Gleichstellung im Film: «Ich habe auch anderes im Repertoire»

Nr. 39 –

Sichtbarkeit aller Geschlechter, weniger unreflektierte Stereotype, gleicher Lohn für alle und mehr kulturelle Durchmischung im Film und auf der Bühne: Dies fordern die Schauspielerinnen des Vereins Female Act.

«Wenn man uns lässt, spielen wir alles»: Die Schauspielerinnen Wanda Wylowa (links) und Beren Tuna (mit Megafon) beim Frauenstreik in Zürich. Foto: Caroline Minjolle

Eine Frau mit Kopftuch sitzt vor dem Spiegel, während die Maskenbildnerin sie schminkt, und spricht gedankenverloren in die Kamera: «Ich mach das ja nicht freiwillig. Also wenns nach mir ginge … Nach der Ausbildung dachte ich: Ich kann alles machen. Boxerin sein oder Anwältin. Aber irgendwie darf ich nur immer Sachen machen, die dazu passen.» Sie deutet auf das Kopftuch. Da eilt unvermittelt die Produzentin herbei: «Amina, eine kleine Textänderung: Nachdem dich dein Ehemann schlägt, bleibst du weinend in der Ecke liegen. Dein Satz ist gestrichen.» Amina bleibt verdattert zurück. Wir im Publikum lesen: «Herkunft ist kein Hindernis. Wenn man uns lässt, spielen wir alles. Female Act.»

Dieser Spot und weitere laufen derzeit in den Schweizer Kinos. Female Act, die Macherinnen, sind Schauspielerinnen, die einen Verein gegründet haben, um auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Film und auf der Bühne hinzuweisen. Entstanden ist Female Act im Vorlauf zum Frauenstreiktag. Die Schauspielerinnen erkannten: Wir müssen Forderungen stellen, um Gleichstellung in der Film- und Theaterbranche zu erreichen. Dann ging es schnell. Im April erarbeiteten sie ein Manifest, kauften einen roten Teppich – ihr Markenzeichen, das seither an Festivals platziert wird –, liessen Aufkleber drucken. Am Frauenstreik gingen sie erstmals an die Öffentlichkeit.

Intransparente Lohnpolitik

Rückblende zum 14. Juni: Vor dem Kino Xenix ist der rote Teppich ausgerollt. Frauen plaudern, lachen, stossen an. «Kultur ist das Bedürfnis einer Gesellschaft, kein Luxus!», hallt es aus einem Megafon. Es wandert durch die Reihe der Mitglieder von Female Act, jede spricht eine Forderung aus dem Manifest: Mehr gleichberechtigte Frauenrollen! – Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! – Keine unreflektierten Stereotype mehr auf der Bühne und im Film! – Elternzeit und bezahlbare Kinderbetreuung! – Richtlinien für Gleichstellung an Theatern und am Set! – Diversität bei Alter, Herkunft, Geschlecht!

Ein Teil der Forderungen von Female Act deckt sich mit denen, die Frauen am 14. Juni zu Tausenden stellten, darunter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Kinderbetreuung ist mit den unregelmässigen Arbeitszeiten in der Branche schwer vereinbar, Theater- oder Filmproduktionen stellen keine bezahlte Betreuung zur Verfügung.

Auch die intransparente Lohnpolitik ist ein grosses Problem: Offizielle Gehaltseinstufungen gibt es besonders in der Filmbranche nicht, weil jede Produktion unterschiedlich finanziert wird. Meist steht in Verträgen eine Schweigeklausel betreffend Honorar, obwohl diese laut dem Schweizerischen Bühnenkünstlerverband (SBVK) nicht rechtsgültig ist. Die Mitglieder von Female Act wissen jedoch durch den Austausch mit Kollegen, dass Männer bei gleicher Erfahrung manchmal höhere Gagen bekommen als Frauen. Zudem haben Männer mehr Einsätze, weil es mehr Männerrollen zu vergeben gibt.

Schweizer Zahlen müssen her

In einer Studie zur audiovisuellen Diversität in Deutschland kamen die Medienwissenschaftlerinnen Elizabeth Prommer und Christine Linke 2017 zum Ergebnis, dass Frauen in fiktionalen Formaten in Film und Fernsehen unterrepräsentiert sind. In Fernsehserien sind nur 38 Prozent der ProtagonistInnen Frauen, bei Kinofilmen 42 Prozent. Einzig in Soaps liegt ihr Anteil knapp über fünfzig Prozent. Allgemein würden Frauen häufig im Kontext von Partnerschaft dargestellt und sind vorwiegend jungen Alters. Für die Schweiz existiert keine vergleichbare Studie, die die Repräsentation von Frauen in fiktionalen Formaten untersucht.

Eine kürzlich publizierte Zwischenevaluation des Bundesamts für Kultur (BAK) für die Schweiz fällt im Vergleich auf den ersten Blick überraschend aus. Das BAK erhebt seit 2017 Daten zur Gleichstellung der Geschlechter vor und hinter der Kamera: In den 49 Schweizer Spielfilmen, die 2017 und 2018 in die Kinos kamen, waren 52 Prozent der Hauptfiguren weiblich und 48 Prozent männlich. Wobei der Anteil an weiblichen Hauptrollen ab vierzig deutlich abnimmt.

Nun müsste laut BAK natürlich genauer hingeschaut werden, über längere Zeitspannen etwa und unter Berücksichtigung der Nebenrollen. Gestützt auf seine Zwischenevaluation und auf weitere Daten will das Bundesamt 2020 eine umfassende Studie in Auftrag geben. Parallel dazu engagiert sich auch Female Act für weitergehende Untersuchungen.

Erhellende Momente

Die Forderungen des Vereins gehen freilich weit über zahlenmässige Repräsentation hinaus. Die Schauspielerinnen Beren Tuna, Wanda Wylowa, Barbara Terpoorten und Anna-Katharina Müller, Mitglieder des Vorstands von Female Act, sprechen von Situationen, in denen sie den Umgang mit überholten Geschlechterrollen wenig hinterfragten – bis plötzlich erhellende Momente kamen: Echt jetzt? Habe ich so zu spielen, weil ich eine Frau bin? Haben meine Figuren immer den Mann brillieren zu lassen? Sind Sprüche über meinen Körper hinter den Kulissen zulässig?

Verharmlosen statt hinterfragen würde widerspiegeln, wie verinnerlicht genderspezifisches Verhalten sei, sagen die vier unisono. Hier erzählen sie von ihren Erfahrungen.

Wylowa: «Die klassischen Stücke muss man gendergerecht umdenken. Ein Stück von Henrik Ibsen muss man heute nicht mit sieben Männern und zwei Frauen inszenieren.»

Terpoorten: «Ich habe ‹Der Besuch der alten Dame› mit mehr Frauen als im Original inszeniert. Es gab nicht mehr eine alte Frau und nur böse Männer. Die Rollen bildeten eine reale Gesellschaft ab.»

Müller: «Ich spielte in einer Adaption von Dostojewski, in der alle weiblichen Figuren männlich waren und umgekehrt. Das löste die Geschlechterstereotype auf. Im Film scheinen sie sich schwieriger brechen zu lassen. Auch was die Herkunft betrifft: Mit einer anderen Hautfarbe etwa spielt man oft Rollen, die diese thematisieren.»

Tuna: «Kenne ich. Ich werde vorwiegend für Rollen mit Migrationsgeschichte angefragt. Habe ich bislang alles gerne gespielt! Aber ich habe auch anderes im Repertoire.»

Wylowa: «Die Männer müssen auch Stereotype verkörpern. Dicke spielen oft ‹den Dicken›, Schönheiten ‹den Herzensbrecher›.»

Terpoorten: «Zudem ist das Rollenspektrum für Frauen je nach Spielalter begrenzt. Dabei bietet unser Alter – ich bin 44 – viel Stoff. Man pflegt vielleicht die Eltern, hat Teenager zu Hause, Konflikte in der Partnerschaft. Es bräuchte mehr Figuren in diesem Alter.»

Müller: «Mit mehr Regisseurinnen, Produzentinnen oder Dramaturginnen allein sind unsere Forderungen nicht erfüllt. Es braucht ein grundlegendes Umdenken in der Branche, das auch das Publikum zum Umdenken bringt.»

Terpoorten: «Erst das wird unser Verhalten ändern. Ein Filmset muss ein geschützter Raum sein, wo sich die Schauspielerinnen und Schauspieler wohlfühlen. Wenn ich mich als Schauspielerin respektiert fühle, dann halte ich mich nicht zurück, versuche nicht, Schwäche oder Verletzlichkeit zu vertuschen.»

Wylowa: «Manche Regisseure haben, was ihren Umgang mit Schauspielerinnen angeht, einen so schlechten Ruf, dass ich mir deswegen auch schon überlegen musste, ob ich das Stück annehmen möchte. Einmal sagte ich erst zu, als ich erfuhr, dass eine starke Kollegin die Hauptrolle spielt. Absurd, dass man sich das überlegt!»

Tuna: «Die Unterstützung der Regie ist bei der Erarbeitung intimer Szenen entscheidend, fehlt aber leider oft. Bei einer Kussszene erlebte ich auch schon, dass ein Kollege mich überrumpelte. Als ich ihm das sagte, war es ihm unangenehm, es tat ihm leid. Detaillierte Anweisungen der Regie hätten uns geholfen, diese für uns beide unangenehme Situation zu verhindern.»

Wylowa: «Eine Regisseurin schützte mich einmal gut: In der Rolle einer Exhibitionistin musste ich den Pelzmantel mit Reizwäsche darunter ausziehen. Bei den Proben klopften die Statisten Sprüche. Die Regisseurin sagte: ‹Noch ein Spruch, der nicht im Drehbuch steht, und ihr seid draussen.› Dann war Ruhe.»

Massnahmen zeigen Wirkung

Für ihre Gleichstellungsanliegen will Female Act einen Leitfaden erarbeiten, wie er sich in der schwedischen Film- und Theaterbranche institutionalisiert hat. Dieser schreibt etwa bei der Probe intimer Szenen klare Regieanweisungen sowie eine Ansprechperson für Anliegen der SchauspielerInnen vor. Ausserdem sollen sich nur so viele Personen wie nötig im Raum aufhalten. Der Leitfaden beinhaltet auch dramaturgische Vorgaben: Eine Geschichte soll nicht unbegründet aus einer genderspezifischen Perspektive erzählt werden; beim Casting sind die zu vergebenden Rollen nach dem Geschlecht zu hinterfragen; und kleinere, mittlere und grosse Rollen sollen zu je fünfzig Prozent auf Frauen und Männer verteilt werden – eine Quote, die auch hinter den Kulissen in Technik, Regie oder Dramaturgie gilt.

Die Regelung greift in Schweden zudem bei der Vergabe von Fördergeldern. Laut dem Schwedischen Filminstitut, das die Gleichstellungsarbeit in der Branche initiierte, führte die Durchsetzung einer Vereinbarung von 2013 dazu, dass 2016 die Förderung in den Bereichen Regie, Drehbuch und Produktion fast paritätisch verteilt war. Das Schwedische Filminstitut hat Massnahmen formuliert, die 2020 zur Gleichstellung vor und hinter der Kamera führen sollen.

In der Schweiz verfolgt der Verband Filmregie und Drehbuch (ARF/FDS) das Ziel der egalitären Filmförderung. Eine quantitative Auswertung der 2013/14 verteilten Fördergelder für Dokumentar- und Spielfilme ergab, dass Frauen proportional zu ihrem Branchenanteil weniger bekamen als Männer. Als Reaktion auf die Studie legte das BAK erstmals Bestimmungen zur GenderDiversity in der Filmförderung fest. Demnach müssen die geförderten Projekte beider Geschlechter ausgewogen zum Verhältnis der Eingaben stehen. Die Massnahme zeigte Wirkung: 2018 förderte man bei Spiel- und Dokumentarfilmen und Drehbüchern knapp zur Hälfte Projekte von Frauen.

«Das ist zwar ein guter Anfang, doch wir haben noch einen weiten Weg vor uns», sagt Beren Tuna von Female Act. «Umso erfreulicher, dass jetzt eine Sensibilisierung für Gleichstellung in unserer Branche zu erkennen und ein Umdenken im Gang ist.»