Proteste in den Niederlanden: Der Zorn der Traktoren

Nr. 44 –

Weil die Regierung die Emission von Stickstoffverbindungen senken will, kochen die BäuerInnen vor Wut. Es ist ein Konflikt, der die zunehmende Polarisierung innerhalb der niederländischen Gesellschaft widerspiegelt.

Mittelfinger trifft auf urbane Ressentiments: Traktordemonstration in Den Haag vom 16. Oktober. Foto: Ana Fernandez, Getty

Es waren turbulente Szenen, die sich Mitte Oktober vor mehreren «Provinzhäusern» in den Niederlanden abspielten. Dicht nebeneinander parkten Tausende Traktoren vor dem Parlament und den Verwaltungsgebäuden in den jeweiligen Provinzen. In Groningen wurden PolizistInnen, die die wütenden LandwirtInnen aufhalten sollten, mit Stroh beworfen. Ein Traktor rammte die Tür eines Gebäudes, ein anderer fuhr ein Polizeipferd an. Zwei landesweite Demonstrationen in Den Haag sorgten für kilometerlange Staus in den Strassen.

Der Zorn der BäuerInnen geht auf das Vorhaben der Regierung in Den Haag zurück, den Ausstoss von Stickstoffverbindungen in den Niederlanden zu reduzieren, der relativ gesehen der grösste in Europa ist.

Dabei geht es – vereinfacht gesagt – um Stickoxide, die vor allem in Verkehr und Industrie entstehen, und um Ammoniak aus der Landwirtschaft. Reduziert werden sollen diese Stoffe, weil sie Luft und Böden stark belasten und gesundheitsgefährdend sind. In den Niederlanden ist vor allem die intensive Viehzucht ein Problem: 61 Prozent der jährlichen Emissionen gehen auf das Konto der Landwirtschaft. Die Stoffe sind nicht zu verwechseln mit normalem Stickstoff, der rund achtzig Prozent der Luft ausmacht.

Den Viehbestand halbieren?

Die Regierung will nun den niederländischen Ausstoss der Stickstoffverbindungen um die Hälfte reduzieren. Hierfür sollen unter anderem Landwirtschaftsbetriebe aufgekauft werden, die in der Nähe von Naturschutzgebieten liegen. Die liberale Partei D66 plädiert zudem dafür, den Nutzviehbestand – unter anderem knapp vier Millionen Rinder und gut zwölf Millionen Schweine – deutlich zu reduzieren.

In der Mitte-rechts-Koalition ist dies umstritten: Die rechtsliberale VVD von Premier Mark Rutte setzt eher auf technologische Innovation zur Reduktion; die ChristdemokratInnen (CDA) gelten seit jeher als dezidierte Agrarpartei. Die Landwirtschaftsministerin Carola Schouten (Christen-Unie) gab den BäuerInnen Anfang Oktober das Versprechen, während ihrer Amtszeit werde es «keine Halbierung des Viehbestands» geben.

Hinter den drastischen Bildern der BäuerInnenproteste weist das Problem jedoch noch eine weitere Dimension auf: Die niederländische «Stickstoffkrise» geht auf ein Urteil zurück, das im Mai vom höchsten Verfassungsgericht in Den Haag gefällt worden ist. Demnach verstösst die bisherige Praxis – nämlich Genehmigungen für Aktivitäten, die Stickstoffverbindungen produzieren, mit Naturschutzmassnahmen zu kompensieren – gegen europäisches Recht. 18 000 Bauprojekte liegen seither auf Eis, weil sie zu viel Schadstoffe verursachen würden. Deshalb war die Begrenzung des agrarischen Ausstosses von Stickstoffverbindungen als Hebel gedacht, um die Baublockade aufzubrechen.

Anfang Oktober beschlossen deshalb alle zwölf niederländischen Provinzen, dass «ungenutzter Stickstoff» – also etwa die Genehmigung eines landwirtschaftlichen Betriebs für hundert Kühe, der tatsächlich nur achtzig hat – in Zukunft verfallen sollte. Bislang konnte mit diesen Überschüssen gehandelt werden. Nach den wütenden Protesten vor den Parlamenten und Verwaltungen zogen vier Provinzen diese Massnahmen wieder zurück. Dies wiederum sorgte bei den anderen Provinzen für Unsicherheit und im politischen Diskurs für erheblichen Unmut gegenüber PolitikerInnen, die sich von den DemonstrantInnen einschüchtern lassen und zurückweichen.

Klimaaktivistinnen versus Bauern

Just dieser Aspekt zeigt auf, wie es sich bei dem Konflikt um einen gesellschaftlichen Verteilungsstreit mit erheblicher Tragweite handelt. Kurz vor den LandwirtInnen waren in Amsterdam tagelang KlimaaktivistInnen von Extinction Rebellion auf die Strassen gegangen. Die Bilder von mehr als 200 friedlichen BlockiererInnen, die von PolizistInnen nicht immer nur mit sanften Händen weggetragen wurden, bilden in der öffentlichen Wahrnehmung einen krassen Gegensatz zu den BäuerInnen, die ihren Forderungen drohend Nachdruck verleihen und damit teilweise erhört werden.

Beide demonstrierenden Gruppen stehen dabei für eine Polarisierung der Klimadebatte, die in kürzester Zeit im Zentrum der politischen Auseinandersetzung angekommen ist. Dabei trifft die KlimaaktivistInnen weit mehr Empörung und Wut des gesellschaftlichen Mainstreams als noch vor einem halben Jahr. Dies wiederum gilt auch für die BäuerInnen, die im urban und liberal geprägten Ballungsraum im Westen des Landes nicht nur Unverständnis auslösen, sondern denen auch mit Arroganz begegnet wird. Diesen Ressentiments trotzen die LandwirtInnen wiederum recht offensiv, wenn sie «Bauern! Bauern!» skandierend durch Den Haag ziehen, mit Bierdosen und Fleischbrötchen in der Hand, und Böller zu Hinterwäldlerpopbeats zünden.

Von der Polarisierung zeugt auch einer der grössten AkteurInnen aufseiten der LandwirtInnen: die Farmers Defence Force (FDF). Vor einem halben Jahr erst wurde sie gegründet – als Reaktion auf die Besetzung eines Ferkelzuchtbetriebs durch eine Tierrechtsgruppe. Es passt ins Bild, dass auf der letzten, von der FDF organisierten Grossdemonstration in Den Haag nicht etwa Regierungsvertreterinnen den Bauern zusprachen, sondern die beiden Protagonisten des niederländischen Rechtspopulismus: Geert Wilders und Thierry Baudet.