Erwachet!: Aus dem Silicon Valley

Nr. 44 –

Michelle Steinbeck bei den Robotern

«Wer ist gestern mitten in der Nacht aufgewacht und hat aufs Smartphone geschaut?» Die Hände im Saal gehen hoch. Meine auch. Um 3 und um 5 Uhr habe ich Mails und Facebook gecheckt. Nun bin ich an einer Veranstaltung zum Thema «Zukunft der Roboter». Gerade geht es um unser schizophrenes Verhältnis zur Technologie: Einerseits lieben wir unser Smartphone über alles, andererseits gruseln wir uns mit dystopischen Vorstellungen, wie Tech unser Leben übernimmt.

Auf dem Podium sitzen grosse Fische aus dem Silicon Valley: ein Roboterentwickler, eine ehemalige Vize-CEO von Google und die Gründerin des Techmagazins «Wired». Für Cracks ist das Gespräch nicht interessant genug, ein paar Softwareentwickler verlassen bald den Raum. Die Geständnisse reumütiger Ex-CEOs langweilen sie: «Als ich bei Google angefangen hatte, dachte ich, alle in der Techbranche wollten die Welt verbessern. Stattdessen ging es nur darum, die Leute zu manipulieren.» Auch die Probleme, die sich aus der fehlenden Diversität von DesignerInnen im Silicon Valley ergeben, kratzen sie nicht gross; sie gehören ja dazu. Für mich als angehende Science-Fiction-Autorin ist das Geplauder aus dem Technähkästchen sehr interessant: vor allem, als sie beginnen, von ihren Traumrobotern zu erzählen.

Die ehemalige Google-Frau hat bereits eine Bot-Sekretärin: «Clara». Die schreibt selbstständig E-Mails und macht Termine, aber nicht nur das: «Sie ist so pfiffig, die Leute lieben sie. Siri oder Alexa werden angeschrien. Ich bedanke mich bei Clara; sie ist so erfrischend höflich.» Nun wünscht sie sich einen «Memory-Bot» – er sammelt dir die schönsten Momente deines Lebens. Der Mann träumt von einem «Chat-Bot», um mit den Toten zu reden. Der würde mit den ganzen Mailverläufen, die die tote Person je geschrieben hat, gefüttert. Die «Wired»-Frau sieht einen «Care Robo», der mit einsamen SeniorInnen lebt. Alternativ dazu: der «Teddy-Bot», der auf Kinder aufpasst. Welche Erziehungsmethode die Teenager-Nerds im Silicon Valley dafür wohl entwickeln würden?

Der Robotermacher relativiert all diese Fantasien: «Roboter können noch gar nichts», sagt er abfällig, «nicht mal ein Glas Wasser halten.» Er mimt eine mechanische Hand, die ein Glas fallen lässt, und alle auf dem Podium lachen. Ich denke, das sollte er im Labor lieber lassen; seine Roboter planen bestimmt schon den Aufstand gegen den überheblichen «human». Er beschreibt, was anstelle von menschenähnlichen R2-D2s, die in einem tödlichen Racheakt Gläser über seinem Kopf zerdeppern, realistisch ist: tragbare Westen, die uns einen sechsten Sinn geben sollen. An diesen werde bereits gearbeitet. In Zukunft werden alle eine solche tragen. Und es wird eine Katastrophe sein, wenn sie uns weggenommen würde.

Das Ganze endet ziemlich albern. Die «Wired»-Frau zieht unvermittelt das Smartphone hervor, um Selfies mit dem Publikum zu machen. Darauf beginnen auch die anderen, wild zu fotografieren. Was als ironisches Spiel beginnt, verläuft sich in die bekannte Bahn: Die Gesichter hinter den Bildschirmen werden schlaff, die Augen glasig. Das Publikum langweilt sich und geht auf Instagram. Irgendwann tönt die letzte verzweifelte Weisheit von der Bühne: «Stellt eure Handys aus, und erinnert euch daran, wie es ist, ein Mensch zu sein!»

Damit ist mein letzter Zweifel verschwunden: Die Roboter haben das Labor längst übernommen.

Michelle Steinbeck ist ein Memory-Bot. Sie schreibt alles auf, damit sie es noch einmal erleben kann.