das Mittelfeld und bringen die Winterthurer Abwehrreihe in Bedrängnis, die von Kapitänin Sarah Akanji an diesem Tag mehr schlecht als recht zusammengehalten wird.
Am Ende gewinnt Winterthur trotzdem mit 3 : 2. Für den Sieg war aber ein regelrechter Kraftakt in der Hitze nötig, viel hing an der starken Leistung von Linksaussen Brandy Breitenmoser, die zwei Tore erzielte. Rein sportlich ging es in der Begegnung für die Gastgeberinnen um nichts mehr: Schon davor war klar, dass sie die Saison in der Tabelle im Mittelfeld beenden würden, jenseits der Spitzen- wie Abstiegsränge. Und dennoch war der letzte Auftritt zu Hause vor den eigenen Fans kein blosses Schaulaufen.
In den Tagen zuvor war das Team genauso unerwartet wie unverschuldet in die Schlagzeilen geraten. Beim Spiel ihrer männlichen Klubkollegen gegen den FC Schaffhausen hatten Fans aus der Munotstadt ein Banner im Block entrollt, das dazu aufrief, die Frauen des FC Winterthur zu «ficken» und zu «verhauen» – ein sexistischer Aufruf zur Gewalt, wie er im Jahr 2019 zumindest als öffentliche Äusserung fast nicht mehr möglich schien. Das Banner rief landesweit Empörung hervor, zugleich erfuhren die Winterthurerinnen Zuspruch von vielen Seiten. Vor dem letzten Heimspiel gegen Bühler kursierte im Internet ein Appell, Solidarität zu bekunden – in der Folge schauten auf der Schützenwiese ein paar Leute mehr als sonst zu.
Durchmarsch in die erste Liga
Bei den Winterthurer Männern waren es zuletzt im Schnitt beinahe 4000 ZuschauerInnen, allerdings existiert das Frauenteam auch erst seit dem Sommer 2016. Seine Gründung ist vor allem der Initiative Sarah Akanjis zu verdanken. Akanji ist nicht nur ein politisches Talent, das seit kurzem für die SP im Zürcher Kantonsrat sitzt; sie ist auch fussballverrückt – so wie ihr Bruder Manuel, der bei Borussia Dortmund und in der Schweizer Nati verteidigt. Schon vor Jahren war sie bei der Klubführung des FC Winterthur vorstellig geworden. Warum denn der Verein kein Frauenteam betreibe, wollte sie wissen. Damals hiess es, die dafür notwendigen Mittel würden fehlen. Vor drei Jahren wurde Akanji dann endlich zumindest das Allernötigste zugesichert, um loslegen zu können. «Der Deal war, dass wir den Namen und die Infrastruktur des FC Winterthur nutzen können, den Rest haben wir selbst besorgt», erzählt Akanji.
Wenn sie heute auf die vergangenen drei Jahre zurückblickt, spricht Sarah Akanji von einem «kleinen Wunder». Trotz des Umstands, dass das Frauenteam fast aus dem Nichts aus dem Boden gestampft wurde, eilte das Team bald von Erfolg zu Erfolg. In den ersten beiden Jahren stiegen die Winterthurerinnen jeweils auf; seit 2018 gehen sie in der ersten Liga – der dritthöchsten Spielklasse – auf Torjagd. Auch dort mischten sie bis zur Winterpause oben mit, ehe das Team einige bittere Niederlagen einstecken musste und ins Mittelfeld abrutschte. Man habe Lehrgeld bezahlen müssen, sagt Akanji. Der Winterthurer Höhenflug war jedenfalls gebremst, beendet ist er damit jedoch noch lange nicht – zumindest nicht, wenn es so läuft, wie es Akanji und ihre Mitstreiterinnen planen.
Eigentlich sei der Erfolg des Projekts Frauenteam in Winterthur fast schon ein Selbstläufer gewesen, sagt Akanji. Über finanzielle Mittel verfüge man zwar nicht, alles beruhe auf freiwilligem Engagement. «Aber als die Sache vor drei Jahren ins Rollen kam, war das Einzige, was ich noch tun musste, über unser Vorhaben zu informieren – und dann sind die Spielerinnen ganz von alleine gekommen», sagt die 26-Jährige. Am gewaltigen Zulauf habe man gesehen, wie dringend es gewesen sei, ein adäquates Angebot für Fussballerinnen in der Region zu schaffen. «Wir hätten problemlos auch zwei Teams an den Start bringen können.»
Kickende Vorkämpferinnen
Eine der Frauen, die 2016 zur neu gegründeten Equipe stiessen, ist Toja Rauch. Die Stürmerin ist ein torgefährliches Kraftpaket, auch sie steuerte im Heimspiel gegen Bühler einen Treffer bei. Rauch, die in Winterthur lebt, spielte früher in verschiedenen kleinen Klubs. Als sie dann zum ersten Probetraining nach Winterthur gekommen sei, sei sie ganz verblüfft gewesen, erzählt die 28-Jährige: Auf dem Platz hätten sich damals an die siebzig Spielerinnen getummelt, alle mit gut sichtbaren Nummern versehen, damit die TrainerInnen und Scouts, die das Treiben beobachteten und sich Notizen machten, sie identifizieren konnten. «Eine solche Professionalität hatte ich zuvor noch nie erlebt», sagt Rauch.
Dass es sportlich gleich so gut lief, liegt für Rauch vor allem daran, dass es von Anfang an um mehr ging, als nur ein bisschen gemeinsam zu kicken. «Es wurde immer deutlich kommuniziert, was das Ziel ist, nämlich dass das Team für eine starke Frauenfussballmannschaft stehen soll, die auch den Weg für den späteren Aufbau von Juniorinnenteams in Winterthur bereitet», sagt Rauch. Das habe ausserordentlich motivierend gewirkt, glaubt sie: «Wir haben vom ersten Tag an gespürt, dass wir Vorkämpferinnen sind. Das hat den Zusammenhalt unglaublich gestärkt und viel Energie freigesetzt, die wir dann in grossartige Leistungen mit den beiden Aufstiegen umsetzen konnten.»
Rauch und Akanji unterstreichen beide, wie wichtig die Unterstützung ist, die das Team vonseiten des Vereins, der Stadt und vor allem der Fans erfährt. Beide betonen aber auch, dass in ihrem Sport viel im Argen liege. Mädchen und junge Frauen, die Fussball spielen wollten, hätten es oft schwer, ein Team zu finden, was erst recht für ländliche Regionen gelte. Zudem ist Frauenfussball in der Schweiz noch immer eine Sache ausschliesslich für Amateurinnen. Wer Talent hat und Geld auf dem Rasen verdienen will, muss ins Ausland gehen, wo es auch weiblichen Profifussball gibt. So wie es beispielsweise Lara Dickenmann gemacht hat: Die wohl bekannteste Schweizer Spielerin feierte ihre grössten Erfolge in Frankreich und Deutschland.
Sarah Akanji sagt deswegen: «Wenn wir den Frauenfussball hierzulande nicht professionalisieren, gerät er immer mehr ins Hintertreffen – und das lässt sich irgendwann auch nicht mehr aufholen.» Der Verband und die Klubs müssten dringend investieren, um die Attraktivität der Liga zu steigern. Und vor allem müsse die Sichtbarkeit des Frauenfussballs vergrössert werden, fordert Akanji. Andernfalls verharre man in einem Teufelskreis: «Wenn man einer Sache keine Sichtbarkeit verschafft, gibt es auch keine Zuschauer, und wenn es keine Zuschauer gibt, gibt es keine Sponsoren und keine Berichterstattung und so weiter.»
Märkte richten es nicht von alleine
Wenn man mit Spielerinnen wie Akanji und Rauch redet, merkt man schnell, wie verkürzt die Argumentation derer ist, die die Forderung nach einer besseren Förderung des Frauenfussballs damit abbügeln, dass sich viel weniger Menschen dafür interessierten und man deswegen nun mal kleinere Brötchen backen müsse. Tatsächlich sei Fussball aber bei Frauen inzwischen die zweitbeliebteste Sportart, betont Akanji. Und Märkte fielen auch nicht einfach vom Himmel – was für den Sport genauso gelte wie für andere Bereiche. Also kommt es darauf an, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Andere Länder wie etwa Spanien, in denen Frauenfussball viel populärer ist, zeugen davon.
Das sehen BeobachterInnen der Szene wie Martin Bieri ähnlich. Der Journalist verfolgt die Entwicklung im Frauenfussball national wie international schon seit langem. «Der Schweizer Verband hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren seine Bemühungen auf die Nationalmannschaft konzentriert, das heisst, man hat versucht, sowohl die Qualität als auch die Popularität des Frauenfussballs in der Schweiz vor allem über die Nationalmannschaft zu steigern», sagt Bieri. Diese Strategie habe auch gefruchtet, die Nati feierte einige Erfolge wie etwa die WM-Qualifikation vor vier Jahren. Gleichzeitig aber komme die Liga nicht vom Fleck: Das Niveau sei niedrig, viele Spielerinnen wechselten ins Ausland, und das ZuschauerInneninteresse sei gering.
«Es war sicher nicht falsch, die Nationalmannschaft zu stärken, aber es war eben auch einseitig. Das merkt man gerade jetzt, wo gestandene Spielerinnen am Ende ihrer Karriere stehen und keine jungen von derselben Qualität nachrücken», sagt Bieri. Der Journalist glaubt, dass zum einen versucht werden müsste, die Vermarktung zu verbessern: So sei es bislang noch nie gelungen, einen Sponsor für die Schweizer Liga zu finden. Zum anderen könne der Verband die grossen Klubs dazu zwingen, flächendeckend Frauen- und Mädchenabteilungen aufzubauen und die entsprechende Infrastruktur zu gewährleisten, als Bedingung dafür, dass die Klubs eine Lizenz für die beiden Profiligen erhalten.
Falsche Vergleiche mit den Männern
Bieri weist aber auch darauf hin, dass die Probleme tiefer in den Strukturen verankert sind. So untersage der Weltverband Fifa im Frauenfussball bislang die Zahlung von Ausbildungsentschädigungen. «Genau das nimmt den Schweizer Klubs aber die Geschäftsgrundlage, da sich die Nationalliga A als Ausbildungsliga versteht. Vergangene Saison hat man eine ganze Mannschaft ans Ausland verloren, ohne eine Entschädigung dafür zu erhalten», sagt Bieri. Das sei ein Systemfehler, und da müsse man auch die Klubs verstehen, wenn sie sagen, dass sie nichts investieren würden, weil da nichts zurückkomme.
Über all dem schwebt zudem die Frage, wohin sich der Frauenfussball überhaupt entwickeln soll. Zustände wie im Männerfussball erscheinen angesichts von dessen grenzenloser Kommerzialisierung kaum erstrebenswert. Für Bieri ist dieser schlicht «ein Monster, an dem sich niemand messen sollte». Und auch die Spielerinnen sind weit davon entfernt, Verhältnisse wie im männlichen Profifussball zu ersehnen. «Ich will ja gar nicht, dass der Frauenfussball genauso wird wie der Männerfussball», sagt Sarah Akanji. «Aber ich wünsche mir, dass die Spielerinnen, die das wollen, auch die Möglichkeit haben, sich zu professionalisieren und weiterzuentwickeln.»
Gegenwärtig fehle es an einer angemessenen Wertschätzung für diese Sportlerinnen, sagt Akanji. Krasser Sexismus wie im Fall des Schaffhauser Banners sei zwar grässlich; zugleich dürfe man darüber aber nicht weniger sichtbare und institutionalisierte Formen der Diskriminierung vergessen.