Blocher abgewählt: Die eigene Lüge glauben
Damit hatte niemand gerechnet. Selbst Christoph Mörgeli musste zugeben: «Das haben die verdammt gut eingefädelt.» O-Töne aus dem Bundeshaus am Tag des Aufstands.
Sie kam um 12.54 Uhr an. Und sie lehnte die Wahl in einer ersten Reaktion schon mal nicht ab. Im zweiten Wahlgang hat die Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf 125 von 242 gültigen Stimmen erhalten, zehn mehr als Blocher. Die Sprengkandidatin der SVP, aufgestellt von SP, Grünen und CVP, hat die Wahl, zu der sie nicht angetreten war, gewonnen. Der SP ist dies in den letzten fünfzig Jahren dreimal passiert: Die Bürgerlichen wählten andere SP-Kandidaten anstelle der vorgeschlagenen. Auf den ersten Blick erscheint die Wahl als totales Debakel für die Erpressungs-Personalisierungs-Politik der Zürcher SVP. Bestätigt wurden vorher und nachher: alle sechs anderen BundesrätInnen. Blocher könnte es aber doch noch in die Regierung schaffen: wenn Widmer-Schlumpf die Wahl zur Bundesrätin ausschlägt. Fakt ist: Der andere gewählte SVP-Bundesrat Samuel Schmid erschien zur Vereidigung. SVP-Parteipräsident Ueli Maurer sagte darauf: «Samuel Schmid ist ab sofort ein Bundesrat ohne Fraktion.»
«Ein fünf Minuten langer Orgasmus»
Noch am frühen Mittwochmorgen (vor allem nach der dürftigen CVP-Ankündigung vom Dienstag) waren sich in Bern bis auf ein paar wenige ParteistrategInnen, die schon am Vorabend die geheime Widmer-Schlumpf-Strategie kannten und rechneten, alle sicher, dass Blocher wiedergewählt wird. Ueli Maurer stellt die Abwahl Blochers als Win-win-Situation dar: «Entweder sind wir in der Opposition oder mit Blocher in der Regierung. Für die Partei ist die-se Wahl eine gute Situation.» War-um dann die Empörung? «Frau Widmer-Schlumpf kann machen, was sie will. Wenn sie die Wahl annimmt, gehört sie nicht mehr zur SVP, dann ist sie eine Bundesrätin ohne Fraktion.» Weg von den Kameras sah das alles ein bisschen anders aus: Fast schon panisch beriet sich ein verstörter Maurer mit SVP-Generalsekretär Gregor Rutz: Wir müssen sie erreichen! Warum nimmt sie das Handy nicht ab? Was nun? Irritation auch bei SVP-Chefstratege Christoph Mörgeli, laut und deutlich am Telefon mit «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel: «Das haben die verdammt gut eingefädelt. Verdammt. Da hatten wohl einige einen fünf Minuten langen Orgasmus ...» Gegenüber der WOZ redet Mörgeli später vom «fünfminütigen Höhenrausch der CVP»: «Alle leiden am Anti-Blocher-Syndrom. Nur wir haben geschlossen Blocher gewählt.» Sicher? «Ja, ich bin sicher. Selbst jene bei uns, die Blocher nicht wollen, wollen noch weniger eine Opposition.» Und die steht an? «Diese Wahl ist eine Rache der Verlierer, der Verletzten in den Reihen der CVP und der FDP. Wir treten nun aus der Regierung aus und bekämpfen alle Vorlagen, die nicht unserem Gedankengut entsprechen. Dass die Partei jemand Passenderen vorschlägt, ist undenkbar. Falls doch, gründen wir eine eigene Partei.»
Das findet FDP-Präsident Fulvio Pelli eine gute Idee: «Herr Mörgeli sollte tatsächlich eine eigene Partei gründen, denn die Gründe dieser Abwahl liegen bei ihm, nicht bei uns. Wir haben fast geschlossen Blocher gewählt. Da kann Mörgeli sagen, was er will. Die SVP war nicht fähig, auf Konsens zu arbeiten, sie ist nach wie vor eine Oppositionspartei, sie will nicht mit den anderen Parteien zusammenarbeiten, sie provoziert und verhöhnt ständig. Die Abwahl ist keine gute Situation, so geht es für die Schweiz nicht vorwärts. Aber Blocher ist ersetzbar, denn Blocher ist eine Person und nicht Gott. Für die SVP ist diese Abwahl auch eine Chance. Sie sollte sich den Schritt in die Opposition gut überlegen, denn sie stellt nach wie vor zwei Bundesräte.» Kommt jetzt ein SVP-Referendum nach dem anderen? «Bis jetzt haben sie das genauso gemacht, auch als Regierungspartei.»
Hansjörg Walter, SVP Thurgau: «Der Schritt in die Opposition entspräche nicht der Thurgauer SVP.» Peter Spuhler, SVP Thurgau: «Das ist ein Angriff auf unsere Politik. Blocher ist derjenige, der diese am besten durchsetzen kann. Wenn man uns schwächen will, muss man ihn abwählen. Was nun droht? Eigentlich nichts. Die Frage ist aber, welche Politik dieses Land bekommt. Höhere Steuern? Mehr Arbeitslosigkeit? Man kann auch in die falsche Richtung vorwärtsmachen. Der Gang in die Opposition ist ein vorliegender Fraktionsbeschluss, den kann man jetzt nicht kippen. Aber ich gestehe, ich habe nicht mit der Abwahl gerechnet. Kaum jemand hat das.»
CVP-Präsident Christophe Darbellay: «Ich bin sicher, dass viele SVPler mit ihren beiden Bundesräten in der Regierung bleiben wollen. Die Bauern, denen die Agrarpolitik so wichtig ist, die Wirtschaftskreise, die die Bilateralen brauchen. Die SVP hat uns erheblich unter Druck gesetzt. Sie ist viel zu weit gegangen. Jetzt hat die Demokratie ihr eine Abfuhr erteilt.»
Daniel Vischer, Grüne: «Das ist eine historische Abwahl. Und ich glaube bei allen Bedenken, dass es bei der SVP einige gibt, die diese Wahl als persönlichen Denkzettel für Blocher betrachten.»
Philipp Stähelin, CVP: «Die Abwahl von Blocher ist kein Angriff auf die Konkordanz, nur die Grünen wollten mit einem eigenen Kandidaten die Konkordanz attackieren.» (Dieser, Luc Recordon, hat sich übrigens direkt vor der Wahl Blochers «zugunsten einer aussichtsreicheren Kandidatin» zurückgezogen). SP-Präsident Hans-Jürg Fehr: «Das ist ein toller Sieg, eine klare Wahlniederlage für den Kurs der SVP unter Christoph Blocher. Das Ergebnis zeigt, dass wir eine Parteienkonkordanz haben, aber keine Personenkonkordanz. Wir hoffen und wünschen uns, dass Eveline Widmer-Schlumpf die Wahl annimmt.»
Die Königsmörderin
Fakt: Ungeheuerlicher Druck auf Widmer-Schlumpf. Lehnt sie ab, kann Christoph Blocher noch immer gewählt werden. Und zwar am Erscheinungstag dieser WOZ. Nimmt Widmer-Schlumpf den Entscheid der Parlamentsmehrheit und die Wahl zur SVP-Bundesrätin an, gilt sie in der SVP als Königsmörderin, und dann droht der SVP eine Spaltung. Doch was dann? Strassenschlachten? Vier Jahre Stillstand? Dauerreferendumsfeuerwerk? Oder Blocher bald vergessen? Christoph Blocher hat jene siebzig Prozent, die ihn nicht gewählt haben, für dumm verkauft, hat sie belächelt, als böse und ignorant und unfähig und intolerant und schädlich für das Land hingestellt. Er predigte Toleranz und wollte Diktatur. Diesen Eindruck hat offenbar eine Parlamentsmehrheit in den vier Jahren seiner Regierungszeit bekommen. Die Chancen stehen gut, dass in der Schweiz ohne einen Blocher in der Regierung ein weniger vergiftetes Klima herrscht. Gift speien würde die SVP weiter. Fest an die eigene Lüge glaubend, würden Mörgeli und Co. nicht müde werden, die demokratische Abwahl Blochers als grosses, verschwörerisches Unrecht darzustellen, und sich legitimiert fühlen, den totalen Stillstand herbeizuführen. Doch ob das die Partei überlebt? Ob sie das will (ausser Mörgeli)? Ein Journalist eines grossen Zürcher Medienhauses fragte sanft verwirrt: «Gibt es jetzt Bürgerkrieg?» Ein Journalist eines SVPnahen Zürcher Medienhauses sagte: «Etwas pikiert bin ich schon. Jetzt wird sicher die CVP niedergemacht.»
Panik? Freude? Beides? Ein chinesisches Sprichwort sagt: «Du sollst in interessanten Zeiten leben!» Willkommen! Jetzt bloss nicht die Nerven verlieren. Es ist allein schon eine Sensation und ein heftiger Denkzettel für die SVP, dass am Erscheinungstag dieser WOZ noch alles unklar ist.
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