Kulturpolitik: Zu wenig Geld für zu viele Filme
Eine neue Studie zeigt, wie die Filmförderung in der Schweiz zu reformieren wäre. Doch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider liess bereits durchblicken: Zum grossen Umbau ist sie nicht bereit.

Kulturfeindliche Ressentiments bedienen? Das geht offenbar immer: «Das grosse Gähnen» titelte die «NZZ am Sonntag» im November. Gemeint waren nicht der dortige Kulturteil und auch nicht die Erfolgsserie «Tschugger», die in der Bildlegende als grosse Ausnahme gefeiert wurde. Gemünzt wars auf das hiesige Filmschaffen und den «Gähnreflex», den das Label «Schweizer Film» beim Publikum auslöse. Hintergrund war eine neue Studie zur Filmförderung in der Schweiz, die das Bundesamt für Kultur (BAK) bei einer Berliner Consultingfirma in Auftrag gegeben hatte. Und wieder mal zeigte sich: Solche Studien werden gemacht, damit jede und jeder das herauslesen kann, was ihnen gerade in den Kram passt.
Für die «NZZ am Sonntag» war das zuerst einmal der notorisch tiefe Marktanteil von Schweizer Filmen – und damit verbunden eine These, die als Fazit in der Studie gar nicht vorkommt: dass die Filmförderung in der Schweiz angeblich «am Bedarf vorbei» ziele. Bloss: Solche Befunde gehen meist nur von hiesigen Publikumszahlen aus, ohne auch nach der Resonanz von Schweizer Filmen im Ausland zu fragen. Das Imageproblem des Schweizer Films ist nämlich vor allem ein inländisches Phänomen. Jüngstes Beispiel: «Der Spatz im Kamin», die bitterböse Familienkomödie der Brüder Ramon und Silvan Zürcher. Seit der Premiere in Locarno absolvierte der Film eine beeindruckende Welttournee mit über einem Dutzend internationalen Festivals. Und in den Kinos der Deutschschweiz? Interesse dürftig, mit nicht einmal 3000 Eintritten.
Frei nach Gusto
Die neue Studie liefert nun auch Hinweise, die diese Diskrepanz erklären könnten. So investiert der Bund etwa gleich viel Geld in den Export von Schweizer Filmen wie in die Auswertung auf dem hiesigen Kinomarkt. Ein neues Pilotprojekt (Budget: 700 000 Franken) soll das jetzt ändern, denn andernorts, so zeigt die Studie, wird da klar priorisiert. In drei von vier europäischen Vergleichsländern ist die Förderung für die Auswertung im Inland um ein Vielfaches höher dotiert als diejenige für den Export ins Ausland. Was in der Schweiz erschwerend hinzukommt: Mit den verschiedenen Sprachregionen ist der hiesige Markt so stark fragmentiert wie in keinem der Länder, die in der Studie zur Filmförderung zum Vergleich herbeigezogen wurde, darunter Dänemark, Österreich und Deutschland.
Qualitätskontrolle
Wohin mit fauligen Witzen, um die jedes Dorftheater einen Bogen machen würde? Andreas Thiel hat aus solchen Witzen, Grimassen und Slapsticks einen Film zusammengepappt. Sein «Kalbermatten» erzählt von einem vertrottelten Dorf, das bauernschlau einen schwulen mafiösen Frauenförderungskommissär der Uno übers Ohr haut. Als libertärer Komödiant betont Thiel bei jeder Gelegenheit, in seinem neuen Film stecke kein einziger Förderfranken. Das Werk beweist allerdings eindrücklich, dass eine minimale Qualitätskontrolle durch Förderinstitutionen kaum schaden kann. Und das ist auch die einzige gute Pointe der ganzen Komödie. dj
«Kalbermatten». Regie: Marc Schippert. Drehbuch: Andreas Thiel. Schweiz 2024. Jetzt im Kino.
Abgesehen davon: Ob und wie weit sich eine Kulturförderung an den Bedürfnissen des Publikums zu orientieren habe, wäre ja auch erst zu diskutieren. Doch nicht nur die «NZZ am Sonntag» legte die Studie frei nach ihrem kulturpolitischen Gusto aus. Zwei Wochen zuvor hatte das Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider auch nicht anders gemacht. In einem Interview mit dem Branchenmagazin «Cinébulletin» wartete sie mit der erstaunlichen Aussage auf, dass die Schaffung eines nationalen Filminstituts kein «Hauptanliegen» mehr sei, was die Organisation der Filmförderung angehe. Was Baume-Schneider damit signalisierte: Sie selbst ist anscheinend nicht daran interessiert, die Filmförderung in der Schweiz nach europäischem Standard neu zu organisieren und aus der Bundesverwaltung auszulagern.
Reförmchen statt Reformen
Zwar vermeidet es die Studie, zu diesem Punkt eine klare Empfehlung abzugeben. Aber sie macht doch sehr deutlich: Eine Auslagerung in ein nationales Filminstitut nach dem Vorbild der Vergleichsländer würde die Förderung agiler, flexibler, weniger bürokratisch machen. Allerdings wäre eine so umfassende Transformation komplex und langwierig und damit auch: teuer. Angesichts des derzeitigen Sparkurses, den der Bundesrat sich selbst verordnet hat, ist es verständlich, dass Baume-Schneider sich auf einen solchen Umbau so wenig einlassen mag wie ihr Vorgänger im Departement, Alain Berset.
Wenn das BAK an den Solothurner Filmtagen die Förderkonzepte für die nächsten Jahre präsentieren wird, sind also kaum umfassende Reformen zu erwarten, sondern Reförmchen: am Status quo nachbessern, die bestehenden Instrumente weiterentwickeln. Je nachdem, wie weit sich das BAK dabei schon an den Empfehlungen der Studie orientiert, birgt das trotzdem Sprengstoff.
Die vielleicht interessanteste Zahl im Bericht rührt nämlich an ein Tabu in der Schweizer Filmbranche: 880 000 Euro. Das ist die durchschnittliche Summe an Bundesgeldern, die in die Herstellung eines Schweizer Spielfilms fliessen. In allen Vergleichsländern liegt diese Fördersumme pro Spielfilm deutlich höher, in Belgien ist sie sogar fast doppelt so hoch. Das heisst: Mit den Mitteln, die der Bund zur Verfügung stellt, fördert das BAK so viele Filme, dass für die einzelnen Projekte vergleichsweise wenig übrig bleibt – zu wenig Geld für zu viele Filme. Die Studie schlägt daher vor, die Fördermittel auf weniger Produktionen zu verteilen. Was sie nicht sagt: dass das zu einer Flurbereinigung in der Branche führen könnte.
Dass aber eine Filmförderung, die allein auf die Auswertung im Kino ausgerichtet ist, nicht mehr zeitgemäss sei, wie es in der Studie auch heisst: Das ist eine Erkenntnis, für die es nicht extra eine neue Studie gebraucht hätte. So postulierte der Interessenverband Swiss Fiction Movement schon im Herbst 2022, dass der Bund sich von der Fixierung auf das Kino verabschieden und die Filmförderung für neue audiovisuelle Formate und digitale Auswertungskanäle öffnen sollte. Um diesen Vorschlag so konkret wie möglich zu gestalten, hat das Swiss Fiction Movement damals nicht etwa ein Manifest geschrieben – sondern gleich eine eigenhändig revidierte Fassung der Filmverordnung des Bundes vorgelegt.
Mehr Formate bei weniger Geld?
Nun beabsichtigt der Bund tatsächlich, die Filmförderung auf audiovisuelle Formate abseits des Kinos auszuweiten, wie Nadine Adler Spiegel, die neue Koleiterin der Sektion Film beim BAK, durchblicken liess. So sollen, wie sie unlängst im «Blick» andeutete, künftig auch Serien oder Virtual-Reality-Formate gefördert werden. Beim Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz (FDS/ARF) sieht man das allerdings kritisch: «Bei sinkendem Bundesbudget die Förderung ausweiten? Das halten wir für unrealistisch», teilt die Geschäftsstelle auf Anfrage mit. Das ist ohnehin der Knackpunkt bei den Perspektiven für eine künftige Förderpolitik, wie sie die Studie skizziert: Von der Ausweitung auf andere Formate über die stärkere Gewichtung von Auswertung und Vermarktung bis zur Idee eines Filminstituts zeigt der Bericht vor allem, wo überall mehr zu investieren wäre.
Im Übrigen wartet die Studie auch mit teils bizarren Einschätzungen auf. So heisst es zum gesetzlichen Auftrag des Bundes, die Vielfalt des Filmangebots in der Schweiz zu stärken: Filme, die kein grosses Publikum fänden, «dienten lediglich einem Selbstzweck» und würden damit «das Ziel der Vielfaltsförderung» verfehlen. Eine Vielfalt für wenige ist gar keine? Wer so argumentiert, könnte allerdings auch die Förderung zum Beispiel des Rätoromanischen infrage stellen.