SVP: Das Hässliche verschwindet nicht
Die SVP wird die Wahlen am Sonntag voraussichtlich verlieren. Doch wer schon das Ende des Schweizer Populismus zu erahnen meint, freut sich zu früh. Unterwegs mit einer Partei im Formtief.

Nach seinem Auftritt hat sich Christoph Blocher ins Stübli zurückgezogen. Mit ihm am Tisch sitzen zwei junge Bewunderer, Journalisten der «Weltwoche» und des «Schweizer Monats». Blocher bestellt einen Schlorzifladen, schaufelt Kuchenstücke in den zitternden Mund. Schiebt den Unterkiefer hin und her. Fragt die Reporterin auf seine betont grossväterliche Art: «Was wennd Sie jetzt wüsse?»
Es ist ein Abend Anfang September. Draussen hängen Wolkenfetzen in den Hügeln. Drinnen im «Haus der Freiheit» ist die Stimmung ungetrübt. Toni Brunner hat in sein Toggenburger Gasthaus geladen, um die 600. Folge von Blochers Websendung «Teleblocher» zu feiern. Und alle sind gekommen. Tragen Sakkos, schlürfen Weisswein, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Roger Schawinski ist da, NZZ-Chefredaktor Eric Gujer, Journalismusprofessor Vinzenz Wyss, Peoplejournalistin Hildegard Schwaninger. Der halbe Zürcher JournalistInnenkuchen, PR-BeraterInnen, ein ehemaliger Economiesuisse-Chef. Etwa sechzig Personen.
Brunner liest bei seiner Begrüssungsrede die ganze Gästeliste herunter. Ruft: «Was für eine illustre Runde!» Sein Publikum klatscht, lacht über jeden seiner gut platzierten Scherze. Gut anderthalb Monate vor den Wahlen herrscht in Ebnat-Kappel das grosse Kuscheln. Und man erinnert sich wieder daran, wie gesellschaftsfähig der Rechtspopulismus in der Schweiz mittlerweile ist. Wie normal. Wie sehr sich die bürgerliche Mitte bei den Rechten anschmiegt.
Auf der Bühne hat Blocher eben ausschweifend in Erinnerungen an seinen Kampf gegen den EWR geschwelgt. Nun tut er das, was ihn zum erfolgreichsten Schweizer Populisten macht: Er scherzt, relativiert, poltert. «Wahlen?», fragt Blocher. «Haben mich doch noch nie interessiert. Verlieren wir halt zwei, drei Prozent. Hauptsache, wir sind nicht gekippt.» Klar, sagt Blocher, seien in der SVP ein paar nervös geworden. «Aber denen habe ich gesagt: ‹Wir müssen fest bleiben›.»
Schlechte Prognosen weglächeln
Fest bleiben. Im Frühling scheint das noch die schlechteste Strategie für die SVP. Zwanzig Jahre lang dominierte der Krach der «Volkspartei» die Politik. Dieses Wahljahr aber hat mit massiven Klimaprotesten begonnen. Der Frauenstreik steht kurz bevor. Die progressive Schweiz bestimmt die Debatte. Der SVP-Wahlauftakt Anfang März in Aarwangen im Kanton Bern ist eine triste Sache. Das SVP-Sünneli torkelt über den Vorplatz der Bäckerei Nyfeler. Eine Handvoll JournalistInnen lauschen der missmutigen Ansprache von Parteipräsident Albert Rösti, der den Mythos einer heilen Dörflichkeit beschwört, in der alles noch am richtigen Platz ist. «Wir erleben eine Verluderung der Politik», sagt Rösti. Wegen des Wohlstands. Die Linken hätten vergessen, woher das Geld komme. Ganz im Gegensatz zu Bäckermeister Nyfeler, der noch wisse, was ‹chrampfen› bedeute.
Wahlkampfleiter Adrian Amstutz betritt die Bühne, hinter sich vier Plexiglaszylinder, gefüllt mit Styroporteilchen. Das soll die Bevölkerungszunahme der letzten Jahre illustrieren. Die Zuwanderung. Die SVP verteidige als einzige Partei «das schöne Erbe unserer Vorfahren». Nach dem Anlass lächelt Rösti die schlechten Prognosen weg. Jeder Wahlkampf sei schwierig, sagt er, die SVP auch 2015 schlecht gestartet. Nur weil jetzt ein anderes Thema in sei, werde man sicher nicht den Kern der eigenen Politik verraten, sondern weiterhin «gradlinig für Freiheit kämpfen».
Innerhalb der SVP aber sehen das manche anders. Die vielen Niederlagen: Sie machen den Parteifrieden brüchig. Begonnen hatte die Baisse der SVP mit dem deutlichen Nein zu ihrer «Durchsetzungsinitiative» im Februar 2016. Es war der Moment, als die Gegnerschaft der Partei plötzlich bereit schien. Seither hat die SVP sämtliche Abstimmungen verloren – und auch in den Kantonen Niederlagen eingefahren. Am drastischsten ist der Einbruch im Wahljahr ausgerechnet in den Stammlanden des Kantons Zürich, wo die Partei Ende März 5,6 Prozent Wählerprozente und neun Kantonsratssitze verliert.
Kritik vom gemässigten Flügel
Sommersession in Bern, vor dem Ständeratssaal sitzt der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann auf einer Bank und übt Kritik. Germann zählt zum verschwindenden gemässigten Flügel der ehemaligen Bauernpartei. Über die Strukturen in der SVP sagt er: «Früher hatten die Kantonalparteien das Sagen, heute kommen alle Entscheide aus dem engsten Führungszirkel. Eine Art von Befehlsausgabe aus Bern, das kommt auch bei unserer Basis nicht mehr gut an.» Für den grössten Fehler seiner Partei hält er ihre Radikalisierung nach Blochers Abwahl im Jahr 2007, die manche bis heute nicht verkraftet hätten. «Die Abwahl war ein harter Schlag für uns – aber nachher einfach eine ganze Kantonalsektion rauszuschmeissen, war falsch. Man hat damals die Partei um jenen gemässigten Flügel gestutzt, der uns bis in die politische Mitte wählbar gemacht hat. Das rächt sich nun.»
Als Milliardär das Volk gegen die Elite aufhetzen, im Bundeshaus die Demokratie verhöhnen, als deren Verfechter man sich zugleich aufspielt: Keiner schafft diesen populistischen Spagat so gut wie Blocher, das Alphatier des Schweizer Rechtspopulismus, der sich 2018 offiziell aus der Parteileitung zurückgezogen hat.
Heute fehle der Partei das richtige Personal für ihre Strategie, sagt Germann. «Blocher lief und sprach wenigstens wie ein Bauer oder Gewerbler, er war authentisch.» Der ehemalige Parteipräsident Toni Brunner – der sich Ende 2018 aus der Politik zurückzog – «schönte vieles mit Charisma und jovialem Schulterklopfen». Mit dem nüchternen Parteipräsidenten Rösti und der Entourage aus der Finanzwelt hingegen sei das alles nicht mehr so einfach. Mit Blick auf die Dominanz der finanzkräftigen Zürcher müsse man in der Parteileitung aufpassen, «dass sich die Wähler nicht fragen: Sind das wirklich noch die Meinen?»
SVP-Nationalrat Markus Hausammann sagt: «Sandra Sollberger und Marcel Dettling sitzen doch nur in der Parteileitung, um die Büezer und Bauern im Boot zu halten.» Sie seien – wie Thomas Aeschi damals – so schnell aufgestiegen, weil sie «wenig kritisch nahe an der Parteiideologie politisieren». Der Rest der Parteileitung wiederum, die Matters und Martullos, brächten Geld und Einfluss. Hausammann tritt bei den Wahlen nicht mehr an. Nach zwei Legislaturen in Bern ohne Mitgliedschaft in einer Sachbereichskommission stimmten Aufwand und Ertrag nicht überein. Wer sich wie er ins Klein-Klein der Parlamentsarbeit reingebe, werde nicht belohnt. «Deine Haltung wird dann nuancenreicher, das ist nicht gefragt.»
Andere üben leisere Kritik. Einer, der anonym bleiben will, sagt zu Hausammanns Analyse bloss: «Man muss nur genau hinschauen, dann sieht man alles.» Der Schwyzer Nationalrat Pirmin Schwander wirft seiner Partei Bequemlichkeit vor. Man habe sich in den letzten Jahren zu sehr auf die Parteispitze verlassen, statt in den Kantonen zu mobilisieren. «Die SVP hat zudem dringliche gesellschaftspolitische Debatten verpasst. Sie hat etwa auf familienpolitische Fragen keine Antworten.»
Köppel, der Brandstifter
Zollikon, Mitte April. In der Aula des Primarschulhauses tritt Roger Köppel auf, Blochers entgleister Ziehsohn. Der Getriebene. Der «Weltwoche»-Besitzer hält in diesem Wahljahr in allen 162 Gemeinden des Kantons Zürich einen Vortrag. Köppel will in den Ständerat. Dass ihm das nicht gelingen wird, liegt an seinem Eifer. Köppel ist quasi die pervertierte Zuspitzung des gemütlichen Schweizer Rechtspopulismus. In Zollikon lässt er sich erst über die Fake News der Medien aus. Darüber, dass man ihn völlig «verzerrt» darstelle, wenn man ihm vorwerfe, er leugne den Klimawandel. Nur um kurz darauf den Klimawandel zu leugnen. «Es gibt bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis, meine Damen und Herren, dass der menschengemachte CO2-Ausstoss massgeblich das Klima beeinflusst.» Köppel schürzt die Lippen, verspannt seinen Kiefer, wirkt verbissen.
Vielleicht hat Köppel einfach das Pech, dass er den SchweizerInnen, die sich ja partout anders fühlen wollen als jene Antidemokraten, die gerade überall auf der Welt aufsteigen, den Spiegel vorhält, weil er Leuten wie Donald Trump oder Boris Johnson offensichtlich immer ähnlicher wird. In Zollikon jedenfalls löst er im Publikum Ambivalenzen aus. Eine Frau fragt: «Das mit dem Rahmenabkommen erklären Sie so gut, warum müssen Sie beim Thema Klima so hässlich werden? So grobschlächtig?» Nach dem Vortrag sagt eine andere draussen in der Lobby zu ihrer Bekannten: «Für sensible Gemüter ist seine Rhetorik etwas hart, aber er hat schon recht mit dem, was er sagt.»
Vielleicht irritiert das in Zollikon am meisten: dass da so eine Art Sehnsucht ist, abgeholt zu werden. Weil sich die Reichen vom Zürichberg nicht schlecht fühlen wollen, wenn sie mit ihren SUVs aus den Garagen ihrer Villen fahren oder die «Überfremdung» ihrer Sauberschweiz fürchten.
Und dann gibt es da noch Orte wie Bäretswil im Zürcher Oberland, wo Köppel im Gasthaus Ochsen reine Bewunderung erntet von einem dumpf-tumben Publikum. Alte, bierschlürfende Männer. Frauen mit schlechten Frisuren. Die lokale SVP-Sektion. Hier tritt Köppel primitiver auf. Brandstiftender. Spricht davon, dass schon die Dinosaurier unter tropischen Bedingungen gelebt hätten. Sagt, wer Flüchtlinge in die Sozialhilfe einreisen lasse, sei selber schuld, wenn es nachher zu Rassismus, Aggressivität und Unfrieden komme. Es ist die Welt, die die SVP mit der Bewirtschaftung von Ressentiments und Abstiegsängsten miterschaffen hat. Die Welt, die sich Ende August auch in Sattel SZ trifft: zur Delegiertenversammlung der Partei mitten in der Hochphase des Wahlkampfs.
Die FDP hat mittlerweile auf einen «Klimakurs» umgeschwenkt, was sie bei den Wahlen gemäss aktuellen Umfragen entscheidend Stimmen kosten wird. Die SVP hingegen hat gerade das Apfelplakat lanciert: Maden und Würmer, die einen glänzenden Apfel mit Schweizer Kreuz zerfressen. Dazu der Slogan: «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?» Im Eingangsbereich des riesigen Festzelts kann man sich mit «unverseuchten» Äpfeln eindecken. Es gibt auch einen Stand mit SVP-Paninibildern. Ein Bub sagt: «Jetzt fehlt mir nur noch Guy Parmelin.» Während sich der Wahlkampf um ganz andere Dinge drehte, hat sich die SVP noch weiter hochgeschraubt.
Auftritt des Messias
Nach Christoph Blochers Rede brandet in Sattel frenetischer Applaus auf. Das Publikum macht die Welle für den Chefideologen. Ein Moment der Ekstase, des wiedergefundenen Seelenheils. Blocher hat über die Schlacht am Morgarten gesprochen, er hat sich lustig gemacht über die Historiker, die sowieso alles bestritten, was die Schweiz ausmache. Er ist über die «selbstsüchtige linke Politikelite» hergezogen. Über die Netten, die anständige Dinge sagten, um unanständige Dinge zu tun: «gefrässige, machthungrige Raupen und Maden, die die Schweiz aushöhlen wollen wie einen gesunden Apfel». Er hat das Volk zu einer Einheit stilisiert, die sich früher wie heute gegen eine Übermacht von Feinden wehren müsse. Feinde, die heute nicht mehr mit Waffen und Ritterrüstungen kämen, sondern mit wohlfeilen Verträgen, die keiner verstehe, die aber «die Volksrechte der freien Schweizer im Visier haben».
Blocher sagt das alles im Gestus eines harmlosen Polteri, der bloss den gesunden Menschenverstand benutzt. Es ist der Grund für seine Popularität: dass er Rassismus in Wehrhaftigkeit kleidet, Hetze in legitime Verteidigung. Nach seinem Auftritt sagt Blocher: «Es musste ein richtiger Schock her!» Die Strategie der anderen sei ja gewesen, die SVP im Wahljahr einfach totzuschweigen. Wessen Idee das Plakat war, wisse er nicht mehr, kokettiert er. «Aber es hat geklappt! Ich dachte ja, die Gegner seien klüger, aber sie waren dümmer.»
Aarberg im Kanton Bern, Sporthalle Aarfit, nur noch zwei Wochen bis zu den Wahlen. Das, was die SVP als «grossen Mobilisierungsanlass» angekündigt hat, ist die trostloseste Veranstaltung, die man sich vorstellen kann. An den Festbänken der halb leeren Halle mampft eine träge Gesellschaft Braten und Kartoffelstock. Auf der Bühne spielt die lokale Blasmusikkapelle. Das Highlight ist der Auftritt von Schlangenfrau Nina Burri, die sich erst im roten Varietékostüm, dann in einem hautengen Leopardenanzug zeigt. Die Männer im Publikum stieren ihre Jugend an und ihren Po, nach der Show wollen sie alle ein Foto mit Burri.
Bei den letzten Wahlen 2015 hat die SVP mit gut 29 Prozent ein Rekordergebnis erzielt. Am kommenden Wahlsonntag wird die Partei wohl um ein paar Prozentpunkte zurückgestutzt werden. Sie wird verlieren, weil das Momentum nicht auf ihrer Seite ist: keine «Flüchtlingsströme» auf dem Weg nach Europa, auch die EU zieht gerade nicht als Wahlkampfthema. Die SVP wird auch deshalb verlieren, weil die Partei Abnutzungserscheinungen zeigt, weil die Geschlossenheit bröckelt und die Identifikationsfiguren fehlen. In Aarberg wird jedoch auch klar: Für einen Abgesang auf den Schweizer Rechtspopulismus ist es einmal mehr zu früh.
Die SVP habe als Einzige begriffen, dass man genug fürs Klima mache, sagt in Aarberg ein Mann, der früher im Ölheizungsbusiness tätig war. «Wir machten damals beim CO2-Ausstoss enorme Fortschritte, das will heute bloss niemand sehen.» Ein anderer sagt, sein ganzes Umfeld bleibe der SVP treu, «weil keine andere Partei für die Unabhängigkeit der Schweiz einsteht». Sie sind kein Gradmesser. Aber Repräsentanten dieses einen Drittels, das gemäss Forschung in jeder Gesellschaft für rechte Stimmungsmache empfänglich ist, solange ihnen eine Partei dieses Angebot macht.
Christoph Blocher sagt in Ebnat-Kappel: «Ich habe die SVP mit einem Stimmenanteil von zehn Prozent übernommen. Seit ich die Partei gekehrt habe, ist sie auf fast dreissig Prozent angewachsen.» Dass man irgendwann nicht mehr weiterwachse, sei nur natürlich, «das stört mich gar nicht». Parteipräsident Rösti? Der mache sich langsam. «Früher war er zu sehr auf Harmonie aus, wie alle Berner. Ich habe ihm gesagt: ‹Du bist kein Regierungsrat, du musst den Leuten entgegentreten.›» Und die parteiinternen Kritiker? «Was sind denn das für Schwächlinge?!», ruft Blocher. «Die sollen doch einfach kommen und etwas sagen.»