Rüstungsindustrie: Drohnen fürs Schlachtfeld
Ein Spin-off der ETH vermarktet erfolgreich eine Drohnensoftware. Anfangs verschreibt es sich ganz einer zivilen Nutzung, aber das ändert sich rasch, als die US-Militärindustrie Interesse an der Technologie bekundet.
Im Juni 2019 machte Lorenz Meier, sichtlich begeistert, ein Selfie in einem vollen Hörsaal im Hauptgebäude der ETH Zürich. Über hundert Softwareentwickler:innen waren zum ersten Developer Summit des PX4-Programms gekommen, das Drohnen autonom fliegen lässt. Für Meier war es eine Rückkehr an jene Wirkungsstätte, wo er die Autopilot-Software ein Jahrzehnt zuvor geschrieben hatte.
Hier seien gerade die besten Köpfe versammelt, rief Meier in den Saal – hier, wo Einstein studiert habe und jetzt so viel Drohnenforschung betrieben werde. «Ihr», sagte er und zeigte ins Publikum, «ihr seid technische Genies – und deswegen beeinflusst eure Arbeit ganze Organisationen und Industrien.» Dann pries er den kollaborativen Geist von Open-Source-Software wie PX4 und sprach über die neusten Entwicklungen seiner Firma Auterion.
Schleichender Wandel
Diese Firma hatte sich damals noch rein zivilen Anwendungen verschrieben. Fünf Jahre später liefert Auterion Technologie für Kamikazedrohnen für den Kampfeinsatz in die Ukraine. So nahm der Kogründer und heutige CEO Lorenz Meier diesen Sommer im polnischen Krakow am Nato–Ukraine Defense Innovators Forum teil, wo mehrere Teams eine Flugsteuerung von Auterion testeten – eine Anwendung, von der Meier sagt, dass sie «im Stillen» entwickelt worden sei und sich «bereits im Kampf bewährt» habe. Seinen Hauptsitz hat das ETH-Spin-off mittlerweile nach Arlington, Virginia, verlegt.
Der Weg von Auterion verweist auf einen wunden Punkt der seit Jahren offiziell propagierten Inszenierung der Schweiz als «Silicon Valley für Robotik». Günstige Drohnen, die mit künstlicher Intelligenz operieren, haben die Kriegsführung radikal verändert. Das Zeitalter von Drohnenkriegen ist angebrochen – und es wirkt zunehmend unglaubwürdig, wenn die Schweizer Behörden und Hochschulen hartnäckig an einer irreführenden Rhetorik festhalten, die zivile Erfolgsgeschichten betont und militärische Anwendungen herunterspielt.
In einem Porträt, das diese Woche im «Tages-Anzeiger» erschien, beschreibt Lorenz Meier den russischen Angriff auf die Ukraine als Erweckungsmoment. Ehemalige Mitarbeitende, mit denen die WOZ in den letzten Wochen sprechen konnte, zeichnen ein differenzierteres Bild: «Am Anfang hat es immer geheissen, militärisch würden wir nichts machen», erinnert sich Julian Oes, der als Softwareingenieur bei Auterion gearbeitet hat. «Der Wandel kam schleichend»: 2019 begann eine erste Kooperation mit der amerikanischen Defense Innovation Unit, einer Abteilung des US-Verteidigungsministeriums, die zivile Technologien fördert und fürs US-Militär anpasst. «Die Logik war: Wenn wir einen Impact haben wollen, dann müssen wir Dual-Use machen», sagt Oes – also Produkte, die sowohl zivil wie auch militärisch einsetzbar sind. Folgerichtig gründete die Firma einen US-Ableger und stellte mit David Sharpin einen Manager mit guten Verbindungen zu US-Regierungsstellen ein. Öffentlich sprach Lorenz Meier weiterhin nur von kommerziellen Drohnen.
2020 gelang dem Schweizer Unternehmen dann der Coup: Seine Software wurde vom Pentagon zur Standardplattform für kleine Drohnen gekürt. Zudem ging Auterion eine Partnerschaft mit dem Münchner Drohnenhersteller Quantum Systems ein und begann, den amerikanischen Markt zu beliefern. Die Drohne mit dem Namen Vector trug bald nebst den normalen Kameras auch einen Laserpointer, der Ziele identifizieren kann.
Anpassungen im Ethikkodex
«Wir entwickeln keine bewaffneten Systeme und unterstützen keine Technologien, die dazu dienen, Menschen zu schaden», stand damals noch im Ethikkodex der Firma. Es gehe um unbewaffnete Aufklärungsdrohnen, hiess es. Im Oktober 2021 nahm Auterion weitere Aufträge des Pentagons an, diesmal, um Soldaten die Steuerung von unbemannten Systemen zu erleichtern. Softwareentwickler Julian Oes verliess die Firma im Februar 2022. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine schwenkte Auterion noch stärker auf den lukrativen militärischen Absatzmarkt um. «Ich kann nachvollziehen, dass Lorenz Meier nicht von der Seitenlinie zuschauen, sondern involviert sein wollte», sagt Oes. «Er nahm sich das sehr zu Herzen.»
Romeo Durscher, ein Brancheninsider, war in jener Zeit in der US-Geschäftsleitung von Auterion und arbeitete daran, die Schweizer Technologie für friedliche Zwecke einzusetzen – gegen Waldbrände in Kalifornien zum Beispiel. «Wir hatten anfangs Schwierigkeiten, im Bereich der öffentlichen Sicherheit Fuss zu fassen», sagt er. Gefragt waren deshalb neue Absatzmärkte. «Um eine Finanzierung zu erhalten, möchte man in einen Markt vordringen, in dem es Millionen und Abermillionen US-Dollar gibt», sagt Durscher. Der Markt für militärische Anwendungen ist ein solcher. «Es war eigentlich nur logisch, dass Auterion schliesslich den Weg an die Front in Osteuropa finden würde.»
Dieser Weg war letztlich kurz: Im Dezember 2023 lautete Auterions Ethikkodex plötzlich anders: «Wir selbst werden keine bewaffneten Technologien (wie Sprengköpfe) entwickeln oder Technologien, deren Hauptzweck es ist, Menschen zu verletzen.» Im Mai 2024 verlegte Auterion seinen Firmenhauptsitz in die USA – in die Nähe des Pentagons. Im Juni machte die Firma ihr Programm für Kamikazedrohnen öffentlich, im Juli war dann jeglicher Verweis auf Waffen aus dem Ethikkodex verschwunden.
Auterion schreibt nun in ihrem Ethikkodex, dass die Firma nur mit Regierungen zusammenarbeite, die demokratisch gewählt sind und eine freie Presse erlauben. «Es ist für uns eine moralische Verpflichtung, unsere Produkte an liberale Demokratien zu liefern, damit sie sich verteidigen können», sagt Lorenz Meier. Welche Länder das ausser der Ukraine und den USA sind, will er nicht sagen.
Allerdings ist es schwierig, solche Technologien von autoritären Staaten oder sogar terroristischen Gruppierungen fernzuhalten, erläutert Andrew W. Reddie, der an der Berkeley-Universität in Kalifornien zu solchen Risiken forscht: «Sobald die Technologie existiert, besteht die Gefahr, dass sie von allen möglichen Akteuren übernommen wird.» Exportkontrollen seien für Software schwer zu bewerkstelligen.
«Die Realität ist, dass der Geist leider aus der Flasche entwichen ist», sagt Romeo Durscher. «Vor fünf Jahren war das Motto, dass man Technologie für friedliche Zwecke entwickle. Heute ist es Technologie, um die Demokratie zu schützen. Es ist eine Feel-Good-Aussage, die meiner Meinung nach sehr wenig Substanz hat.»
ETH hat keinen Einfluss mehr
Innosuisse, die Innovationsagentur des Bundes, bestätigt die Problematik: «Ursprünglich rein für den zivilen Einsatz entwickelte Güter können über die Zeit, gewollt oder ungewollt, zu militärischen Produkten weiterentwickelt werden.» Für die Einhaltung der Gesetze seien die Unternehmen verantwortlich, für die Exportkontrolle wiederum das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig. Weil Auterion den Hauptsitz mittlerweile in den USA hat, dürften die Schweizer Exportkontrollen kaum mehr greifen.
Das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin teilt auf Anfrage mit, das Seco äussere sich jeweils nicht zu einzelnen Unternehmen. Inwiefern für ein ETH-Spin-off Bestimmungen gälten, die über die Exportkontroll- und Sanktionsbestimmungen hinausgingen, liege in der Autonomie der Hochschule, so das Departement. Vanessa Wood, ETH-Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen, sagt, bei Auterion handle es sich «um ein privatwirtschaftliches Unternehmen», auch wenn die Firma an der ETH gegründet wurde. «Auf deren unternehmerische Entscheide kann die ETH keinerlei Einfluss ausüben.»
Während sich die Schweizer Behörden winden und die Politik nicht klären will, welche Rolle das neutrale Land im Zeitalter der Drohnenkriege denn nun spielen soll, sieht Auterion seine Zukunft vor allem auf dem militärischen Markt. Die riesigen Investitionen im Rahmen des Krieges in der Ukraine würden der Branche helfen, aus der ersten harten Finanzierungsphase herauszukommen, sagte Lorenz Meier kürzlich an einem erneuten PX4-Entwicklergipfel. «Was ich sehe, ist ein Einsatz in einer neuen Grössenordnung, der zur Norm werden wird.»