Niederlande: Die Rutte-Dämmerung
Es war ein Rücktritt zu viel: Drei Tage nach dem Ende seiner Mitte-Rechts-Koalition kündigte der niederländische Premier Mark Rutte am Montag an, die Politik zu verlassen, sobald eine neue Regierung antritt. Rutte, der der rechtsliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) angehört, ist seit 2010 im Amt. Drei seiner vier Kabinette scheiterten vorzeitig. In der Linken steht er wegen des strikten Austeritätskurses seiner ersten Regierungsjahre in der Kritik. Der populistischen Rechten wiederum gilt er als Personifizierung des Den Haager Politestablishments.
Hinter dem Fall der Regierung steht ein Streit um die Begrenzung der Zahl der Asylbewerber:innen. Rutte hatte unter Druck seiner Partei strengere Regeln beim Familiennachzug gefordert. Vor allem die sozialcalvinistische Christen-Unie (CU) lehnt dies ab. Das niederländische Asylsystem kommt immer wieder an die Grenzen seiner Unterbringungskapazitäten. Die Ansicht, das Land sei «voll» und brauche daher einen «Asylstop», ist weit verbreitet, auch in der VVD. In der Koalition, der auch die Christdemokrat:innen (CDA) sowie die liberalen Democraten 66 (D66) angehörten, war das Thema seit langem umstritten.
In die vier Amtszeiten Ruttes fallen schwerwiegende Skandale wie die Kindergeldaffäre und das Ignorieren von Sicherheitsrisiken im Raum Groningen, wo es durch Gasförderung seit Jahren zahlreiche Erdbeben gibt. Letztes Jahr stand die Regierung wegen der Proteste von Landwirt:innen gegen Klimaschutzmassnahmen latent unter Druck. Und spätestens seit den Provinzwahlen im März, als die konservative Protestpartei Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) einen Erdrutschsieg landete, ist sie angezählt.
Die im Herbst anstehende Neuwahl könnte nun zum Richtungsentscheid werden, die VVD unter Druck der populistischen Konkurrenz weiter nach rechts rücken. Asyl und Migration dürften die zentralen Wahlkampfthemen werden. Auf der Linken kündigten Arbeitspartei und Linksgrüne eine gemeinsame Liste und ein gemeinsames Wahlprogramm an.
Tobias Müller, Amsterdam