Auf allen Kanälen: Gerissen inszeniert

Nr. 44 –

Sie sind immer häufiger und besser kaschiert: Native Ads, Werbetexte, die wie journalistische Inhalte daherkommen. Damit verspielt der Journalismus sein Kapital.

Klimadebatte? Fleischindustrie? Dazu braucht es nicht immer nur Analysen aus der Ferne. Die «NZZ am Sonntag» besuchte einen direkt Betroffenen, den Bauern Adrian Ineichen: «Wir behandeln die Tiere mit grossem Respekt und Würde», erzählt er. Für das «Wohlergehen der Vierbeiner» scheue er keine … Doch stopp! Wohlergehen der herzigen Vierbeiner? Ach so, oben auf der entsprechenden Zeitungsseite steht «Sponsored Content». Kommt daher wie Journalismus, ist aber keiner. Geschrieben im Storytelling-Sound, hat dieses Kunstwerk nur eine Message: Es ist total in Ordnung, wenn du Fleisch isst, es ist sogar sehr wichtig, dass du Fleisch isst! Bezahlt wurde die Seite, wie oben am Rand vermerkt ist, von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft.

Gesponserter Inhalt, gern auch «Native Advertising» genannt, oder einfach: Werbung, die wie ein redaktioneller Beitrag aussehen soll. Es ist ein Phänomen, das in der Schweizer Medienlandschaft mittlerweile verbreitet ist. Auch Tamedia hat speziellen Gefallen an Native Ads gefunden und zu diesem Zweck eigens die Abteilung Commercial Publishing aufgebaut, geleitet von einem früheren Journalisten. So prangt im «Tages-Anzeiger» vom letzten Freitag neben einem Wirtschaftsartikel ein Bild von Robin Hood, dazu ein Text von Mark van Huisseling unter der Schlagzeile «Gutes tun und dabei gutes Geld verdienen – das geht». Die Botschaft: Auch KapitalistInnen können sich um die Umwelt bemühen, indem sie nämlich in «nachhaltige oder ökologisch korrekte Anlagen» investieren.

Schnauze voll!

Auch dieser Beitrag ist im Seitenkopf als gesponserter Beitrag markiert, finanziert durch die Vermögensverwaltung Genève Invest. Und doch ist er gerissen in Szene gesetzt. Nicht nur, dass der Text im gängigen «Tagi»-Layout gestaltet ist; auch der Autor wird nicht als Werber deklariert: Mark van Huisseling ist tatsächlich Journalist, und in der Spalte neben dem Artikel findet sich ein Kommentar samt Foto, auf dem uns van Huisseling sehr seriös entgegenblickt. Dazu eine Kurzbeschreibung des Autors: «Ist selbstständiger Journalist, Autor und Anleger.»

Schluss mit solcher Tarnwerbung! Das sagten sich 128 bei Tamedia angestellte Redaktorinnen und Produktionsmitarbeiter («Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» und Tamedia-Mantelredaktion). Ende September schrieben sie einen Protestbrief an Tamedia-Verwaltungsratspräsident Pietro Supino, in dem sie forderten, dass Tamedia kein Native Advertising mehr betreiben solle. Adressat Supino also, der im Tamedia-Geschäftsbericht vom letzten Jahr Folgendes schrieb: «Fehlerfreiheit, Wahrheit im Sinne der Vollständigkeit, Transparenz insbesondere über die eigenen Interessen sowie Fairness gegenüber von der Berichterstattung betroffenen Personen und Institutionen sind die grundlegenden Qualitätsmerkmale des professionellen journalistischen Handwerks.» Gut, so ein Geschäftsbericht hat viele Seiten, da kann man schon mal vergessen, was man ein Jahr zuvor geschrieben hat. Aber: Transparenz, Herr Supino? Geht es bei Native Ads nicht gerade darum zu verschleiern, dass es sich dabei um Werbung handelt?

Diskussion verschoben

Nein, findet der Chef. Den Vorwurf der Täuschungsabsicht weist Supino von sich, das Format sei «eindeutig als kommerzielle Botschaft erkennbar», wie er gegenüber dem Branchenmagazin «Klein Report» sagte. Und er kam gleich richtig in Fahrt, schwärmte, dass die Umsetzung von Native Advertising bei Tamedia vorbildlich sei – viel besser als bei der NZZ. Die Journalistin Andrea Fischer, die in der Personalkommission der Tamedia-Mantelredaktion sitzt, schreibt auf Anfrage, dass man sich mit den Erklärungen der Chefetage nicht zufriedengebe. Dass die Unternehmensleitung zu einem Austausch bereit sei, hätten die Protestierenden erst aus dem Artikel im «Klein Report» erfahren. Und was ergaben die Diskussionen? Die seien verschoben worden.

Die grossen Schweizer Verlagshäuser versuchen, durch Native Advertising die wegbrechenden Werbeeinnahmen zu kompensieren – um dadurch journalistische Inhalte zu finanzieren. Was dabei verdrängt wird: Wer mit der Vermischung von redaktionellen Inhalten und Werbung liebäugelt, der setzt dabei das grösste Kapital des Journalismus aufs Spiel: die Glaubwürdigkeit.