Österreich nach der Wahl: «Die FPÖ wird demütiger auftreten»

Nr. 40 –

Auch wenn die rechtsnationale FPÖ die österreichischen Wahlen verloren hat: Von einem Linksrutsch sei das Land weit entfernt, meint die Wiener Politologin Natascha Strobl. Dem Opportunisten Sebastian Kurz wiederum traut sie eine Koalition mit den Grünen durchaus zu.

Natascha Strobl, Politologin

WOZ: Frau Strobl, die Grünen waren bei dieser Wahl überraschend stark, die FPÖ überraschend schwach. Hat es in Österreich also einen leichten Linksrutsch und eine Abkehr von Rechts gegeben?
Natascha Strobl: Nein, denn seit Sebastian Kurz die ÖVP führt, gibt es einen deutlichen Rechtsrutsch in der Partei. Wenn die ÖVP dazugewinnt und die FPÖ verliert, dann ist das kein Linksruck. Wer die ÖVP wählt, wählt eine rechte Partei. Eine starke ÖVP in der Regierungsverantwortung ist vor allem eine sehr stark rechtsgerichtete ÖVP.

Die Stimmung der Wählerschaft ist also noch dieselbe wie vor zwei Jahren?
Das denke ich schon. Kurz hat es geschafft, die Politik der FPÖ ohne deren Skandale und das leicht Schmierige, das der FPÖ anhaftet, anzubieten. Aber die Politik gegen Flüchtlinge und Migranten, gegen Leute, die von Sozialhilfe abhängig sind, ist dieselbe wie bei der FPÖ – nur wird sie von Kurz bürgerlicher und manierlicher präsentiert. Zwar waren in diesem Wahlkampf Flüchtlinge nicht wie 2017 das bestimmende Thema, aber die ÖVP hat am Ende dann doch wieder dieses Thema hervorgeholt: ÖVP-Politiker haben wieder vor instabilen Aussengrenzen und angeblich unfairen Verteilungsschlüsseln für Flüchtlinge gewarnt. Und Kurz hat erneut damit geworben, dass es eine laute Stimme brauche, damit die Europäische Union keine Flüchtlinge hereinlasse – und dass er diese Stimme sei. Damit bläst er ins selbe Horn wie die FPÖ und wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Der ÖVP fehlen aber die «Nazieinzelfälle», wie sie die FPÖ regelmässig hervorbringt.
Absolut. Die ÖVP ist intern viel disziplinierter aufgestellt als die Freiheitlichen. Die FPÖ schafft es nicht, ihre Leute auf Linie zu bringen, und die schaden dann der Partei. Die FPÖ ist unverändert ein Sammelbecken für rechtsextreme Gruppen und Personen, aus dem die Skandale geradezu heraussprudeln. Die ÖVP hat Skandale anderer Natur: Es wurden Festplatten aus dem Bundeskanzleramt geschreddert, es gab Spendenlisten, die auf Ungenauigkeiten bei der Spendenhöhe hinwiesen, und Millionäre, die der Partei wohl nicht ganz zufällig genau so viel Geld überwiesen, dass es nicht dem Rechnungshof gemeldet werden musste.

Eine schwarz-grüne Regierung scheint derzeit wahrscheinlich. Die Grünen haben mit vierzehn Prozent auf spektakuläre Weise den Wiedereinzug ins Parlament geschafft. Könnte eine Koalition zwischen den zwei Gewinnern der Wahlen gut gehen?
Eine der Stärken von Kurz ist, dass er keine harten persönlichen Überzeugungen hat, sondern stets das macht, was gerade opportun ist. Als 2015 und 2017 ein harter Rechtskurs gepasst hat, ist er sehr gut auf dieser Welle geschwommen. Es ist ihm zuzutrauen, dass er jetzt auf der Klimaschutz- und Umweltbewegungswelle mitzusurfen versucht, auch wenn es natürlich unglaubwürdig wirken würde, wenn er erst den harten Mann mimt, um dann plötzlich mit den Grünen die Umwelt zu retten. Kurz kennt da aber keine ideologischen Bedenken. Für die Grünen ist es natürlich verlockend, sie haben sich mit wenig Geld mühsam zurückgekämpft und haben jetzt die Möglichkeit, auf Bundesebene in der Politik mitzumischen. Sie sollten sich allerdings bewusst machen, dass Kurz mit der ÖVP zwei Regierungen sehr schnell in die Luft gesprengt hat und dass beide Parteien, mit denen er koalierte, jetzt ziemlich schlecht dastehen.

Die SPÖ setzt mit den nun erreichten 21 Prozent ihren stetigen Niedergang weiter fort. Warum haben es die Sozialdemokraten nicht geschafft, von der Ibiza-Affäre zu profitieren?
Die SPÖ ist auf demselben Weg wie die griechische Sozialdemokratie, die Pasok, nämlich dem in die Versenkung. Sie waren mit dem Misstrauensvotum und auch zu Beginn des Wahlkampfs sehr mutig – und haben davon nichts mit in den Wahlkampf nehmen können. Sie haben keine Gründe geliefert, warum man sie wählen sollte. Auch mit Pamela Rendi-Wagner – der ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokratie – hat die Partei recht wenig gemacht. Die SPÖ braucht dringend strukturelle Veränderungen und Antworten auf die Fragen der Zeit: den Klimawandel und die Digitalisierung. Sie darf nicht nur herumlavieren. Wenn man sich jetzt anschaut, dass Christian Deutsch, der verantwortlich für diesen Wahlkampf war, nach der Niederlage zum Bundesgeschäftsführer befördert wurde, muss man sich schon fragen, ob die Partei die Zeichen der Zeit erkannt hat.

Ibiza-Video, Identitäre und Spesenskandal: Trotz alldem sagten Umfragen noch wenige Tage vor der Wahl voraus, dass die FPÖ mit der SPÖ um den zweiten Platz konkurriere. Was hat die FPÖ-Basis nun letztlich ernüchtert?
FPÖ-Wähler verzeihen vieles, vor allem wenn es um rechtsextreme «Einzelfälle» geht. Wenn sich die Parteigranden jedoch persönlich bereichern, wird ihnen das nicht verziehen. Nachdem jetzt herausgekommen ist, dass Exparteichef Heinz-Christian Strache als Vizekanzler neben seinem Gehalt noch weitere hohe Summen aus der FPÖ-Parteikasse erhalten hat – insgesamt sollen der Familie Strache rund 42 000 Euro monatlich zur Verfügung gestanden haben –, haben ihm das seine Anhänger nicht mehr verziehen. Alles andere konnte man sich schönreden, also etwa, dass Ibiza eine gemeine Falle war; überhaupt kann man sich in der FPÖ Rechtsextremismus immer schönreden. Aber so viel Gier war für die Wähler nicht mehr hinzunehmen. Sie sind daheim geblieben oder haben die ÖVP gewählt.

FPÖ-Chef Norbert Hofer sagte, der Wahlausgang sei «kein Auftrag zu einem progressiven Eintritt in Koalitionsgespräche». Strache hat nun sogar seinen Rückzug aus der Politik angekündigt und wurde zudem von der Partei suspendiert. Wird die FPÖ nun gemässigter auftreten?
Inhaltlich nicht, denn schon seit Jahrzehnten fahren sie mit ihrem rechten Kurs sehr gut. Seit Jörg Haider wurde dieser Kurs auch prototypisch für rechte Parteien in ganz Europa. Aber sie werden es demütiger angehen, was die Personen an der Front angeht.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat nach Ibiza-Gate gesagt: «So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.» Aber nach diesem Ergebnis muss man doch sagen: Sechzehn Prozent der Wählerinnen und Wähler sind tatsächlich so. Oder etwa nicht?
Nicht nur sechzehn Prozent! Wenn man sich inhaltlich anschaut, was da von Strache in Aussicht gestellt wurde – nämlich dass Einfluss und Politik käuflich sind –, dann findet man das nicht nur in der FPÖ. Wenn wir uns ansehen, wer die Spender der ÖVP sind, dann sehen wir sehr deutlich, dass Interessen bedient worden sind. Sebastian Kurz hat etwa einen Zwölfstundentag ermöglicht, was natürlich gut für Industrielle ist. Überhaupt wurden die Arbeitnehmerinteressen deutlich benachteiligt gegenüber denjenigen der Arbeitgeber.

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl lebt in Wien und forscht zum Rechtsextremismus. Sie ist Autorin des Buchs «Die Identitären. Ein Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa» (2014). Auf Twitter liefert sie unter #NatsAnalyse Echtzeitanalysen rechter Rhetorik.