Wahlen in Ostdeutschland: Von dreissig auf zehn Prozent

Nr. 36 –

Der Erfolg der AfD in Sachsen und Brandenburg dominiert in Deutschland die Debatte. Die eigentliche Überraschung ist aber das schlechte Ergebnis der Linkspartei: Gerade in deren einstigen Hochburgen triumphierte die extreme Rechte.

Abgesägt: In Sachsen sind Linke, Grüne und SPD zusammen schwächer als die AfD alleine. Foto: Robert Michael, Keystone

Eigentlich waren es nur zwei Wahlen in zwei bevölkerungsarmen Bundesländern. Etwa acht Prozent beträgt der Anteil der Menschen aus Sachsen und Brandenburg an der Gesamtbevölkerung. Und doch haben die Wahlen vom Sonntag immense Auswirkungen auf die deutsche Bundespolitik.

Das gilt vor allem für das Ergebnis der AfD. In Sachsen holte die Partei mit 27,5 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl, in Brandenburg gelang ihr mit 23,5 Prozent immerhin ihr drittbestes. Damit belegte sie jeweils den zweiten Platz. Überraschend kam der Erfolg freilich nicht: Seit Herbst 2016, dem Höhepunkt der Debatte über Geflüchtete, kommt die AfD in Umfragen in allen ostdeutschen Bundesländern, Berlin ausgenommen, auf 20 bis 25 Prozent.

Dauerspin nach rechts

Die Wahlerfolge der AfD stärken vor allem den völkisch-nationalistischen Flügel um Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Letzterer war Spitzenkandidat in Brandenburg und besonders in den vergangenen Wochen massiv in der Kritik, weil immer mehr Puzzleteile seiner Vergangenheit im rechtsextremen Milieu ans Licht kamen, von der er sich nie distanzierte. Auf das Ergebnis der AfD haben sich diese Enthüllungen aber offenbar nicht negativ ausgewirkt.

Die Erfolge kommen für den völkischen Flügel zur besten Zeit, denn Ende November wird beim Parteitag in Braunschweig ein neuer Vorsitz gewählt. Bereits in den vergangenen Monaten hatten Flügelpolitiker Anspruch auf eine stärkere Repräsentation an der Spitze geltend gemacht. Den Takt geben sie ohnehin seit längerem vor; doch sechseinhalb Jahre nach der Parteigründung steht die extreme Rechte kurz davor, nun auch offiziell die AfD zu übernehmen. Die bisher gewonnenen Auseinandersetzungen gegen Parteigründer Bernd Lucke im Sommer 2015 und gegen Frauke Petry zwei Jahre später scheinen für Björn Höcke und Co. nur Etappen auf dem Weg zur Macht gewesen zu sein.

Der Dauerspin nach rechts hält den rechten Flügel der CDU aber nicht davon ab, den Schulterschluss mit der AfD zu suchen. Bereits während des Wahlkampfs in Brandenburg und Sachsen hatte sich die rechte sogenannte Werteunion, ein zahlenmässig marginaler Zusammenschluss Rechtskonservativer in der Union, vor allem in Sachsen häufiger zu Wort gemeldet. Einen Tag nach der Wahl meldeten sich vereinzelt CDU-Rechte zu Wort und forderten Gespräche mit der AfD. Noch schliesst die Bundes-CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Doch unklar ist, wie lange die Basis in Sachsen darauf hören wird. Die wahrscheinliche Keniakoalition, bestehend aus CDU, SPD und Grünen, wird es nicht leicht haben, gelten doch die Grünen in Sachsen als eher links und der Landesverband der CDU als vergleichsweise rechts.

Mitte-Links im Niedergang

Der Erfolg der AfD dominiert die Debatte nach der Wahl. Dabei ist die eigentliche Überraschung das schlechte Ergebnis der Linken. Diese erreichte in beiden Ländern nur knapp mehr als 10 Prozent, jeweils ein Minus von etwa 8 Prozent. Noch vor zehn Jahren holte die Linke in Brandenburg knapp 30 Prozent. Gerade in den Hochburgen von damals, dem Osten Brandenburgs zum Beispiel, ist die AfD nun am stärksten: in dünn besiedelten Gebieten, von Abwanderung geprägt, perspektivlos. Dazu passt: Laut dem Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap war die AfD unter der Gruppe der «Arbeiter» stärkste Partei – mit 44 Prozent. Die Brandenburger Linke hat bei dieser Gruppe nur noch 8 Prozent Zustimmung. Vor fünf Jahren noch lagen AfD und Linkspartei gleichauf.

Dennoch kann der Stimmenverlust der Linken nur bedingt auf langfristige Entwicklungen zurückgeführt werden. Noch vor einem Jahr bewegte sich die Partei in beiden Bundesländern in Umfragen auf dem Niveau der vergangenen Landtagswahlen. Viele AnhängerInnen haben sich offenbar vor allem in jüngster Zeit von der Partei abgewandt. Stark bleibt sie vor allem in den Städten. Waren bundesweit früher die ostdeutschen Bundesländer linke Hochburgen, sind es nun Berlin, Hamburg und Bremen. Einzige Ausnahme: Thüringen, wo Bodo Ramelow regiert.

Augenscheinlich kann die Linke nicht von den zunehmenden sozialen Auseinandersetzungen in Deutschland profitieren: weder von den Fridays-for-Future-Protesten noch von den Diskussionen um hohe Mieten oder Enteignungen. Zudem erscheint sie vielen offenbar nicht als Antagonistin – weder zur herrschenden Politik noch zur Rechten. Letztere Position nehmen vielmehr die Grünen ein. Obgleich sie vor allem in Wahlumfragen von der Polarisierung profitieren: Bei den Landtagswahlen blieben sie weit hinter den Umfragewerten zurück.

Die jüngsten Wahlen in Brandenburg und Sachsen offenbaren unter dem Strich vor allem eines: den weiteren Niedergang des Mitte-links-Spektrums in Deutschland. Zwar werden in Brandenburg voraussichtlich SPD, Linke und Grüne gemeinsam eine Regierung bilden. Dennoch haben dort wie in Sachsen auch diese drei Parteien des nominell linken Spektrums jeweils etwa 10 Prozent eingebüsst. In Sachsen sind die drei Parteien, die sich zwischenzeitlich schon leise Hoffnung auf eine gemeinsame Mehrheit gemacht hatten, zusammen sogar schwächer als die AfD alleine.